Im Fall von Claudia Pechstein geht es vor dem BGH um die Unzulänglichkeiten des Schiedsgerichtes und die gesamte Sportrechtssprechung. Wenn die Eisschnellläuferin den Prozess gewinnt, hätte das weitreichende Folgen.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Karlsruhe - Claudia Pechstein muss warten. Wieder einmal. Seit fast schon sieben Jahren geht die ehemals schnellste Frau der Welt auf Kufen den mühsamen und oft langsamen Weg durch die Instanzen nationaler und internationaler Gerichtsbarkeit. Am Dienstag hat die fünfmalige Olympiasiegerin ihre Sache vor dem höchsten deutschen Zivilgericht vorgetragen. Nach intensiver Verhandlung trat Pechstein in ihrer dunkelblauen Uniform der Bundespolizei vor die zahlreich erschienen Kameras und sagte, was sie in diesem Zusammenhang immer sagt: „Ich glaube fest daran, dass die Gerechtigkeit siegt“. Die Gerechtigkeit wird sich am 7. Juni äußern. Dann wird Gerichtspräsidentin Bettina Limperg die Entscheidung verkünden.

 

Für Claudia Pechstein geht es um viel. Um rund vier Millionen Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld – und natürlich um die Bestätigung, dass ihr Unrecht widerfahren ist, als der internationale Sportgerichtshof (Cas) sie wegen Doping gesperrt hat. Das war im Jahre 2009. Der BGH entscheidet im Juni 2016 aber zunächst über eine Vorfrage, die noch nichts darüber aussagt, ob Claudia Pechstein auch nur einen Cent erhalten wird. Die Bundesrichter müssen darüber befinden, ob sich deutsche Gerichte überhaupt mit der Materie beschäftigen dürfen. Denn vor dem entscheidenden Wettkampf in Norwegen, bei dem eine Blutprobe bei Pechstein Anomalien aufgewiesen hat, hatte die Athletin eine Erklärung unterzeichnet. Darin hat sie sich der Sportgerichtsbarkeit unterworfen – alleine und ausschließlich.

Der Sportgerichtshof steht im Mittelpunkt

Es geht daher in Karlsruhe nicht nur um Claudia Pechstein. Es geht auch – und das ist für viele der bedeutendere Teil – um die Art und Weise, wie der Sport über seine Delinquenten befindet. Und weil die Emotionen hoch kochen, zeigten sich die Anwälte der immer noch aktiven Eisschnellläuferin sehr bemüht, die Wogen zu glätten. Es sei nicht das Ziel, die Sportgerichtsbarkeit abzuschaffen, sagt Thomas Summerer. Sein Kollege Simon Bergmann, der die Causa Pechstein vom ersten Tag an juristisch begleitet, ergänzt: „Wir wollen dem Sport bei nötigen Reformen helfen“. Der Sportgerichtshof ist in Karlsruhe nicht am Prozess beteiligt – aber er steht im Mittelpunkt.

Beim Cas in Lausanne ist Claudia Pechstein mit dem Vorgehen gegen ihre Sperre mehrfach gescheitert, ebenso beim Schweizerischen Bundesgericht. Das Landgericht in München hat ihre Sicht der Dinge größtenteils nicht geteilt, erst das Oberlandesgericht gab ihr Recht. Sehr verkürzt argumentierten die Münchner Richter so: Hätte Pechstein nicht die Erklärung unterzeichnet, dann hätte sie nicht beim Wettkampf antreten dürfen. Es liegt daher keine freiwillige Unterschrift vor. Der Weltverband ISU hätte seine marktbeherrschende Stellung widerrechtlich ausgenutzt, argumentieren die Münchner Richter mit deutschem Kartellrecht und kommen zu dem alles entscheidenden Schluss, dass der Athletin vor dem Cas kein faires Verfahren garantiert sei, weil die Sportverbände entscheidend Einfluss auf die Besetzung des Schiedsgerichts ausüben.

Das Kartellrecht könnte den Ausschlag geben

Die Internationale Sportgerichtsbarkeit scheitert also am deutschen Kartellrecht? So krass möchte das Gottfried Hammer nicht ausdrücken. Der BGH-Anwalt Pechsteins sagt allerdings auch: „Natürlich muss sich der Cas an den Maßstäben der Rechtsordnungen von all den Staaten messen lassen, von denen er anerkannt werden will.“ Ob dem wirklich so ist, das muss der BGH nun prüfen. Und auch wenn die Richter keinen Hinweis darauf gegeben haben, in welche Richtung sie tendieren: allein aus der Tatsache, dass das Urteil in Karlsruhe erst im Frühsommer ergeht, kann man schließen, dass zumindest im Augenblick keine Einigkeit in dem fünfköpfigen Senat besteht.

In der Tat gibt es auch gute Argumente dafür, dass sich die deutschen Gerichte aus der Sache rauszuhalten haben. Wenn nationale Gerichte über die Dopingvergehen ihrer Athleten bestimmen, dann bedeutet dies auch, dass in Moskau und Peking entschieden werden kann. Das wird ernsthaft niemand als förderlich empfinden. Und auch der Hinweis, dass Claudia Pechstein die Schiedsgerichtsvereinbarung erst in Zweifel gezogen hat, nachdem der Cas gegen sie entschieden hatte, weckt Bedenken an der Ernsthaftigkeit ihres Vorgehens.

Ohne Bedeutung für die Entscheidung ist die Mehrarbeit, die im Falle von Pechsteins Erfolg auf die Gerichte zukommt. Mehrere Athleten haben bereits angekündigt, ebenfalls klagen zu wollen.