Dirk Bauermann war Bundestrainer als letztmals eine deutsche Basketball-Mannschaft eine Medaille gewinnen konnte. Im Interview blickt er auf die WM-Voraus und erklärt, was sich in den vergangenen 15 Jahren verändert hat.
Stuttgart - Dirk Bauermann genießt im Moment einen freien Sommer. Seit seinem Rückzug beim türkischen Erstligisten Pınar Karşıyaka ist der Ex-Bundestrainer ohne Job – aber der 61-Jährige ist auch nicht händeringend auf der Suche nach einer neuen Anstellung. „Es muss passen“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion und verweist auf seine Tätigkeit als Referent für Unternehmen und Verbände, wo er regelmäßig sein Know-how aus dem Basketball- und Trainerbusiness weitergibt. Im Interview blickt Bauermann auf die Basketball-WM in China voraus, erzählt weshalb er der deutschen Mannschaft eine gute Rolle zutraut und was sich im deutschen Basketball in den zurückliegenden zehn bis 15 Jahren verändert hat.
Dirk Bauermann über..
...das junge deutsche WM-Team und dessen Chancen:
„Die Nationalmannschaft, die uns bei dieser WM vertritt, ist die talentierteste, die wir jemals hatten. Nicht nur auf ein, zwei sondern auf allen Positionen. Die Mannschaft ist zwar relativ jung, aber dennoch bereits ziemlich erfahren. Viele Jungs spielen im Alltag auf einem sehr hohen Niveau. Das heißt, sie sind entweder in der NBA oder in der Euroleague aktiv. Daher ist das eine Mannschaft, die zu großer Hoffnung Anlass gibt und der sogar ein Medaillengewinn zuzutrauen ist.“
...die Veränderungen, die der DBB in den vergangenen Jahren angestoßen hatte:
„Sport ist immer Zukunft. Es gibt Generationen, in denen finden sich unglaublich viele außergewöhnliche Talente. Und es gibt auch immer wieder drei bis sechs Jahrgänge, in denen das weniger der Fall ist. Wir sind mit dieser Generation in einer Phase, in der es sehr viele hochveranlagte Spieler auf allen Positionen gibt. Das muss aber nicht notwendigerweise immer so sein.
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Die Tatsache, dass es so viele talentierte Spieler gibt, hängt damit zusammen, dass die Zusammenarbeit zwischen DBB und der Bundesliga wesentlich besser wurde. Es wird viel mehr und viel intelligenter in die Nachwuchsarbeit investiert als das noch um die Jahrtausendwende der Fall war. Zudem erhalten die Spieler dank der veränderten Ausländerregel in der BBL mehr Spielanteile und können sich auf höchstem Niveau besser entwickeln. Das war ein Paradigmenwechsel der absolut notwendig war. Unsere aktuelle Nationalmannschaft und auch die Nachwuchsteams sind der Beweis, dass es möglich ist, Dinge gewinnbringend zu verändern, wenn man die notwendigen Veränderungen ernst nimmt und gemeinsam anpackt.“
...die Rolle von Bundestrainer Henrik Rödl:
„Ich freue mich darüber, dass die damals angestoßenen Entwicklungen Früchte tragen und dass es mit dieser Mannschaft möglich ist, bei einem großen Turnier um eine Medaille mitzuspielen. Es ist keine leichte Aufgabe, aus diesen zwölf hochtalentierten Spielern eine Einheit zu formen, die auf allerhöchstem Niveau bei einer WM erfolgreich spielen kann. Viele glauben, mit so hochtalentierten Jungs zu arbeiten, das könne ja jeder. Aber, das Gegenteil ist der Fall – das kann eben nicht jeder. Das können nur richtig gute Trainer. Glücklicherweise haben wir einen Bundestrainer, der zu dieser Gruppe Trainern gehört. Ich habe allerhöchstes Vertrauen, dass Henrik Rödl einen riesen Job macht mit den Jungs und sie unsere Farben bei der WM und darüber hinaus gut vertreten.“
...seine Erfahrungen im Ausland und was der deutsche Basketball lernen könnte:
„Man kann von jeder Basketball-Kultur etwas mitnehmen. Bei den Chinesen ist die ganz hervorragende Infrastruktur zu nennen. Dort hat so ziemlich jede Basketball-Halle NBA-Standard. In Europa sind wir in Deutschland sicherlich ganz vorne dabei was die Infrastruktur angeht. Aber gerade was Größe und Ausstattung der Hallen angeht, sind die USA und China weltweit führend. Inhaltlich sehe ich nichts, was wir von den Chinesen übernehmen sollten. Das sieht in der Türkei anders aus. Bei den Türken spielt Basketball in der medialen Wahrnehmung eine wesentlich größere Rolle. Dementsprechend wird dort auch noch mehr in die Sichtung Förderung von Talenten investiert. Wir sollten daher nicht glauben, dass wir uns auf der positiven Entwicklung im Ausbildungs- und Jugendbereich hierzulande ausruhen sollten.
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Der Blick über den eigenen Tellerrand ist immer wichtig. In Spanien, Frankreich und insbesondere der Türkei wird von staatlicher Seite mehr getan – das heißt, es gibt mehr regionale Stützpunkttrainer, das Sichtungsnetz ist engmaschiger. Und gerade in der Türkei hat der Einsatz von eigenen Nachwuchsspielern in der höchsten Liga nochmals einen höheren Stellenwert als bei uns. Daher gilt es, auch in Phasen, in denen es gut läuft, hungrig zu bleiben und zu schauen, was man wo optimieren kann. Ansonsten wird man auch ganz schnell wieder überholt.“
...die aktuellen Mitgliederzahlen und die zukünftige Entwicklung:
„Wir sind auf einem sehr guten Weg. Die Nationalmannschaft wird in den kommenden Jahren sowohl europäisch als auch auf Weltniveau eine sehr gute Rolle spielen und Medaillenanwärter sein. Es geht jetzt bereits darum, Nachfolger für die jetzige Generation an Nationalspielern mit ähnlicher Qualität auszubilden und heranzuführen. Auch die Leistungsstandards in der Liga sind so hoch wie nie zuvor. Daher ist es realistisch, dass zum Beispiel der FC Bayern in den kommenden Jahren um die europäische Krone in der Euroleague mitspielen kann. Auch Alba Berlin und Würzburg haben auf internationaler Ebene zuletzt gezeigt, dass sie eine sehr gute Rolle spielen können.
Es geht um folgenden Dreiklang: Qualität in der Liga, internationale Wettbewerbsfähigkeit der Liga und eine Nationalmannschaft, die ein Medaillenanwärter ist – wenn das alles gegeben ist, kann es nur weiter nach vorne gehen mit dem deutschen Basketball.“
...was der Deutsche Basketball Bund von anderen Sportarten lernen kann:
„Die Handball-WM hat gezeigt, dass Erfolge bei internationalen Turnieren eine nachhaltige Wirkung erzielen können. So wie unsere Nationalmannschaft und die Liga aufgestellt sind, können wir im Basketball einen ähnlichen Effekt erzielen.“
...die vermeintlich frühe Selbstzufriedenheit der deutschen Talente:
„Ich kann aus meiner Erfahrung sagen, dass es kein Land gibt, in dem es das Problem der zu früh zu zufriedenen Talente nicht gibt. Das ist ein menschliches Phänomen. Ich glaube, dass der Persönlichkeitsaspekt, also der Anspruch, immer die beste Version seiner selbst sein zu wollen, in der Talentsichtung noch viel zu wenig Beachtung findet. Da schaut man auf Athletik, Technik und so weiter – nur nicht auf die charakterlichen Eigenschaften.
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Und Sie können mit glauben: Den Anspruch, als letzter in der Halle zu sein, jeden Tag besser werden zu wollen – diesen Anspruch hatte Dirk Nowitzki mit zwölf oder 14 Jahren schon genauso wie mit 34. Diese Merkmale kann man sehr früh erkennen und man sollte sich in der Sichtung stärker darauf konzentrieren. Aber das ist sicherlich kein deutsches Phänomen. Auch wenn das viele überraschen mag: Nirgendwo empfand ich das Problem der Selbstzufriedenheit gravierender als in China.“
...die dritten Plätze der U-Nationalmannschaften:
„Das hervorragende Abschneiden der Teams zeigt, dass wir in der Nachwuchsarbeit auf einem guten Weg sind. Aber wie bereits vorhin erwähnt: Wir dürfen nie aufhören, uns weiterentwickeln zu wollen. Ansonsten können uns andere Nationen auch wieder ein- beziehungsweise überholen.“
...die Weltrangliste – aktuell ist Deutschland 22.:
„Ich sehe Deutschland in den Top-10 und das wird die WM auch zeigen. Wir sind mit den Balkanstaaten mindestens auf Augenhöhe, das haben auch die jüngsten Nachwuchsturniere gezeigt. Die Zeiten, in denen uns eine jugoslawische Mannschaft mit 30-40 Punkten aus der Halle fegt, sind längst vorbei. Da haben große Entwicklungen stattgefunden.“
...die US-Mannschaft bei der WM:
„Die größte Hürde, die Amerikaner zu schlagen, war das Element der Unbesiegbarkeit im Kopf ihrer Gegner. Und das ist durch das Fehlen der absoluten Topstars nicht der Fall. Die Gegner glauben daran, dass sie das US-Team bei dieser WM schlagen können. Das nimmt den Amerikanern viel von ihrer Stärke. Und die Australier haben erst am Wochenende bewiesen, dass es geht. Ich glaube, dass die US-Amerikaner auch von unseren Jungs schlagbar sind. Sie werden bei der WM auch nicht die Dominanz der vergangenen Turniere ausstrahlen – aber dennoch sind sie natürlich unheimlich stark besetzt und der WM-Favorit.“
...seine Forderung von 2009, die Talente bereits in den Schulen abzuholen:
„Talentsichtung, Talentfindung und Talententwicklung – das waren damals und sind immer noch die drei Schlüssel zu langfristigem Erfolg. Wir sind da sicher sehr viel besser geworden. Aber da ist immer noch genügend Luft nach oben und die müssen wir nutzen, um in Europa und in der Welt immer unter den Top-6-Nationen zu sein.“
...die Qualität der WM:
„Eine EM ist sehr oft ähnlich stark besetzt wie eine Weltmeisterschaft. Australien, USA, Argentinien erhöhen natürlich das Niveau der Weltmeisterschaft – ansonsten ist eine EM fast genauso stark wie eine WM.“