Rolf Kühn ist einer der wenigen deutschen Jazzmusiker von internationalem Ruf. Seine Markenzeichen: Ein unverwechselbarer Ton und die Neugier gegenüber der Musik. Nun wird der Klarinettist 90 Jahre alt.

Berlin - Wie viele Klarinetten er Zuhause hat, weiß Rolf Kühn nicht. Dreizehn oder vierzehn, meint er, darunter zwei Instrumente aus den fünfziger Jahren. Auf einem der beiden übt Kühn jeden Tag. „So richtig fertig mit einem Instrument wird man nie“, sagt er, „das ist eine Lebensaufgabe.“ Kühn muss es wissen: Seit mehr als siebzig Jahren steht er auf den Jazzbühnen dieser Welt, hat mit Benny Goodman, John Coltrane und Chick Corea gespielt. Am kommenden Sonntag wird der in Berlin lebende Klarinettist neunzig Jahre alt. Genug vom Jazz hat er noch nicht.

 

Seinen Geburtstag will Kühn nicht feiern. „Für mich ist das ein ganz normaler Tag“, sagt er. Und zu einem normalen Tag gehört für ihn auch zu proben. Etwa zwei Stunden am Tag übt der Musiker im ehemaligen Rias-Gebäude im Stadtteil Schöneberg. „Da kann ich zu jeder Tageszeit hin, der Pförtner kennt mich“, erzählt er.

Der Probenraum ist sein Rückzugsort zwischen den Konzerten. Momentan tourt er mit dem Pianisten Frank Chastenier, der Bassistin Lisa Wulff und dem Perkussionisten Tupac Mantilla. „Yellow + Blue“ heißt das Album, das der Altmeister mit den drei deutlich jüngeren Musikern aufgenommen hat. 

Als Sohn eines Akrobaten wurde Kühn in Köln geboren und wuchs in Leipzig auf. Sein Vater brachte ihm schon früh verschiedene Instrumente mit, er probierte sich am Akkordeon, Klavier, Saxofon und an der Hawaiigitarre. Eigentlich wollte er Akrobat werden wie sein Vater, „die Lieder sollten die Nummern auflockern“. Doch mit elf Jahren entdeckte der Sohn die Klarinette für sich. Den Unterricht musste er heimlich nehmen: Seine Mutter war Jüdin, ihr Tabakladen wurde in der Pogromnacht 1938 zerstört. Ans Konservatorium durfte er nicht.

Kühn eroberte die Clubs in New York

Während seiner klassischen Ausbildung war es eine Benny-Goodman-Platte, die ihn für den Jazz begeisterte. Als 17-Jähriger erhielt er sein erstes Engagement, 1950 begann er eine Karriere beim Rias-Tanzorchester in Berlin. Schon als junger Künstler entwickelte er einen warmen, strahlenden Ton, den Kritiker als unverwechselbar beschrieben. Von Berlin aus zog es ihn nach New York. „Englisch konnte ich kaum. Viele in Berlin haben mich für verrückt gehalten“, sagt Kühn. 

Was dem jungen Musiker dann in New York passiert, klingt wie aus einem Roman, „aber es ist eben wirklich so geschehen“. In Manhattan trifft er den Pianisten Friedrich Gulda, den er aus Berlin kennt. Der wiederum macht ihn mit John Hammond bekannt, dem Produzenten von Benny Goodman, Count Basie und Billie Holiday. Hammond ermöglicht dem Deutschen seine erste Platte und lässt ihn mit einer neugegründeten Band die Ostküste entlang bis in die Südstaaten touren.

Zurück in New York kennt er bald alle Größen der Szene und spielt in den wichtigsten Clubs. Dass ihm im naturgemäß sehr kritischen „Mutterland“ des Jazz eine solche Karriere gelingt, schreibt der Klarinettist einer Mischung aus „Glück und einem ausgeprägten Ehrgeiz“ zu.

1962 geht es zurück nach Deutschland, wo Kühn Leiter des NDR-Fernsehorchesters wird. Außerdem beginnt er, als Dirigent und Komponist zu arbeiten. Er schreibt Musiken für Film und Fernsehen und ist als musikalischer Leiter verschiedener Theaterhäuser tätig.

An eine Pause denkt Kühn nicht. „Ein Auftritt ist für mich keine Arbeit. Ich freue mich immer noch auf jedes Konzert.“ Nebenbei arbeitet er an neuer Musik, vor allem die Zusammenarbeit mit jungen Künstlern in ungewöhnlichen Instrumenten-Kombinationen begeistert ihn: „Ich probiere immer noch viel aus. Die interessanteste Platte ist immer die, die man gerade macht.“

Zu seinem Geburtstag erscheint jetzt eine Sammelbox seiner Alben auf Vinyl. Sie trägt den Titel „The Best is yet to come“. „Mein Motto“, sagt Kühn.