Die VfB-Misere hat viele Väter: nach der Meisterschaft im Jahr 2007 schaffte es niemand bei den Club-Verantwortlichen, einen Kader zusammenzustellen, der konkurrenzfähig ist. Jetzt winkt die Tristesse der Zweiten Liga.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Aue ist wieder da. Ein Jahr lang war der Fußballclub aus dem Erzgebirge tatsächlich drittklassig, auch wenn die sächsische Stadt in keiner höhnisch-schwäbischen Aufzählung gefehlt hat, wenn es zuletzt darum ging, die Trostlosigkeit der zweiten Liga zu erfassen. Und wahrscheinlich kann man den vielen Fans des VfB Stuttgart gar keinen Vorwurf machen, dass sie nicht so genau hingeschaut haben, wo Erzgebirge Aue gerade wirklich spielt. Das musste man in den vergangenen 39 Jahren nicht. Man kam ja, ohne überheblich sein zu wollen, von weit oben.

 

Doch nun liegen der große VfB und der kleine FCE gefühlt sehr dicht beieinander, jedenfalls viel näher als die 420 Kilometer, die zwischen den Stadien an der Mercedesstraße in Stuttgart und der Lößnitzer Straße in Aue liegen. Das ist die Realität – und ihr muss nicht nur der Verein für Bewegungsspiele von 1893 Rechnung tragen, sondern auch Bernd Wahler. Unter seiner Präsidentschaft hat der Club seinen sportlich dunkelsten Tag seit dem Abstieg 1975 erlebt. Dafür hat der 57-jährige Remstäler die Verantwortung übernommen und sein Amt am Sonntag nach dem zweiten Bundesliga-Abstieg niedergelegt.

Die Wohlfühloase ist ausgetrocknet

Jetzt liegt der VfB in Trümmern. Führungslos, wenn auch der Vorstand formal noch handlungsfähig ist. Dabei gibt es nicht wenige in Stuttgart, die meinen, dass sich Wahler bis zum Schluss treu geblieben ist. Bevor er furchtlos Konflikte austragen musste, zum Beispiel wie es mit dem Sportchef Robin Dutt weitergeht, hat er sich lieber zurückgezogen. Andere werden eine solche Einschätzung fies finden, weil Wahler ein netter Kerl ist.

Wahler steht für die Wohlfühloase auf dem Wasen. Er trat im September 2013 offiziell die Nachfolge des unbeliebten Gerd Mäuser an. Unvergessen sind die Bilder, wie der Mann aus Schnait wenige Wochen zuvor auf die VfB-Bühne gesprungen war, energiegeladen und mit lautem Lachen. Die Mitglieder feierten ihren neuen Hoffnungsträger, alles sollte gut werden.

Der VfB ist gefangen in der Selbstgefälligkeit

Knapp drei Jahre später trägt der VfB Trauer, weil außer zeitweise der Stimmung auf der Geschäftsstelle nichts besser geworden ist. Obwohl an der Spitze viele Köpfe ausgetauscht wurden: Präsidenten, Aufsichtsräte, Direktoren, Manager, Trainer. Daraus ergab sich eine Vielzahl an Ansätzen, aber keine Kontinuität. Und zu keinem Zeitpunkt entwickelte sich ein neuer Geist unter dem roten Dach des Clubhauses. Der Verein, der einst für hohe Spielkultur stand, und in der Nachwuchsarbeit als deutsches Innovationszentrum galt, hat schon länger den Anschluss nach oben verpasst.

Seit 2007 sehen viele Mitglieder, Fans und auch Ex-Spieler den VfB in der eigenen Selbstgefälligkeit gefangen. Da wurden die Stuttgarter überraschend Meister – und verstanden es nicht, den Erfolg nachhaltig zu gestalten. Die Mannschaft, in die sich halb Fußballdeutschland verliebt hatte, wurde nicht zusammengehalten. Ging auch nicht, da Eigengewächse wie Mario Gomez und Sami Khedira nach noch Höherem strebten. Der damalige Manager Horst Heldt schaffte es aber auch nicht, das Team auf ein neues, solides Fundament zu stellen. Zahlreiche Verpflichtungen entpuppten sich als Millionen-Missverständnisse.

Schleichend vollzog sich der Qualitätsverlust

Als „Champions-League-Falle“ ist die verfehlte Personalpolitik auf der Chefetage gerne abgetan worden, weil die Spieler mit Superverträgen ausgestattet wurden, sich die Mannschaft aber nicht mehr für die Königsklasse qualifizierte. Also verordneten der frühere Aufsichtsratschef Dieter Hundt und der ehemalige Finanzchef Ulrich Ruf ein Spardiktat – bei gleichbleibend hohem sportlichem Anspruch.

Mit dem reduzierten Etat reduzierte sich jedoch auch die spielerische Qualität. Erst schleichend, zuletzt frappierend, weil weder Fredi Bobic noch Robin Dutt, sein Nachfolger als Manager, den fälligen Umbruch des Kaders durch ihre Transferpolitik gestalten konnten. So bilden seit Jahren Spieler das Gerüst der Mannschaft, die ihr keine Stabilität verleihen. Niedermeier, Gentner, Harnik (Ulreich ist rechtzeitig auf die Ersatzbank des FC Bayern geflüchtet). Sie sind seit 2010 im Team vereint, verhindern als Führungsspieler eine neue Hierarchie und ergeben nun die Achse des Versagens. Abzulesen an den Tabellenständen der vergangenen Spielzeiten: Saison 2010/11, Rang zwölf; Saison 2011/2012, Rang sechs; Saison 2012/13, Rang zwölf; Saison 2013/14, Rang fünfzehn; Saison 2014/15 Rang vierzehn.

Der Wiederaufstieg muss das Ziel sein

Das Ergebnis dieser Entwicklung ist der Abstieg. Und die Folge des Abstiegs ist das Scheitern der geplanten Ausgliederung der Profiabteilung aus dem Gesamtverein. Dieses Projekt, das in den vergangenen Monaten so viel Zeit, so viel Energie und auch Geld gekostet hat. Abgeblasen, weil es an der Person Bernd Wahler hing und sich wohl kaum Investoren finden lassen, die bereit sind, Millionen von Euro in einen Zweitligisten zu stecken, der nicht weiß, wie er sich erneuern soll.

Für viele Mitglieder galt deshalb nicht die Ausgliederung als letzte Ausfahrt für ihren Lieblingsverein, sondern der Abstieg. Sie wollten ihr Mitbestimmungsrecht nicht zum Preis von frischem Geld verkaufen. Sie waren letztlich so verzweifelt, dass sie sich nur noch einen radikalen Neuanfang wünschten – wenn es sein musste eben eine Klasse drunter.

Jetzt ist es so weit, dem VfB eröffnet sich die Perspektivlosigkeit der zweiten Liga. Im Grunde kann er sich diese auch nicht leisten. Der sofortige Wiederaufstieg ist deshalb ohne Absprache in den Vereinsgremien das erklärte Ziel. Ein langer Marsch steht also bevor, und dabei wird dem VfB auf dem Weg über das Erzgebirge auch eine Reihe von Traditionsvereinen begegnen, die am Übergang zum modernen Fußballunternehmen ebenfalls gescheitert sind: der 1. FC Kaiserslautern, der TSV 1860 München, Eintracht Frankfurt oder der 1. FC Nürnberg. Die Stuttgarter bekommen es auch wieder mit Clubs zu tun, denen sie sich sehr lange überlegen fühlten: Karlsruher SC, VfL Bochum, Fortuna Düsseldorf. Sie müssen aber ebenso da hin, wo sie nie hinwollten: SV Sandhausen, 1. FC Heidenheim – und Aue.