Reportage: Robin Szuttor (szu)
Sie sprechen Hitler ein ziemliches Maß an künstlerischer Begabung zu.
Was mir von mancher Seite die Kritik eingebracht hat, dabei gehe doch verloren, was für ein primitiver, zerstörerischer Mann er gewesen sei. Aber jemandem Künstlertum zuzuschreiben, bedeutet ja nicht, ihn in irgendeiner Weise moralisch aufzuwerten. Wenn man einen naiven Kunstbegriff pflegt, die Kunst als das alleinige Streben nach Gutem, Wahrem, Schönem begreift, versperrt man sich den Zugang zu einer wichtigen Einsicht: Die ästhetische Aufladung der Politik ermöglicht einem Politiker wie Hitler ganz neue Herrschaftsressourcen und verstärkt seine Durchschlagskraft.
Also nicht Hitler lädt die Politiksphäre ästhetisch auf? Er ist nur derjenige, der die bereits vorhandenen Ansprüche am besten bedienen kann?
Seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es in Deutschland eine massive Genie-Erwartung an die Politik. Selbst untadelige Antinazis erblicken die ästhetische Überfrachtung des Politischen – und die dämonische Potenz, die sie in sich birgt. Thomas Mann billigt Hitler im Essay „Bruder Hitler“ durchaus Künstlertum zu, um in „Doktor Faustus“ das Ganze schließlich in seiner destruktiven Entladung auszubreiten.
Es fällt auf, dass sich der Politiker Hitler im Lauf des Kriegs immer stärker zu Gunsten des Obersten Befehlshabers der Wehrmacht zurücknimmt. Erst am militärischen Kartentisch stilisiert er sich dann zum Genie.
Es ist in der Tat eine Position, die Hitler nie in seiner Kampfschrift für sich beansprucht. Es ist nicht so, dass er sich mit „ Mein Kampf“ als Feldherr warmlaufen will. Am 20. Mai 1940 nach dem Sieg gegen Frankreich bringt Göring zum ersten Mal den Geniebegriff für Hitler ins Spiel. Der Feldherr Hitler muss sich als Militär ja neu legitimieren. Da ist es geradezu verführerisch, sich als Genie eine universale Generalermächtigung einzuholen – und damit direkt an Friedrich den Großen anzuknüpfen, die verkörperte Synthese vom genialen Staatsmann und Feldherren, kunstbeflissen zudem, in Sanssouci die Flöte spielend.
Hitler muss sich anfangs gegen den preußischen Generalstab durchsetzen, der damals als einer der besten der Welt gilt. Als Strategen sind die Generäle folglich nicht ohne Weiteres zu vereinnahmen.
Das macht Hitler mit seiner Kartenüberlegenheit. Er muss mit verblüffenden strategischen Entscheidungen auf Augenhöhe mit der Generalität verkehren und bringt dafür seine genuine visuelle Kompetenz im Decodieren der Karte ein. Hier kommt der Architekturzeichner Hitler ins Spiel, der nie einen Schreibstift dabeihat, aber immer einen Zeichenstift. Damit kann er die Karten beschriften und signieren, seinen Ideen Ausdruck verleihen. Karten sind der einzige Ort, wo sich das Kriegsgeschehen abbilden lässt. Deswegen müssen sie immer auf dem neuesten Stand sein. Sie können es auch, weil die Geodäsie in Deutschland perfekt ausgebildet ist. Die Karten sind eine Art Fernseheinrichtung, wo man vom Führerhauptquartier aus tausend Kilometer weit auf die Ostfront blickt und punktgenau Entscheidungen trifft.