Der Regisseur Dieter Wedel ist der erste deutsche Promi am Metoo-Pranger. Wer ist der Mann? Und hilft sein Fall der Debatte überhaupt weiter?

Stuttgart - Dieter Wedel sonnt sich gerne. Das soll keine Anspielung darauf sein, dass er oft aussieht, als hätten die Leuchtstoffröhren des Solariums in seinem nicht mehr faltenfreien Gesicht ganze Arbeit geleistet. Er sonnt sich im großen Scheinwerferlicht. Er weiß es auch geschickt zu lenken. Als er 2016 bei der Verleihung der „Goldenen Kamera“ auf dem Roten Teppich nach seinen Favoriten gefragt wird, erzählt der Mann, Regisseur, Produzent und Egomane nur seine eigene Geschichte: Wann er selbst diesen Preis zum ersten Mal bekommen hat, was ihm das bedeutete, etc. pp. Und dann muss er auf seine überschäumende Art gleich auch loswerden, was er gerade noch in seiner stets pumpenden Pipeline hat. Das ist Dieter Wedel. Er klingt wie Dieter Bohlen und sieht aus wie eben aus der Hecke gezogen. Das ficht einen wie ihn, der lieber „Kotzen“ als „Erbrechen“ sagt, nicht an. Der Mann, der nun als erster deutscher Medienpromi in der Metoo-Debatte am Pranger steht, hat dem deutschen Fernsehen die ganz großen Quoten und gesellschaftlichen Debatten beschert. Da braucht es beim öffentlichen Auftritt keinen Kamm mehr.

 

Es ist auch völlig egal, ob er nun, die Quellen widersprechen einander, 1939 oder 1942 in Frankfurt am Main geboren wurde. Wedel, Sohn eines Ingenieurs und einer Pianistin, ist nichts als Wedel. So oder so. Starregisseur. Großmeister des deutschen Fernsehens. Oder, um Dieter Wedels stechenden Blick aus blauen Eis-Augen in Worte zu fassen: Ich Zampano, Du nichts. „Der große Bellheim“, „Der Schattenmann“, „Die Affäre Semmeling“ – alles mehrteiliger und sehr erfolgreicher Fernsehstoff, den er sich königsmantelgleich dauerwärmend um die Schultern geworfen hat. Aber das ist alles lange her. Was er im Fernsehen in den vergangen Jahren verlauten ließ, könnte ihn dagegen kaum noch verhüllen. Bei jeder politischen Affäre, ob VW oder Seehofer, hob er zwar schnipsend den Arm: „Ja, das verfilme ich. Das ist meins.“ Heraus kam aber nichts.

Sechs Kinder mit sechs Frauen

Seit mehr als zehn Jahren warten seine Fans auf einen Mallorca-Mafia-Film mit dem Arbeitstitel „Die Piraten-Insel“. Nebenbei geht Wedel seit 2015 in seiner Rolle als Intendant der Bad Hersfelder Festspiele auf. Aufgehen ist milde gesagt. Er scheint fast zu platzen vor Lust an der Macht. Der Burgschauspieler Paulus Manker sollte 2017 in einem Stück die Titelrolle spielen, wurde aber kurz vor Beginn der Festspiele von Wedel gefeuert. Für Manker ist Wedel ein „nordkoreanischer Diktator“.

Herrisch, furchteinflößend, Frauen aufreißend. Mit diesen Zuschreibungen kann man Wedel und sein unerschütterliches Selbstbewusstsein kaum noch beeindrucken. Weiß er doch. Pflegt er seit Jahrzehnten, dieses Image. Er hat sechs Kinder mit sechs Frauen, eine Dauerliebe und lebte früher auch gerne in Dreiecksbeziehungen. Seine Polyamorie trug er so offen und selbstverständlich zur Schau wie seine goldumrandete Sonnenbrille.

„Von nun an hatte ich immer zwei, drei, manchmal auch vier Freundinnen gleichzeitig. Ließ mich eine fallen, waren immer noch genug da, um mich aufzufangen“, schreibt Wedel in seiner Autobiografie. Und weiter: Er sei Frauen gegenüber „eher schüchtern“, nie habe er eine Frau angemacht. Aber es gab ja „einen sicheren Trick“, Frauen zu begeistern: einfach reden lassen und hin und wieder bewundernde Laute einstreuen. Sein Motto: „Abwarten können zahlt sich aus. Ein guter Jäger wartet“. Mit der Schauspielerin Hannelore Elsner hat er einen Sohn, heute soll er seiner Dauerliebe, die er mit 27 Jahren kennenlernte, die Treue schwören.

Ein böser Verdacht, nie mehr entkräftbar

Das weiß kaum einer, sein Privatleben hat auch niemanden groß interessiert. Bis heute. Bis zwei „Zeit-Magazin“-Redakteurinnen bei ihrer Recherchearbeit unter fünfzig Befragten mehrere Frauen gefunden haben – zwei, die auch namentlich dazu stehen – , die Dieter Wedel der sexuellen Nötigung bezichtigen. Prompt fällt ihm sein Image auf die Füße.

Wedel ist von heute auf morgen in den Augen vieler nicht mehr der erfolgreiche Fernsehmacher, sondern der deutsche Harvey Weinstein. „Ehemalige Schauspielerinnen sagen #Metoo, und nennen einen Namen. (für Abonnenten)“ vermeldete der Twitteraccount von „Zeit Online“ am 3. Januar 2018. Dieter Wedel, der dem kollektiven Gedächtnis plötzlich schon immer ein schlimmer Finger schien, ist der erste prominente Deutsche, der in der Metoo-Debatte auftaucht – oder mit aller Recherche-Kraft hineingestoßen wurde. Voranbringen wird das die Bewegung kaum. Im Gegenteil. Die Redakteurinnen haben ihr vielmehr einen Bärendienst erwiesen.

Da die Vorwürfe gegen Wedel mehr als zwanzig Jahre zurückliegen, können sie strafrechtlich nicht mehr verfolgt und schon gar nicht mehr aufgeklärt werden. Mit dem Fall Weinstein ist das also kaum vergleichbar. Wedel selbst bestreitet die Vorwürfe auch und hat sein Dementi – wie die Frauen ihre Aussagen allerdings auch – an Eides statt versichert. Aussage steht gegen Aussage. Ein böser Verdacht jedoch, nie mehr entkräftbar, wird am Ende hängenbleiben. Und das unbestimmbare Gefühl, da sei anklagenden Frauen nicht geholfen worden, ein mutmaßlicher Straftäter sei ungeschoren davongekommen.

Der Fall Wedel ist ein klassisches Beispiel für Vorverurteilung, für Medientribunale - oder wie „Cicero“ schreibt, „Ächtung auf Zuruf“. Namen zu nennen, ist in der längst überfälligen Diskussion über Sexismus auch in Deutschlands Filmbranche wichtig. Wer die Metoo-Debatte wirklich voranbringen will, muss auch Namen nennen. Aber nützen tut dies nur, wenn die Fälle auch aktuell und überprüfbar sind.