Rainer Brechtken war Waiblinger SPD-Landtagsabgeordneter, Staatssekretär und im Jahr 1996 OB-Kandidat in Stuttgart. Der Präsident des Deutschen Turnerbunds feiert am Samstag seinen 70. Geburtstag.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Schorndorf - Er hofft, dass sein Knie mitmacht. Dann würde Rainer Brechtken nach dem für 2016 anvisierten Abschied aus dem (Ehren-)Amt des Präsidenten des Deutschen Turnerbunds (DTB) sehr gerne wieder mehr joggen, so wie früher. Gut möglich, dass der Mann aus Schorndorf, der am Samstags seinen 70. Geburtstag feiert, noch ein paar Marathonläufe absolviert. „Der London-Marathon zum Beispiel fehlt mir noch“, sagt er an diesem glühend heißen Mittag im Schatten auf der Terrasse seines Reihenhäuschens am Stadtrand, und dabei schaut er ganz zufrieden aus.

 

Dieser Mann ist mit sich im Reinen. Die eine Sache indes, die werde er wohl nicht mehr los, sagt der gebürtige Ludwigsburger. 1996 war der Sozialdemokrat Brechtken Kandidat für die Stuttgarter OB-Wahl, und damals ist er grandios gescheitert, abgeschlagen auf Platz drei gelandet, hinter dem späteren CDU-Stadtchef Wolfgang Schuster und dem Grünen Rezzo Schlauch. Brechtken sagt heute: „Ich hätte gar nicht antreten dürfen.“ Die SPD habe ihn viel zu spät ins Rennen geschickt. Brechtken ist aber nach wie vor überzeugt, dass er ein guter OB gewesen wäre. „Und in einer kleineren Stadt, zum Beispiel in Ludwigsburg, da hätte ich gewonnen.“

Rainer Brechtken war womöglich seiner Zeit voraus

Wer in alten Zeitungsartikeln nachliest, der stellt fest, dass dieser Rainer Brechtken womöglich seiner Zeit voraus gewesen ist. Mit Blick auf das Mammutprojekt Stuttgart 21, das 1996 im OB-Wahlkampf keine übergroße Rolle gespielt hat, forderte der SPD-Mann schon damals einen Bürgerentscheid. Ferner sagte er: „Wir müssen auch über den sozialen Wohnungsbau reden.“ Heute fehlen speziell in der Landeshauptstadt bezahlbare Unterkünfte.

Es ist es indes nicht so, dass Brechtken damals keinerlei Verantwortung getragen hätte. Er war von 1992 bis 1996 in der großen Koalition Staatssekretär im Landeswirtschaftsministerium. „Das war meine schönste Zeit in der Politik.“ Der Verwaltungswirt, der zur Schulzeit zunächst katholischer Pfarrer hatte werden wollen, war SPD-Kreischef, Waiblinger Landtagsabgeordneter und Präsident des Schwäbischen Turnerbunds (STB). Zusammen mit seiner Frau Heidegard, die verantwortlich ist für den Sinneswandel in Sachen Berufswunsch, hat er einen 42-jährigen Sohn. Bis 2001 war Brechtken Mitglied des Landtags, seither „bin ich Pensionär“. Er habe Angebote aus der Wirtschaft gehabt, hätte vermutlich viel Geld verdient. Das habe ihn aber nicht sonderlich interessiert. Mit einem Augenzwinkern erklärt er: „Ich lebe auch so oberhalb der Armutsgrenze.“ Das Präsidentenamt beim DTB, der immerhin rund fünf Millionen Sportler vertritt, werde – anders als in anderen Sportverbänden – nicht bezahlt.

„Notfalls Länder von Olympischen Spielen ausschließen“

Rainer Brechtken beschäftigt sich seit Jahrzehnten schwerpunktmäßig mit Sport und Sportpolitik. Zunächst war er bei der Stadt Schorndorf verantwortlich für Sport, dann bei der SPD-Landtagsfraktion. Er bedauere, dass es die Landessportverbände immer noch nicht geschafft hätten zu fusionieren. Die Politik, sagt er, müsste lukrative Angebote machen – beispielsweise den Sportstättenbau daran knüpfen, dass sich die württembergischen und die badischen Verbände zusammenrauften.

Brechtken war Sprecher der Sportspitzenverbände im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), er saß im Aufsichtsrat der nationalen Antidoping-Agentur Nada. Mit Blick auf Doping sagt er, „eine konsequente Beprobung“ der Athleten sei unerlässlich, Spitzensportler müssten damit rechnen, dass sie selbst nachts überprüft würden. Das sei „ein brutaler Eingriff“ in das Leben, „aber nötig“. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) müsse sicherstellen, dass Länder, die nur laxe Dopingkontrollen zuließen, von den Spielen ausgeschlossen würden. Diese Forderung bleibt vermutlich noch auf absehbare Zeit kaum mehr als ein frommer Wunsch.

Lehrauftrag an der Dualen Hochschule in Sportsoziologie

Der DTB-Mann Brechtken wollte, dass sich Deutschland mit Berlin für die Olympische Sommerspiele im Jahr 2024 bewirbt, die Kandidatenstadt wurde bekanntlich Hamburg. Dann eben Hamburg – mit diesen Worten kann man Brechtkens pragmatische Sicht der Dinge knapp zusammenfassen. Olympia in Hamburg, sagt er, das sei eine rießengroße Chance – eine Chance der Welt zu zeigen, dass es möglich ist die Spiele in einer Stadt mit vielen bereits vorhandenen Sportstätten auszurichten.

Was bleibt nach dem Ende der DTB-Präsidentenzeit? Der Lehrauftrag an der Dualen Hochschule Stuttgart in Sportsoziologie und dieser Wunsch: wieder öfter die Laufschuhe schnüren und los rennen.