Hundeauslauf Fasanenhof Tobende Tiere, bewegende Schicksale - „Meine Hunde haben mir das Leben gerettet“

, aktualisiert am 15.10.2025 - 08:54 Uhr
Rolf Müller ist der Fels in der Brandung auf dem Hundeauslauf auf dem Fasanenhof. Foto: Julian Rettig/Lichtgut

Rolf Müller gab für seine Hunde die Drogen auf, heute ist er die gute Seele vom Hundeauslauf Fasanenhof – einem Ort, der Menschen und Tieren guttut

Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Am Gitterzaun hängt ein graues Herz. „Du fehlst. Gestern. Heute. Morgen. IMMER!“ steht darauf in weißer Schrift. Der fehlt, ist Stefan. Er ist so wie die anderen Männer und Frauen mit seiner Hündin regelmäßig auf den Hundeauslaufplatz im Stuttgarter Stadtteil Fasanenhof gekommen. Ein Foto zeigt ihn, auf den Boden sitzend, an den Zaun gelehnt, auf die große Wiese schauend. Das Fest vor einem Jahr hat er noch mitgeplant. Irgendwann hat er sich dann mit den Worten verabschiedet: „Also, Tschüss! In sechs Wochen bin ich wieder da.“ So lange sollte die Therapie im Krankenhaus dauern. Und alle waren fest davon überzeugt, Stefan in ein paar Wochen wiederzusehen. Wie schon die Male davor, wenn er sich verabschiedet hat.

 
Ein Herz am Zaun erinnert an Stefan, den Hundefreund. Foto: Lichtgut

Aber diesmal kam er nicht wieder. Das „Also, Tschüss“ war ein Abschiedsgruß für immer. Stattdessen ließ seine Frau ein paar Tage vor dem geplanten Fest Rolf Müller die Todesanzeige ihres Mannes zukommen. Müller – 64 Jahre alt, schwarz-weiß gestreiften T-Shirt als Erkennungszeichen, die eine oder andere Tätowierung am Hals und auf den Armen und Händen – hat Tränen in den Augen, es verschlägt ihm kurz die Stimme. „Der Stefan“, sagt er dann, „der war ein ganz feiner Kerl“. Auf dem Platz habe er Erholung und Entspannung zwischen seinen Therapien gefunden. Viele Stunden haben die beiden am Rand der Wiese sitzend miteinander geredet. Nur die beiden. Das Fest, sagt Müller, haben sie letztes Jahr im Spätsommer trotzdem gefeiert. Zur Erinnerung an den Freund, den sie verloren haben. Stefansfest haben sie es nach ihm genannt. Es soll zur Tradition werden. Für die einen zur Erinnerung, für die neu Dazugekommenen als Fest der Gemeinschaft.

Forderung nach mehr Hundeauslauf

Um zu verstehen, wie so ein Hundeauslaufplatz im besten aller Fälle funktionieren kann, muss man von diesem Fest erzählen und dem Zusammenhalt, der damit zum Ausdruck kommt. Fünf Hundeauslaufplätze gibt es in Stuttgart: in Cannstatt die Wulfila-Anlage, in Rot im Tappachtal, im Lehenviertel im Stuttgarter Süden, in der Helfensteiner Straße in Wangen und die im Fasanenhof. Sie variieren stark in Größe, haben mal Grasboden, mal erdigen Grund. Im Tappachtal gibt es ein paar Spielgeräte. Der Platz im Lehenviertel ist winzig klein und hat zwei offene, nicht schließbare Zugänge. Bei jeder Haushaltsrunde gibt es Anträge für zusätzliche solche Anlagen. Aktuell beispielsweise für Zuffenhausen oder ein innerstädtisches Gebiet unterhalb des Teepavillons Weißenburg.

Mal ohne Leine toben

16.137 Hunde gibt es Stand April 2025 in Stuttgart. Sie sollen, so die Intention aller Antragsteller, auch mal ohne Leine spielen und rennen können. Nicht jeder hat einen Garten, wo das möglich ist. „Die Hunde haben hier viel Spaß und gut sozialisierte Hunde machen auf der Straße keinen Ärger“, sagt Rolf Müller. Der Platz auf dem Fasanenhof ist der größte und wahrscheinlich tier- und menschenfreundlichste. Seit elf Jahren gibt es ihn. Würde man am Reißbrett oder bei der Quartiersentwicklung überlegen, wie man Menschen am besten zusammenbringt, könnte man am Beispiel Fasanenhof sehen, welch verbindende Kraft eine solche Begegnungsmöglichkeit haben kann.

Ein Jahr ist der Tod des Hundegefährten Stefan jetzt her. Im September haben die Vorbereitungen für das zweite Stefansfest begonnen. In der WhatsApp-Gruppe, die Rolf Müller irgendwann einmal gegründet hat und die inzwischen weit über 200 Mitglieder hat, kann man in Echtzeit lesen, wie weit die Planungen sind. Wer welchen Kuchen backen will, wer den Wildschweinfleischkäse spendet und wer einen Kofferraum voller Getränke mitbringt. Rolf Müller nämlich.

Hundespaßauf der Wiese. Foto: Julian Rettig/Lichtgut

Eigentlich, erinnert er sich, war die Gruppe ja nur dafür gedacht, sich zu informieren, wann und ob noch jemand auf dem Platz ist. Wie gesagt: Es sollte um die Hunde gehen. Um solche wie die Ridgebackdame Ayla. Oder Mogli, den schwarzen Terrier. Er kommt mit Juliane Ernst – mit 84 Jahren die älteste Besucherin hier. „So ein Platz“, sagt sie, „ist ein Segen für ältere Menschen“. Wenn es jetzt noch einen Behindertenparkplatz vor dem Eingangsbereich gäbe, wäre es prima. Juliane Ernst trägt eine weiße Hose, auf der sich schon einige Hundepfoten verewigt haben. „Die steck’ ich am Abend einfach in die Waschmaschine“, sagt sie. Berührungsängste darf man hier keine haben.

Melissa kommt mit Hund und Söhnchen regelmäßig. Foto: Julian Rettig/Lichtgut

Melissa (25) kommt mit Hund Bear und Söhnchen Levy. Mit seinen neun Monaten ist Levy der jüngste Besucher. Seine Mutter kam schon während der Schwangerschaft, um den Welpen Bear an andere Hunde zu gewöhnen – und kommt seitdem regelmäßig zwei bis dreimal die Woche. Der Kontakt zu anderen tue sowohl dem Hund als auch ihr gut. „Hier kann ich auch mal mit Erwachsenen zu reden, sonst bin ich ja nur mit ihm zusammen“, sagt sie und deutet auf ihren Sohn.

Zwischen ihm und Juliane Ernst ist so ziemlich jede Altersklasse Mensch und jede Hunderasse (bis Promenadenmischung) vertreten. Ob eine Kreatur aus dem Tierschutz oder vom Züchter kommt, ist unter ihren Besitzerinnen und Besitzern kein Thema. Ideologische Auseinandersetzungen meiden sie. Wer da ist, ist da. Punkt. Auf das Verhalten auf dem Platz kommt es an.

Fels in der Brandung

Das gemeinsame Ziel hier: Die Hunde sollen miteinander spielen und dabei möglichst viele Sozialkontakte haben . Dafür nehmen manche lange Wege auf sich. Sabine Klemm kommt aus Heslach mit ihren beiden Hunden Lilli und Colorado. Das Spiel hier „macht die Hunde glücklich“. Losgelassen von der Leine – das sei verraten – sind die Vierbeiner auf dem Fasanenhof ziemlich tolerant miteinander. Es hat sich dann schnell ergeben, dass sich auch die Menschen aneinander gewöhnt haben. „Wir passen gut aufeinander auf“, sagt Juliane Ernst.

Dass alles so funktioniert, liegt sicher zu einem guten Teil an Rolf Müller. Er ist so etwas wie die graue Eminenz hier auf dem Hundefreilauf. Einer, der Sachen organisiert und in die Hand nimmt. Schon bei der Arbeit habe er sich für andere verantwortlich gefühlt, sagt er, habe sich für sie eingesetzt, war Betriebsrat. Das legt man in der Freizeit offenbar nicht einfach ab. Im Sommer schleppt er Wasserkanister an. Das ganze Jahr über organisiert die sogenannten Rudelspaziergänge, bei denen sie in der Gruppe zwei, drei Stunden laufen.

Stühle auf Eigeninitiative gekauft

Müller sitzt am Rande der Wiese in einem der Kunststoffstühle, die wie in einem Stuhlkreis aufgestellt sind. Gemäht wird das Gras regelmäßig von der Stadtgärtnerei. „Sonst sieht man ja die Scheißehaufen nicht“, sagt Müller. Es kann sein, dass er mitten im Gespräch mal schnell wegrennt. Denn die Hinterlassenschaften der eigenen Hunde schnell zu entsorgen, ist hier Ehrensache. Aber dann sitzt Müller gleich wieder im Stuhlkreis. Jeder der kommt, schnappt sich einen Stuhl und setzt sich dazu. Am Abend räumen ihre Benutzer sie alle gemeinsam wieder brav weg und stapeln sie übereinander.

Viel mehr ist hier auf dem umgewidmeten Gelände der Stadtgärtnerei nicht erlaubt. Als es mal ein Sonderangebot bei einem der Billigdiscounter gab, haben alle zusammengelegt und eine Ladung Stühle gekauft. Damit sie sich nicht die Füße in den Bauch stehen, während ihre Hunde toben. Ein Aufenthalt auf der Wiese kann schon eine Weile dauern. Schnell quatscht man sich fest.

Müller, der einmal Kunstschmied und Schlosser gelernt hat, ist mittlerweile Rentner. „Ich finde es toll, dass ich jetzt 24 Stunden, sieben Tage die Woche mit meinen Hunden zusammen sein kann.“ Ayla und Paula sind das. Und wenn er in der WhatApp-Gruppe etwas postet, schreibt er oft als Gruß „Ayla, Paula und Rolf“. Hunde sind ihm ein Herzensanliegen. Müller sagt offen und in breitem Schwäbisch: „Meine Hunde haben mir das Leben gerettet“. Über 20 Jahre habe er sich Heroin gespritzt, aber immer gearbeitet. Irgendwann musste er sich entscheiden: Sterben und die Hunde alleine lassen oder die Kurve kriegen und weiter für die Hunde da sein können. Er machte eine Therapie, ist nun über 20 Jahre clean. Vielleicht ist es diese existenzielle Erfahrung, die ihn hier auf der Wiese wie ein Fels in der Brandung wirken lässt.

Als die Wettervoraussage drei Tage vor dem geplanten Stefansfest Regen für den Samstag erwarten lässt, plant er kurzerhand um. Das Fest findet einen Samstag später statt. Bei strahlendem Sonnenschein. Alle ziehen mit. Backen ihre Kuchen eben eine Woche später. Am Ende des Tages schreibt Müller in der WhatsApp-Gruppe: „Was für ein schöner Tag mit Euch. Ich bin wieder begeistert“. Und wie fast jeden Tag läuft die WhatsApp-Gruppe über mit Bildern von hopsenden Hunden und zufriedenen Menschen.

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