Eigentlich sollte Eike Schmidt bereits sein Amt als Museumsdirektor in Wien angetreten haben. Doch er hat es sich aber anders überlegt und bleibt in Florenz. Warum er meint, die Uffizien schützen zu müssen, sagt er im Interview.

Florenz - Der deutsche Kunsthistoriker Eike Schmidt hat sich viel Neues für die Uffizien ausgedacht: Besser gelenkte Besucherströme, eine spannende Vermittlungsarbeit über die sozialen Medien, die erste Ausstellung über einen afrikanischen Künstler. Das alles und noch mehr wollte er vor der labilen politischen Kulisse in Italien nicht durch einen Wechsel nach Wien gefährdet sehen.

 

Herr Schmidt, eigentlich wollten Sie im November 2019 nach Wien an das Kunsthistorische Museum in Wien wechseln. Warum bleiben Sie nun doch als Direktor der Uffizien in Florenz?

Als vor fünf Jahren eine neue Generation von Museumsdirektoren berufen wurde, herrschte an den italienischen Museen eine starke Aufbruchsstimmung. Leider gab es dann aber eine deutliche Verlangsamung, um nicht zu sagen einen Stillstand der Reform, die vielen Museen, darunter auch den Uffizien, Autonomie beschert hatte. Die Reform stammte noch von der Mitte-Links-Regierung unter Renzi – doch als klar wurde, dass andere Themen in den Vordergrund des Wählerinteresses rückten, hat sich die Regierung dann plötzlich sehr zurückgehalten.

Es ging im Frühjahr 2018 schließlich auf die nationalen Wahlen zu – nach denen der linke Partito Democratico (PD) die Regierungsgeschäfte abgeben musste.

Unter der Regierung aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der Lega, die dann im Sommer 2018 antrat, hat sich die Situation nochmal deutlich verschlechtert. Es kamen Rufe auf, dass italienische Museen von Italienern zu führen seien. Wohlbemerkt vor allem von Seiten der Fünf-Sterne-Bewegung, die die Reform komplett wieder umkehren wollte. Es wurde aktiv an einem Programm der Zentralisierung aller relevanten Entscheidungen gearbeitet. Als Museumsdirektor wäre man nur noch ein ausführendes Organ gewesen, hätte nur noch zentrale Vorgaben umgesetzt. Das fängt beim Finanziellen an, aber erfahrungsgemäß ist die Versuchung für Politiker groß, auch inhaltlich einzugreifen. Im letzten Sommer gab es aber gewaltige politische Umwälzungen und zur größten Überraschung aller wurde der alte Kulturminister, Dario Franceschini vom PD, wieder ins Amt berufen.

Ist es nicht etwas naiv, wegen der neuen Regierung zu bleiben? Wer weiß, wie lange diese sich im Amt halten kann. Die politische Lage in Italien ist nicht gerade stabil.

Das ist wirklich ein Risiko, aber ich bleibe ja nicht aus Freundschaft zur neuen Regierung, sondern weil sie uns die Möglichkeit gibt, unsere Arbeit zu machen. Ich sehe es als Verantwortung, den Reformprozess weiterzuführen, den wir begonnen haben, und der schon so viele Früchte trägt – auch was flachere Strukturen und zukunftsgerichtete Arbeitsweisen angeht. Außerdem gibt es nach wie vor politische oder manchmal auch unpolitische Kräfte, die dieses Museum für ihre Zwecke benutzen wollen. Es ist meine Aufgabe, diesen Kräften entgegenzuwirken, mein Team zu beschützen und sicherzustellen, dass wir unseren Kurs weiterfahren können.

Die Uffizien und andere Museen behalten nun ihre Autonomie?

Genau. Wir können uns Ziele setzen und überlegen, wie wir diese umsetzen, was uns wichtig ist und wo wir investieren wollen. Müssen wir zum Beispiel die Fassade restaurieren, sodass keine Bauteile auf unsere Mitarbeiter und Besucher herunterfallen? Wo hingegen investieren wir in ein kulturelles Programm, das wir dann auch selber erarbeiten. Das ist eine große und auch schwierige Aufgabe, aber gleichzeitig eine riesige Möglichkeit, in einer Demokratie zu agieren. Wir haben zum Beispiel letztes Jahr die erste Ausstellung eines afrikanischen Künstlers hier in den Uffizien gemacht: Tesfaye Urgessa, der in der Nähe von Stuttgart lebt.

Und das in einer Zeit, in der in Italien immer mehr rassistische Töne die Debatte regierten. Gab es da Gegenwind?

Wind ist übertrieben, aber es gab Gegenstimmen. Man musste sich rechtfertigen. Aber es gab auch sehr viele positive Reaktionen, Begeisterung über seine Malweise und seine Farbwahl, die weit über den Neoexpressionismus hinausgeht. Im letzten Jahr haben wir außerdem auch islamische und jüdische Kunst gezeigt. Das waren drei große und wichtige Ausstellungen in einem Klima, in dem Intoleranz und Ausländerfeindlichkeit in ganz Europa merklich zugenommen haben. So etwas wäre mit einer gleichgeschalteten, zentralisierten Kulturpolitik nicht möglich gewesen.

Sehen Sie Ihre Aufgabe darin, eine Art außerparlamentarische Opposition zu sein?

Das Museum sollte über das Tagespolitische hinausgehen. Was wir als Museum tun können – und müssen – ist, den wirklich gewaltigen kulturellen Schatz, den wir bewahren, zu aktivieren, um die Horizonte aller zu erweitern.

Denkanstöße geben Sie anscheinend auch mit Ihrem Instagram-Account: Den Uffizien folgen dort mehr als 400 000 Menschen. Wie schafft man das als Museum?

Viele kulturelle Einrichtungen nutzen die sozialen Medien sehr traditionell. Sie informieren, wann ein Tag der offenen Tür ist oder posten die Plakate der nächsten Ausstellungen. Uns geht aber darum, das gleiche Wissen, die gleichen Fragestellungen und die Erfahrungen, die wir im Museum vermitteln wollen, auch über diese Medien zu verbreiten. Fünf Mitarbeiter und zwei Halbzeitkräfte kümmern sich bei uns um die Internetseite und die sozialen Medien.

Minister Franceschini hebt vor allem hervor, dass in den fünf Jahren seit der Reform schon zehn Millionen mehr Besucher in den italienischen Museen gezählt wurden. Wie sieht das in den Uffizien aus?

Unsere Besucherzahl hat seit Beginn der Reform um ein Drittel zugenommen. Viel wichtiger aber ist: Wir hatten vorher schon sehr viele Besucher, aber leider im falschen Moment – sie kamen alle auf einmal. Das konnten wir durch verschiedene Anreize ändern und haben jetzt mehr Besucher in den Randzeiten und in der Nebensaison. In den Wintermonaten haben wir nun etwas mehr als 200 000 Besucher pro Monat, in den Sommermonaten zwischen 400 000 und 500 000. Durch Anreize kann man Leute viel mehr motivieren als durch Verbote. Durch günstigere Eintrittspreise, Sonderausstellungen, Konzerte, die im Ticket inbegriffen sind. Wir haben einen Morgenrabatt im Palazzo Pitti eingeführt und im Sommer an zwei Abenden in der Woche die Museen bis 21 Uhr geöffnet.

Und bei Ihnen darf man sich nun sogar die Nase an der Kunst plattdrücken – zum Beispiel an Botticellis Geburt der Venus.

Ja, wir haben neuartige Klimakästen für die Gemälde entwickelt. Dafür haben wir ein derart entspiegeltes Glas benutzt, dass es von vielen gar nicht mehr wahrgenommen wird. Jeden Morgen müssen erst einmal die Nasenabdrücke von den Scheiben weggewischt werden. Man darf nun so nah an die „Geburt der Venus“ herangehen, wie es früher nur die Medici durften. Um ein Bild wahrzunehmen, muss man es auch aus einer gewissen Entfernung sehen. Idealerweise geht man nahe ran, schaut sich verschiedene Details an, geht dann wieder etwas weiter weg, dann mal wieder näher ran. Ein Bild anzusehen ist ein Prozess. Und durch das Glas wird das Bild auch besser geschützt als früher. Nicht nur gegen eventuelle Attacken, sondern auch gegen Klimaschwankungen. Wir Menschen sind ja kleine Luftbefeuchter und wandelnde Heizöfen.

Italien begeht dieses Jahr den 500. Todestag Raffaels. Warum findet die große Ausstellung in Rom statt und nicht bei Ihnen?

Die Ausstellung, die am 5. März in Rom eröffnet wird, ist eine Zusammenarbeit der Uffizien mit dem Museum des italienischen Staatspräsidenten-Palastes, den Scuderie. Das ist auch richtig: Statt zahllose kleine Ausstellungen über Raffael in ganz Italien anzubieten, machen wir eine große - und die bewusst in Rom. Wir haben hier in den Uffizien bereits eine Dauer-Ausstellung mit dem neuen Raffael-Saal: Hier sind seine Hauptwerke, die er in Florenz gemalt hat mit den Hauptwerken Michelangelos und den Hauptwerken Fra Bartolommeos vereinigt. Diese bleiben auch in Florenz. Aber es hat durchaus Sinn, Raffaels römische Werke nach Rom zu bringen und mit den Werken in einer Ausstellung zu vereinen, die bereits dort sind oder die international verteilt sind und nun wieder nach Rom kommen. Zum Beispiel kehrt mit „Leo X.“ ein Papstporträt nach Rom zurück. Man wird Raffael so breit und so konzentriert sehen können, wie nie.

Zur Person:

Am 22. April 1968 wurde Eike Schmidt in Freiburg geboren. Er studierte Moderne und Mittelalterliche Kunst an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. In den 90er Jahren lebte und arbeitete er in Italien, von 1994 bis 2001 forschte er am Deutschen Kunsthistorischen Institut in Florenz. Später folgten Posten als Kurator in der National Gallery of Art in Washington und im J. Paul Getty Museum in Los Angeles. In London war er beim Auktionshaus Sotheby’s Experte für Skulptur und angewandte Kunst in Europa. Danach leitete er die Abteilung für Dekorative Kunst, Textilien und Skulptur am Minneapolis Institute of Arts. Seit November 2015 ist Schmidt Direktor der Uffizien in Florenz.