Drei Regisseure – Tom Tykwer und die Geschwister Wachowski – versuchen in einem Kraftakt, die sechs Geschichten des Romans von David Mitchell in einen Film zu zwingen.

Stuttgart - Es ist das Jahr 2346. Unter den Sternen sitzt ein tätowierter Alter am Lagerfeuer und spricht große Worte von seiner Begegnung mit Tod und Teufel. Es ist das Jahr 1849. Ein junger Kolonialist erlebt auf einer Plantage, wie Sklaven ausgebeutet und gepeinigt werden. Es ist das Jahr 1973. Eine Reporterin kommt in einem US-Atomkraftwerk einem Skandal auf die Spur. Es ist das Jahr 2144. In der Hightechglitzerstadt Neo-Seoul stiftet ein Rebell eine Androidin zum Aufstand an. Es ist das Jahr 1963. In Cambridge versucht ein berühmter Komponist, das Werk seines jungen Assistenten und Rivalen als das eigene auszugeben. Es ist das Jahr 2012. Ein Londoner Verleger wird in ein Heim eingesperrt und will ausbrechen. All dies sind nur Andeutungen, extrem geraffte Zusammenfassungen jener sechs Geschichten, welche Tom Tykwer („Das Parfum“) und Andy und Lana Wachowski („Matrix“) in den 162 Minuten ihres hochambitionierten Films „Cloud Atlas“ erzählen.

 

Oder sollte man besser sagen: erzählen wollen? David Mitchells Romanvorlage, die in Deutschland „Der Wolkenatlas“ heißt, galt als unverfilmbar. Wie sollte man auch siebenhundert Seiten eines durch Zeiten und Welten springenden Werks, das zudem die Genres und Stilebenen wechselt, auf die Leinwand übertragen? Das ebenso furchtlose wie selbstbewusste Regietrio versucht es paradoxerweise dadurch, dass es das Arrangement der Vorlage noch komplizierter macht. Während Mitchell seine sechs Geschichten zwar aufeinander bezieht, aber doch jede separat erzählt, durchdringen sie sich nun im Film, fallen sich an dramaturgisch wichtigen Stellen quasi ins Wort und ins Bild, so dass die jeweilige Fortführung systematisch verzögert und aufgeschoben wird.

Man kann diesen Film tatsächlich sehen als eine Ansammlung von Fortsetzung-folgt-Kniffen. Bloß dass die Spannung dabei nicht steigt, sondern nachlässt. Gerade wenn man sich nämlich ein wenig eingesehen und eingelassen hat auf eine der Geschichten, etwa auf den Politthriller, die Endzeitstory oder das Künstlerdrama, wird man gleich wieder herausgeworfen durch die Science-Fiction, den Kostümfilm oder die Farce. „Cloud Atlas“ ist eine Story- und Bildermaschine, die als Rezipienten wohl multitaskfähige Videogamer braucht.

Schauspieler in immer neuen Zeiten und Rollen

Dabei ist dies nichts anderes als der Versuch, eine zersplitterte Welt mit all ihren Rassen, Klassen, Geschlechtern und Problemen noch einmal zusammenzubringen, zusammenzudenken, erzählerisch zu bewältigen. Alejandro Gonzalez Inarritu ist dies mit seinem Drama „Babel“ (2006) gerade noch gelungen, auch wenn seiner globalisierten Erzählung die Anstrengung manchmal anzumerken war. Aber „Cloud Atlas“ will ja nicht nur den Querschnitt durch die Welt, sondern auch noch den Längsschnitt durch die Zeit: Fünfhundert Jahre sollen hier durchmessen werden! Doch das ist ziemlich anmaßend, und man muss dazu noch einmal die Zitate-Spielereien der Postmoderne bemühen. Oder die Welt in eine Art esoterisches Wuchern und Wabern bringen, hingeraunte Sätze einstreuen wie „Die Welt wird von denselben unsichtbaren Kräften gedreht, die uns unsere Herzen verwirren“. Sätze also, die nicht durch Sinn, sondern nur durch Pathos zusammengehalten werden. Einer Androidin ist dann jener Spruch vorbehalten, der das Bauprinzip von „Cloud Atlas“ erklärt: „Unsere Leben gehören nicht uns, alles ist miteinander verbunden.“

Diese Verbundenheit will der Film unter anderem mit einer besonderen Art der Reinkarnation demonstrieren: Er lässt seine Schauspieler in immer neuen Zeiten und Rollen auftreten, aber jedes Mal mit demselben Muttermal. Tom Hanks und Halle Berry spielen in allen sechs Geschichten mit, Jim Broadbent immerhin in fünf, und es wird für den Zuschauer dabei zu einer Art Sport, die Stars unter ihren jeweiligen Masken zu erkennen. Aber alle Protagonisten sind Abkürzungen für echte Charaktere, bleiben von des Gedankens Blässe angekränkelte Spielfiguren.

Es steckt viel Geld, auch viel Talent in diesem Film, der zu großen Teilen in Babelsberg entstanden ist. Aber man darf in einer Filmkritik keine Standortverteidigung betreiben, man muss letztlich konstatieren: „Cloud Atlas“ mag seine Momente haben, vor allem als pralles Ausstattungsstück, im Großen und Ganzen aber – und um das Große und Ganze geht es hier ja immer! – scheitert dieser Film an seinen von vornherein unmöglichen Ansprüchen.