Sebastian Coe zeigte schon als Mittelstreckler große Widerstandsfähigkeit, auch deshalb wurde er 1980 und 1984 Olympiasieger über 1500 Meter. Dieses Durchsetzungsvermögen hat sich der Brite als Funktionär bewahrt. Der von ihm geführte Leichtathletik-Weltverband hat russische Athletinnen und Athleten nach dem staatlich orchestrierten Dopingskandal am härtesten bestraft – viel härter, als es dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) lieb war. Nun kommt World Athletics (WA) den Herren der Ringe erneut in die Quere. Der Leichtathletik-Weltverband hob die Doping-sanktionen zwar jetzt auf, hielt aber an der Sperre gegen russische und belarussische Sportler wegen des Angriffskrieges in der Ukraine fest. Auch das passt dem IOC ganz und gar nicht, wird es allerdings trotzdem nicht aus der Bahn werfen.
Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass IOC-Präsident Thomas Bach nächste Woche die Rückkehr der Athleten aus Russland und Belarus in die olympische Familie verkünden und ihnen damit den Weg zu den Sommerspielen 2024 in Paris ebnen wird – aller Widerstände zum Trotz. Bach spricht davon, dass sich das IOC in einem „Dilemma“ befinde. Es könnte gut sein, dass der Meister des Taktierens die Lage diesmal falsch einschätzt: Vieles deutet auf eine Zerreißprobe hin, wie sie der Sport noch nicht erlebt hat.
Lob von Wladimir Putin und Xi Jinping
Völlig zurecht wird Bach dafür kritisiert, die Menschenrechte von Athleten, die von den Sanktionen gegen einen Kriegsaggressor betroffen sind, höher zu gewichten als die Rechte von Menschen, die unter barbarischen Kampfhandlungen leiden. Das IOC will russische und belarussische Sportler als „neutral“ einstufen, wohlwissend, dass es die Ukrainer damit ausschließen würde – ihnen bliebe nichts anderes übrig als der Boykott. Und zugleich, das lehren die Erfahrungen der jüngsten Olympischen Spiele, als wegen des Dopingskandals russische Flaggen und Hymnen ebenfalls verboten waren, würden Wladimir Putin und seine Gefolgsleute jede Medaille zu Propagandazwecken missbrauchen. Der russische Präsident und sein chinesischer Kollege Xi Jinping haben dem IOC schon mal für die „Verteidigung der olympischen Werte“ gedankt. Tragisch, dass nicht mehr Leute im Olymp über das Urteilsvermögen von Sebastian Coe verfügen.