Leicht erklären lässt sich dieses Phänomen nicht, denn das Berg-Gesamtpaket setzt sich aus mehreren Elementen zusammen, die belegen, dass es keiner wirklich herausragenden Qualifikationen bedarf, um zur Identifikationsfigur der populären Kultur zu werden. Andrea Bergs fragile Stimme hat nichts Herausragendes, Unverwechselbares an sich – was sofort zu spüren ist, wenn sie „Ein Schiff wird kommen“ nachsingt und man wehmütig die Wiederauferstehung von Lale Andersen und Melina Mercouri herbeisehnt. Auch ihr Repertoire an körperlichen Ausdrucksformen ist limitiert und besteht aus immer gleichen Handbewegungen und Bühnensprints, garniert mit Publikumsansprachen aus dem philosophischen Klippschulseminar.

 

So bleibt an Außergewöhnlichem vor allem ihr legendäres Outfit. Hohe Stiefel, kurzer Rock und straffe Korsage sind seit jeher das Berg’sche Markenzeichen und geben allen Damen jenseits der vierzig Anregung, was man bei den kommenden Harley-Davidson-Tagen tragen könnte. Andrea Berg ist eine singuläre Erscheinung, und einige ihrer Songs („Du hast mich tausendmal belogen“, „Die Gefühle haben Schweigepflicht“) besitzen inzwischen Evergreencharakter – eine Qualität, die sehr wenige Schlagerproduktionen des letzten Vierteljahrhunderts aufweisen.

Das Gros der Schlagersänger hingegen führt einen erbitterten Konkurrenzkampf und muss sich jeden Auftritt hart erarbeiten. In die Fußstapfen von Wolfgang Petry und Jürgen Drews, deren Produzenten irgendwann erkannten, dass ein proletarischer Duktus – „Unterschichtenmusik“ würde Harald Schmidt sagen – am besten geeignet ist, Erfolge mit deutschem Leichtliedgut zu feiern, treten Partystimmungsmacher wie Mickey Krause („Zehn nackte Friseusen“) oder Michael Wendler. Auch wenn deren Lieder an Einfallslosigkeit schwerlich zu überbieten sind, haben sie ihren zum Schlagerolymp, nein: Schlagerfeldberg strebenden Kollegen voraus, dass sie sich mit zahllosen Discoauftritten einen gewissen Promifaktor erarbeitet haben.

Manchmal wirft auch ein Bürgermeister alles hin

Von beiden wird in zwanzig Jahren vermutlich keiner mehr sprechen. Das durch TV-Castingshows angefeuerte Begehren, mit Schlagern populär zu werden, leidet unter derart düsterer Prognose jedoch nicht. Selbst amtierende Bürgermeister wie Peter Rist aus Reutlingen werfen ihren Job hin, um ihrer Schlagerleidenschaft hauptberuflich nachzugehen. Vielleicht – das sollten die Gegner dieser Musikgattung bedenken – hat Peter Handke doch recht, als er 2005 in seinen Aufzeichnungen „Gestern unterwegs“ schrieb: „Als ob man, wenn man alles durchdacht hätte, wieder bei den Schlagertexten ankommen würde.“

Ausnahmekünstlern ist es in den letzten zwanzig Jahren allerdings gelungen, mit Schlagermusik große kommerzielle Erfolge zu feiern. Wolfgang Petry zählt dazu, zeitweise auch Claudia Jung und Michelle, wenngleich mit nicht so nachhaltiger Wirkung; zuletzt schließlich Helene Fischer („Mitten im Paradies“), die mit Ausstrahlung wettmacht, was ihren Liedern an Originalität fehlt.

Und dann ist da natürlich Andrea Berg, die allen Anfeindungen zum Trotz jene Nische gefunden hat, in der sich auch mit Schlagern mehr als ein Häuschen in Großburgwedel bauen lässt. Sechsmal mit dem „Echo“, über zehnmal mit Goldenen und Platinschallplatten ausgezeichnet, gehört die inzwischen 46-Jährige aus Kleinaspach in der Großregion Stuttgart zu den wenigen Sängern, die dem schlappen Schlagergeschäft Leben einzuhauchen wissen. Ihre 2001 erschienene „Best of“-CD rangierte über sechs Jahre in den deutschen Charts, ein Erfolg, der die Platzierungen der Beatles oder von Pink Floyd übertrifft. Mit ihren genau dosierten Auftritten füllt Andrea Berg mühelos große Arenen.

Warum ist Lale Andersen schon tot?

Leicht erklären lässt sich dieses Phänomen nicht, denn das Berg-Gesamtpaket setzt sich aus mehreren Elementen zusammen, die belegen, dass es keiner wirklich herausragenden Qualifikationen bedarf, um zur Identifikationsfigur der populären Kultur zu werden. Andrea Bergs fragile Stimme hat nichts Herausragendes, Unverwechselbares an sich – was sofort zu spüren ist, wenn sie „Ein Schiff wird kommen“ nachsingt und man wehmütig die Wiederauferstehung von Lale Andersen und Melina Mercouri herbeisehnt. Auch ihr Repertoire an körperlichen Ausdrucksformen ist limitiert und besteht aus immer gleichen Handbewegungen und Bühnensprints, garniert mit Publikumsansprachen aus dem philosophischen Klippschulseminar.

So bleibt an Außergewöhnlichem vor allem ihr legendäres Outfit. Hohe Stiefel, kurzer Rock und straffe Korsage sind seit jeher das Berg’sche Markenzeichen und geben allen Damen jenseits der vierzig Anregung, was man bei den kommenden Harley-Davidson-Tagen tragen könnte. Andrea Berg ist eine singuläre Erscheinung, und einige ihrer Songs („Du hast mich tausendmal belogen“, „Die Gefühle haben Schweigepflicht“) besitzen inzwischen Evergreencharakter – eine Qualität, die sehr wenige Schlagerproduktionen des letzten Vierteljahrhunderts aufweisen.

Das Gros der Schlagersänger hingegen führt einen erbitterten Konkurrenzkampf und muss sich jeden Auftritt hart erarbeiten. In die Fußstapfen von Wolfgang Petry und Jürgen Drews, deren Produzenten irgendwann erkannten, dass ein proletarischer Duktus – „Unterschichtenmusik“ würde Harald Schmidt sagen – am besten geeignet ist, Erfolge mit deutschem Leichtliedgut zu feiern, treten Partystimmungsmacher wie Mickey Krause („Zehn nackte Friseusen“) oder Michael Wendler. Auch wenn deren Lieder an Einfallslosigkeit schwerlich zu überbieten sind, haben sie ihren zum Schlagerolymp, nein: Schlagerfeldberg strebenden Kollegen voraus, dass sie sich mit zahllosen Discoauftritten einen gewissen Promifaktor erarbeitet haben.

Manchmal wirft auch ein Bürgermeister alles hin

Von beiden wird in zwanzig Jahren vermutlich keiner mehr sprechen. Das durch TV-Castingshows angefeuerte Begehren, mit Schlagern populär zu werden, leidet unter derart düsterer Prognose jedoch nicht. Selbst amtierende Bürgermeister wie Peter Rist aus Reutlingen werfen ihren Job hin, um ihrer Schlagerleidenschaft hauptberuflich nachzugehen. Vielleicht – das sollten die Gegner dieser Musikgattung bedenken – hat Peter Handke doch recht, als er 2005 in seinen Aufzeichnungen „Gestern unterwegs“ schrieb: „Als ob man, wenn man alles durchdacht hätte, wieder bei den Schlagertexten ankommen würde.“

Autor Rainer Moritz leitet das Literaturhaus Hamburg und befasst sich zudem seit vielen Jahren mit dem deutschen Liedgut. In diesen Tagen erscheinen von ihm die Neuauflage des Meeresschlagerbuches „Und das Meer singt sein Lied“ (Mare Verlag) und „Das große Schlagerquiz“ (Carlsen Verlag).