Der Stuttgarter Bernd Riexinger, Chef der Linkspartei, demonstriert in der griechischen Hauptstadt. Sein Auftritt während der Anwesenheit der Kanzlerin wird massiv kritisiert.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Athen - Fast ist es wie beim Hasen und dem Igel: Bernd Riexinger ist schon einen Tag vor Angela Merkel in Athen angekommen. Es sei ein Zufall, dass die Kanzlerin nun gleichzeitig in der griechischen Hauptstadt weile, sagt der Parteichef der Linken im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung. Seine Reise sei schon vor mehr als vier Wochen geplant worden. Ihr eigentlicher Anlass ist die Eröffnung eines Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung am Dienstagabend.

 

Bereits am Dienstagvormittag besuchen Riexinger und seine Delegation ein großes staatliches Kinderkrankenhaus in Athen, wo ihm Mediziner und Belegschaftsvertreter über die Folgen der Sparpolitik berichten. „Das hat mich erschrocken“, sagt er zu dem „sehr einschneidenden Erlebnis“. Ärzte und Pfleger müssten mit drastisch abgesenkten Löhnen und Zuschlägen um die Grundlagen der medizinischen Versorgung kämpfen. So erhält eine altgediente Pflegedienstleiterin mit 30-jähriger Berufserfahrung nur noch 1350 Euro im Monat, und eine ausgelernte Kinderkrankenpflegerin verdient 750 Euro. Immer mehr Patienten hätten nicht mehr das Geld, sich privat behandeln zu lassen und müssten in die öffentliche Klinik gehen, deren Personal folglich an Überlastung leide – wobei es andernorts noch deutlich schlimmer aussehe als in diesem Krankenhaus. Ein Kinderarzt der psychiatrischen Abteilung schildert, dass die Depressionen der Kinder und Jugendlichen dramatisch zunähmen und sich sogar Selbstmorde bei den jungen Menschen mehrten. „Wir haben es mit einem Grad an sozialer Verwerfung zu tun, der sehr erschütternd ist“, sagt der Politiker.

Sanft an den Rand gedrängt

Im Anschluss marschieren Riexinger und Alexis Tsipras, der charismatische Vorsitzende des linken Syriza-Bündnisses, Seit’ an Seit’ zum Syntagmaplatz, wo sich viele tausend Demonstranten versammelt haben. Tsipras soll eine Rede halten – der Stuttgarter ein Grußwort. Doch hat die Staatsmacht Kundgebungen verboten; deshalb fallen alle Reden aus. Als die ersten Steine fliegen und die Polizei Tränengas einsetzt, wird die deutsche Delegation von Linkspartei und Rosa-Luxemburg-Stiftung sanft an den Rand des Geschehens geleitet. „Unsere griechische Begleitung hat gesagt: Es wäre besser, wenn wir uns ein wenig abseits bewegen“, sagt Riexinger. Allerdings sei die Versammlung trotz der Krawalle ruhiger verlaufen als bei früheren Gelegenheiten, wie man ihm gesagt habe.

Im Gespräch mit Demonstranten hat der Parteivorsitzende, wie er sagt, viel „Wut und Verzweiflung über die soziale und wirtschaftliche Misere“ gespürt – Wut auch über die Politiker der Troika. Selbst die Mittelklasse habe Probleme, weil die vormals gut verdienenden Menschen oft nicht mehr die Zinsen für ihre Immobilien aufbringen könnten. Zudem vernimmt er von Ängsten, dass rechtsradikale Gruppierungen, die mit nationalpopulistischen Parolen Feindbilder aufzubauen versuchen, weiteren Zulauf bekommen.

„Verrohung der politischen Debatte“

In Deutschland wird Riexinger wegen seiner Teilnahme an der Demonstration von CDU-Politikern und Medien massiv angegriffen. Als „vaterlandsloser Geselle“ wird der Stuttgarter ausgerechnet in seiner Heimatstadt bezeichnet. Das ärgert ihn. Wie weit die „Verrohung der politischen Debatte in Deutschland“ mittlerweile gediehen sei, lasse sich an solchen Kommentaren erkennen, kontert der Parteichef via Facebook. „Ich finde, die Straßen von Athen sind heute genau der richtige Platz für den Vorsitzenden der Linken.“

Der CDU-Europapolitiker Gunther Krichbaum hatte kritisiert, Riexinger heize die Proteste gegen die Kanzlerin durch seine Teilnahme an. „Dass er gewissermaßen auch Öl ins Feuer gießt, ist schon wirklich skandalös“, rügte der Pforzheimer Krichbaum im Deutschlandfunk. Das kann Riexinger nicht nachvollziehen: „Ich habe für ein Kontrastprogramm zu Merkel gesorgt“, sagt er. Er habe im Krankenhaus bewusst eine andere Seite des Landes angeschaut als Merkel, die sich mit Ministerpräsident Antonis Samaras und Unternehmern getroffen habe. Zudem stehe er für andere Politik der Deutschen, für die er in der Heimat auch demonstriere – „für ein demokratisches, soziales Europa und gegen ein Europa der Zocker“.