Ein gruseliges alter Gemäuer, ein seit Jahrhunderten umgehender Untoter, aber ein paar frische Ideen: Die „Sherlock“-Macher Mark Gattis und Steven Moffat haben sich nun „Dracula“ vorgenommen.

Stuttgart - Da sitzt einer im Wahnsinn gefangen zusätzlich noch im Verlies, frisst die Fliegen von der Wand und träumt vom Grafen Dracula, der bald aus dem Dunkel der Nacht kommen und archaischen Schrecken über eine moderne Stadt breiten wird. Diese restlos zerrüttete Nebenfigur kennen wir aus vielen Vampirfilmen, und wer es kulturgeschichtlich mag, erkennt in diesem Herold die ins Fiese verzerrte Horrorvariante von Johannes dem Täufer, der das Kommen Jesu ankündigte und sich derweil von Heuschrecken und wildem Honig ernährte.

 

In der neuesten „Dracula“-Variante aber, einem von der BBC und Netflix produzierten Dreiteiler, bekommt der Fliegenfänger – es ist der einst nichts Böses ahnende Jonathan Harker (John Heffernan), der in Geschäften nach Transsylvanien reisen musste – ungewöhnlichen Besuch. Zwei Nonnen betreten seine Zelle, die eine von scheuer Schweigsamkeit, die andere, Schwester Agatha (Dolly Wells), von einem sarkastischen Glaubenszweifel, in dem man Heiligengebeine auflösen könnte wie Erdnussflips in Schwefelsäure.

Zurück zu Bram Stoker

Unter Agathas Fragen muss Harker, der nun aussieht wie ein aus dem Grab Geholter, dessen Erweckung sich um ein paar entscheidende Tage verzögert hat, im Detail von seiner Rumänienreise erzählen. Einerseits folgt „Dracula“ da also dem 1897 erschienenen Vampirroman des Iren Bram Stoker, dessen Motive sich mit vielen Widerhaken im kollektiven Bewusstsein festgesetzt haben. Der Neuling begibt sich auch erfolgreich in einen Wettbewerb mit den vielen klassischen Verfilmungen des Stoffs, Draculas unheimliche Welt schön nachtschlafmetzelnd auszumalen.

Andererseits stellt bereits die erste der je eineinhalb Stunden langen Folgen Stokers Welt auf den Kopf und hinterfragt sie. Wie kommt eigentlich, wird da etwa untersucht, ein hinterwäldlerischer Untoter zu seiner Bildung und zu seiner Fähigkeit, sich in jede Gesellschaft einzuschmuggeln? Auf einige schöne Antworten darf man sich freuen, denn hinter „Dracula“ stecken Mark Gatiss und Steven Moffat, die Arthur Conan Doyles tausendfach adaptierten und plagiierten Meisterdetektiv Sherlock Holmes in der TV-Serie „Sherlock“ schlau, keck und doch auf ihre Art quellentreu aufgefrischt haben.

Zivilisation und Trieb

Der klassische Vampir ist beides, ein suggestiv-charmanter Verführer und ein bestialisch enthemmter Zerfetzer, also ein Symbol für das Durcheinander von Zivilisation und Trieb in jedem von uns. Claes Bang spielt obendrein noch Draculas zynische Gier nach Neuem. Als Unsterblicher muss man nämlich allerlei Wiederholungen aushalten.

Es gibt ein paar Hänger und fragwürdige Entscheidungen, aber insgesamt schrubbt diese Miniserie dem Vampirmythos ordentlich den Zahnstein weg – unter anderem mit Agatha, der interessantesten Widersacherin, die Dracula je hatte.

Verfügbarkeit: Netflix, alle drei Folgen bereits abrufbar