Oliver Plaschka schreibt Fantasybücher. In ihnen treiben Magier, Schwertkämpferinnen und Götter ihr Unwesen. Von ernsten Menschen wird das als trivialer Eskapismus geschmäht. Der StZ-Autor Thomas Klingenmaier ist ihm begegnet.

Stuttgart - Es gibt Menschen, für die besteht das Leben nur aus klaren Realitäten, aus Fakten, so hart, dass man damit Walnüsse knacken kann. Es gibt aber auch andere, für die besteht die Welt zusätzlich noch aus Möglichkeiten, ja, vielleicht auch aus Unmöglichkeiten. Der 1975 in Speyer geborene Oliver Plaschka ist so einer, ein deutscher Fantastikautor. In seinen Romanen wie dem im März erschienenen „Das Licht hinter den Wolken“ passieren Dinge, die das Physikbuch nicht erklären kann. Manchmal spielen sie in Ländern, die im Atlas nicht auftauchen, zu Zeiten, die kein Kalender je verzeichnet hat.

 

Plaschka kennt den Vorwurf, mit dem seine Literatur auf den Kehricht gefegt werden soll. „Der Begriff Eskapismus wird als Dicke Bertha gegen alles aufgefahren, was mit Zwergen, Zauberern und Vampiren zu tun hat.“ Er trägt ein Gegenargument mit der Beiläufigkeit dessen vor, der weiß, dass Logik und Fairness in der Debatte über die Verwerflichkeit des Fantastischen keinen Stich bekommen. „Tolkien hat 1937 in seinem Aufsatz ‚Über Märchen‘ geschrieben, dass es manchmal heroisch oder sogar eine Pflicht sein kann, vor einer schrecklichen Wirklichkeit zu flüchten. Genau so, mit allem Pathos, empfinde ich das auch.“

Die Lehrer haben das nicht verstanden

Immerhin richtet sich der Verdacht unwürdiger Albernheit gegen erwachsene Fantastikliebhaber. Bei Kindern scheinen wir rege Fantasie eher zu schätzen. War Plaschka also wenigstens der Liebling der Lehrer, die im Über-die-Wirklichkeit-Hinausträumen die Unruhe des Künstlers erkannten? Er hat da andere Erinnerungen und Narben. „Die Deutschlehrerinnen waren die ,bad guys‘ meiner Kindheit.“

Tatsächlich hat man dem kleinen Oliver zu verstehen gegeben, dass das, wofür er sich interessiert, der letzte Dreck sei. „Als jeder in unserer Klasse ein Referat über sein Lieblingsbuch halten durfte, habe ich Alan Dean Fosters ‚Krull‘ mitgebracht“, also eine mit Fantasy verquirlte Science-Fiction-Geschichte von dem Überfall wüster Kreaturen auf den Planeten Krull.

Plaschka erinnert sich gut an den Moment, als er seinen Favoriten den Mitschülern nahebringen wollte. „Die Lehrerin hat der Klasse erklärt: ,Das ist das furchtbarste Buch, das ich je gelesen habe.‘“ So wurde Literaturvermittlung jenseits der schönen Phrasen betrieben: Kindliche Leselust war eine respektlose Undiszipliniertheit, die es auszutreiben galt.

Höhere Mächte haben ihn geleitet

Wer einen Kampf erzwingt, sollte auch damit rechnen, ihn zu verlieren. Die Schule hat Plaschka die Lust am Fantastischen, an Science, Fiction, Fantasy und Horror, nicht ausgetrieben. Aber die bornierte Verachtung seiner Literatur hat ihm die Lust an der Schule genommen. „Ich war acht Jahre alt, da habe ich ein ,Perry Rhodan‘-Heft in die Hände bekommen, und es war um mich geschehen“, so benennt Plaschka den Beginn einer niemals ermattenden Neugier. Dagegen konnten ein paar erhobene Zeigefinger bisher nichts ausrichten.

In der Fantasy gibt es immer wieder Figuren, die merken, dass eine höhere Macht sie einer Bestimmung zuführt. Wenn Plaschka erzählt, ist leises Amüsement darüber durchzuhören, dass man seine Jugend entlang dieses Musters erzählen könnte. Der Hader mit der Schule, die Abkapselung gegenüber den Erwartungen hatte zu einem nicht schlechten, aber auch nicht gerade brillanten Abiturnotenschnitt geführt. „Ich war ziemlich ratlos, was ich machen sollte, und habe erst einmal ein Jahr verplempert.“

Auf der Suche nach etwas, das sich mit seinem Schnitt studieren ließe, stieß Plaschka zufällig und ohne jeden Enthusiasmus, wie er beteuert, auf Anglistik und Ethnologie in Heidelberg. Er hätte es nicht besser treffen können. „In Anglistik hatten die Dozenten einen ganz anderen Horizont als die Germanisten. Sie lasen Fantastik und ließen sie gelten.“ Der aus der Wirklichkeit ausbrechende Plaschka war auf eine Kolonie erfahrener Flüchtlinge gestoßen, die hochinteressante Karten der Gefilde jenseits des Alltags zeichnen konnten. „Mir ging eine ganz neue Welt der literarischen und klassischen Fantastik auf, von Edgar Allan Poe über Lovecraft bis hin zu Philip K. Dick.“

Viele Fantasy-Titel sind halt einfach Schrott

Mit den Werken dieser Autoren lässt sich schwer vergleichen, was in den Fantastikecken der Buchhandlungen an aktuellen Werken liegt. Plaschka hegt da keine Illusionen. „Vieles davon ist Schrott und bedient das Klischee von Fantasy als Kram ohne sprachliche Gestaltung und gedankliche Tiefe.“ Bei manchem Bestseller kann er richtiggehend wütend werden. „Stephenie Meyer hat mit ihren ‚Twilight‘-Romanen die literarische Figur des Vampirs auf Jahrzehnte hinaus unbenutzbar gemacht.“

Aber als verständliche Reaktion auf das Überangebot mieser Bücher lässt er die Vorbehalte deutscher Kulturbürger gegen das Fantastische nicht durchgehen. Er verweist auf die Formel des amerikanischen Science-Fiction-Autors Theodore Sturgeon, 90 Prozent der SF seien fraglos Bockmist. „Aber 90 Prozent von allem“, so die als Sturgeons Gesetz bekannt gewordene Einschätzung, „sind Bockmist.“

Wenn also die Mehrzahl aller Filme, Bücher und Konsumgüter nichts taugt, warum werden dann einzelne dumme Fantasybücher als Beleg der grundsätzlichen Dummheit von Fantasy gewertet, warum müssen sich Fantasyleser und -autoren hierzulande auch nach „Harry Potter“ noch wie die Unberührbaren des Gutenberg-Universums fühlen? „Vielleicht stammt das aus der direkten Nachkriegszeit“, wagt der Film-, Buch- und Rollenspielliebhaber Plaschka eine Antwort. „Angesichts der großen Aufgabe des Wiederaufbaus war man ganz aufs Konkrete und Praktische ausgerichtet. Man wollte keine Kraftverschwendung an anderes zulassen.“ Aber wie kann eine solche momentane Blickverengung sich so stur vererben? Auch Oliver Plaschka hat keine Erklärung. Manche Elemente der Wirklichkeit sind so fantastisch, dass auch Berufs- und Leidenschaftsfantasten an die Grenzen des Verstehens stoßen.