Stuttgarts Altstadt trägt Tauer: Oskar Müller, bis Corona der kauzige Chef der Uhu-Bar im Leonhardsviertel, ist im Alter von 86 Jahren gestorben. Bei ihm trafen sich Kreative, Stadtpromis sowie Lebenskünstler aller Art und liebten seine offenen Worte.
„Woanders is auch Scheiße“, stand auf dem Bild, das an der roten Wand der Uhu-Bar im Leonhardsviertel über Jahre hing. Peter Müller, zu dem alle Oskar sagten, war der Chef dieser kleinen Raucherkneipe im Erdgeschoss eines Laufhauses. In aller Regel hockte Oskar bis morgens um 4 Uhr auf seinem roten Lieblingssofa ganz rechts – direkt am Eingang, wo er Freier abwies und zum „richtigen Puff“ weiterschickte.
In guten Momenten sagte Oskar, er müsse 100 Jahre alt werden. Denn der Wasenwirt Hans-Peter Grandl habe ihm versprochen, dann seine Geburtstagsfeier in der Schleyerhalle auszurichten. Daraus wird nichts. Im Alter von 86 Jahren ist er am Sonntag in seinem Pflegeheim in Berg gestorben. Es sei eine „Erlösung“ für ihn gewesen, sagen seine Freunde, Oskar habe seit Langem nichts mehr essen können.
„Eigentlich hätte ich erschossen oder erstochen werden müssen“
Seine Uhu-Bar, die heute von einer neuen Generation an Altstadt-Wirten geführt wird, war ein öffentliches Wohnzimmer mit den Fotos eines bewegten Lebens an den Wänden. Was um ihn herum im Rotlichtviertel geschah, gefiel dem gebürtigen Leipziger und Boxfan zuletzt nicht mehr. „Es gibt kein Milieu mehr“, schimpfte er, „das Gerede davon ist nur noch Nostalgie.“ Der Drogenhandel breite sich immer stärker aus, und die Ordnungsmacht lasse sich viel zu selten blicken. Das gefiel ihm gar nicht: „Wenn die Polizei kommt, pfeift einer, und alle Dealer sind weg.“
Nach der Wahrscheinlichkeit eines Altstadtlebens, sagte der 1,68 Meter große Oskar einmal, der viermal verheiratet war, hätte er längst „erschossen oder erstochen werden müssen“. Doch mit „Grips“ habe er sich „gegen die Schränke“ des Rotlichts von Frankfurt durchgesetzt, wo er ein Lokal für Zuhälter betrieb. 2006 zog er nach Stuttgart, wo ihm der Betreiber eines Laufhauses die Uhu-Bar im Erdgeschoss anbot. Rasch wurde dieses Biotop der Nacht zu einem Treff der Partyszene, von Künstlern und Kreativen.
Klaudia Kacijan half ihm mit ihrer Zwillingsschwester Kornelia Kacijan beim Betrieb der Bar, sie organisierten kulturelle Veranstaltungen wie Konzerte oder Lesungen – Oskar blieb die Attraktion, wenn er etwa frühmorgens seine Matrosenmütze aufsetzte, „Ruhe im Puff“ rief, bevor er das Lied „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ von Hans Albers sang.
Er war ein Experte für Doppelmoral
Wenn junge Freier an ihm vorbei auf der knarrenden Treppe ins obere Laufhaus gingen, konnte er sich manchmal eine Bemerkung nicht verkneifen: „Als wir jung waren, hat keiner von uns für Sex bezahlt - da kamen die Mädels zu uns von allein.“ Auch wenn Hochbetrieb herrschte im Puff, bedeute dies nicht, dass die Damen reich werden könnten. „Viele Jungs kommen nur zum Gucken“, sagte Oskar. Nachmittags kämen die „Bürohengste“. Das seien „meist die, die Prostitution öffentlich ablehnen“. Müller, einer der Letzten seines Fachs, war Experte für Doppelmoral.
Der Termin für die Beerdigung steht noch nicht fest
In der Corona-Pandemie musste die Uhu-Bar schließen, was Oskar schmerzte, weil sein ganzes Herzblut da drinsteckte. Im Juni 2021 erfuhr er schließlich, dass der bisherige Besitzer das gesamte Haus verkauft hatte – das Uhu-Team bekam die Kündigung. Den Oskar sah man trotzdem immer mal wieder in der Altstadt, um etwa beim Brunnenwirt zu essen. Einmal musste der Notarzt geholt werden, weil er zusammenbrach, wovon John Heer erzählt, der Zimmer an Prostituierte vermietet.
In der Altstadt hat sich die Nachricht von Oskars Tod am Dienstag schnell herumgesprochen. Die Trauer um eine ehrliche Haut, um einen Aufrechten, der immer das sagte, was er dachte, der Humor besaß und die Reife, das Wichtige von dem Unwichtigen zu unterscheiden, ist groß. Der Termin für die Beerdigung steht noch nicht fest.