Frank Castorf koppelt am Hamburger Schauspielhaus drei expressionistische Dramen Eugene O’Neills. Das ist hochkreativ, klug und scharf. Bleibt die Frage, wie ein solcher Theaterabend echte Dringlichkeit entwickeln kann.

Hamburg - Es ist die zweite große Frank-Castorf-Premiere, nachdem der 66-Jährige vergangenen Sommer die Intendanz der Berliner Volksbühne abgeben musste, die erste außerhalb Berlins. Und wenn man sich daran erinnert, welche Verwerfungen dieser Leitungswechsel in der Theaterwelt zur Folge hatte, versteht man das Interesse, das Castorfs Inszenierung von Eugene O’Neills expressionistischem Drama „Der haarige Affe“ am Hamburger Schauspielhaus auf sich zieht: Würde der Meister der Theaterdestruktion die Gelegenheit nutzen, mit dem von enttäuschtem Arbeiterstolz durchzogenen Stück seinen Volksbühnen-Nachfolger Chris Dercon anzugreifen?

 

Kaum. Castorf koppelt „Der haarige Affe“ mit zwei weiteren Stücken O’Neills, der metaphysischen Dschungelverfolgung „Kaiser Jones“ und dem Künstlerdrama „Der große Gott Brown“, in dem ein Emporkömmling die Rolle eines Künstlers einnimmt, zumindest das wäre ein kleiner, böser Volksbühnen-Bezug! Er erzählt sie zwar verschränkt, aber für seine Verhältnisse traditionell nach. Geschickt verbindet die Inszenierung die drei Stücke durch Arthur Rimbauds Gedicht „Das trunkene Schiff“, weniger geschickt durch eine illustrative Musikauswahl, die für das alkoholselige Proletariat Brecht/Weills „Alabama Song“ passend findet und für die Oberschichtsgöre Mildred (Lilith Stangenberg) „Rich Bitch“ der Krawallrapper Die Antwoord. So schnurrt das in für Castorf relativ publikumsfreundlichen fünfeinviertel Stunden dem Ende zu, der Schiffsheizer (Charlie Hübner) in „Der haarige Affe“ verliert seinen Glauben an die Macht der Arbeiterfaust, der Ausbeuter (Marc Hosemann) in „Kaiser Jones“ auf der Flucht vor den revoltierenden Massen seinen Verstand, und der Erfolgsmensch Brown (Daniel Zillmann) nimmt in „Der große Gott Brown“ die Rolle des melancholischen Künstlers Dion (Paul Behren) an. Alles nachvollziehbar soweit.

Filmbilder doppeln das Bühnengeschehen

Zwischendurch ziehen sich hübsche Frauen aus, dreht sich die Straßenszenenbühne Aleksandar Denićs, wird das Geschehen im Filmbild gedoppelt. Der Einsatz von Livefilmen zählt schon seit längerem zu den wichtigsten Theatermitteln im Regiekonzept Castorfs, hier ist er allerdings inhaltlich begründet: Sowohl in „Der haarige Affe“ als auch in „Kaiser Jones“ geht es um Abstiege, ins Unterbewusste natürlich, aber auch ganz konkret in die Tiefe des Urwalds und in den Bauch eines Ozeandampfers. Der Film erlaubt es der Inszenierung, diese Abstiege tatsächlich auf der Bühne stattfinden zu lassen – weite Teile des Abends finden auf der Unterbühne statt und lassen sich vom Publikum nur auf Leinwänden nachvollziehen. Allerdings hat Castorf diesen Filmeinsatz über die Jahre hinweg perfektioniert, sodass nicht der Eindruck erweckt wird, dass man im Kino sitzt, sondern eher, dass einem das Theater nahekommt wie selten: mit den weit aufgerissenen Augen eines Charlie Hübner, mit dem wabernden Fleisch eines Josef Ostendorf. Und leider auch mit der makellosen Haut einer Lilith Stangenberg, die als Augenschmaus auf die Leinwand projiziert wird. Dass er von der aktuellen Debatte über Sexismus in der Kunst wenig verstanden hat, beweist Castorf mit ein paar halbgaren Vergewaltigungswitzen in der zweiten Hälfte des Abends.

Das Ensemble ist perfekt eingespielt

Aber vielleicht sollte man Castorfs Anteil an „Der haarige Affe“ nicht überschätzen. Welche Bedeutung das perfekt eingespielte Ensemble für dieses Theater hat, zeigt ein ungeplantes Detail: Kurz vor der Premiere erkrankte Schauspielerin Thelma Buabeng, kurzfristig sprang Kathrin Angerer für diese ein. Und Angerer spielt Buabengs Rolle mit der routinierten Sicherheit der erfahrenen Castorf-Spielerin, sie weiß genau, was dieser Regisseur von ihr will, und das liefert sie souverän ab. Angerers Performance zeigt, dass es hier womöglich gar keine Regie mehr braucht, dieses Theater würde auch ohne funktionieren. Zumal Castorf verhältnismäßig wenig Neues eingefallen ist für diesen klugen, scharfen, hochkreativen O’Neill-Dreier – dem irgendwie die Dringlichkeit abhanden gekommen scheint.

Aufführungen am 21. Februar sowie am 4., 26. und 30. März