Die Auswertung von weltweit mehr als 700 000 Seepegeln zeigt: Der Meeresspiegel steigt – und das schnell. Auch der Tropensturm, der die US-Golfküste verwüstet, ist von dieser Entwicklung beeinflusst: Die Flut fällt dadurch noch gewaltiger aus.

Stuttgart - Um 42 Millimeter auf Amrum, 58 auf Borkum und 62 in Cuxhaven – der Meeresspiegel ist in den vergangenen 25 Jahren an den deutschen Küsten kontinuierlich gestiegen. Die Entwicklung hat sich seit den 1960er Jahren merklich zugespitzt – und wird angesichts des fortschreitenden Klimawandels in Zukunft weiter zunehmen. Damit verändert sich der Lebensraum an den Küsten weltweit.

 

Zu diesen Ergebnissen ist das Recherchezentrum Correctiv gekommen, das in Zusammenarbeit mit der Columbia University New York in den vergangenen Monaten die Daten von weltweit über 700 000 Seepegeln ausgewertet und zusammengetragen hat. Die Daten werden von Organisationen wie dem britischen Permanent Service of Mean Sea Level (PSMSL) gesammelt. An mehr als 2000 Orten haben die Briten Pegelmesser aufgestellt und lesen sie zum Teil im Monatsrhythmus ab. Die erhobenen Zahlen geben Aufschluss darüber, wie der Meeresspiegel schwankt – und nun auch darüber, in welchem Maße er ansteigt.

Einige Häfen liegen schon im Trockenen

Die Ergebnisse der Untersuchung sind dramatisch, teilweise aber auch überraschend. Dramatisch, weil das Meer steigt – und zwar schnell. An manchen Stellen sind es gar einige Zentimeter pro Jahr. Kaum ein Land und kaum eine Küstenregion entkommen dem anschwellenden Wasser. In Deutschland und den USA werden bereits großflächig die Deiche verstärkt. In anderen Teilen der Erde gibt es diese Vorsichtsmaßnahmen nicht.

Überraschend sind die Ergebnisse aber auch deshalb, weil sie nicht nur das Ansteigen des Meeres aufzeigen, sondern auch das Ansteigen der Erdmassen. Erkennbar ist das zum Beispiel in Skandinavien, wo sich die Erdmassen wegen der steigenden Temperaturen ausdehnen und erheben. Verstärkt wird diese Entwicklung durch die abschmelzenden Eiskappen in zahlreichen Zonen entlang der Arktis und Antarktis. Manche Häfen liegen bereits buchstäblich auf dem Trockenen. Phänomene wie dieses kommen jedoch weitaus seltener vor als das des Meeresspiegelanstiegs.

Die philippinische Hauptstadt wird wohl untergehen

Wo man 1980 noch trockenen Fußes stehen konnte, braucht man heute in etlichen Regionen der Welt bereits Gummistiefel. So ist das Meer heute im südfranzösischen Marseille 20 Zentimeter höher als vor 30 Jahren, im spanischen Malaga sind es sogar 54 Millimeter. Die am stärksten betroffenen Städte liegen aber vor allem in Asien. Die philippinische Hauptstadt Manila beispielsweise misst 40 Zentimeter höhere Pegel als vor 30 Jahren. Es ist wahrscheinlich, dass sie in naher Zukunft untergehen wird.

Die per Pegelmesser eingeholten Daten ermöglichen nicht nur einen Blick in die Vergangenheit – sie geben auch Hinweise darauf, wie sich die Pegelstände in Zukunft wahrscheinlich entwickeln werden. „Dort, wo das Meer schon stark angestiegen ist, wird es künftig weiter stark ansteigen“, sagt Anders Levermann, Klimafolgen-Forscher in Potsdam und New York. Levermann ist Hauptautor des letzten Weltklimaberichtes des internationalen Klimarates IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). Sich ändernde Strömungen könnten den Meeresspiegel lokal beeinflussen, fügt Levermann hinzu. Der globale Trend aber bleibe. „Dass der Meeresspiegel in den kommenden Jahrhunderten noch schneller ansteigen wird, ist heute absoluter Konsens – und auch, dass dies an der menschengemachten Erwärmung liegt“, sagt der Klimaforscher Levermann.

Das britische Medmerry hat den Deichbau aufgegeben

Der Klimawandel trifft die Menschheit unterschiedlich hart. Das Meer steigt weltweit, aber Wind, Strömungen und Wellen beeinflussen den Pegel regional. In einigen Regionen steigt der Meeresspiegel um zehn Millimeter pro Jahr, dreimal schneller als im weltweiten Durchschnitt. Dieser liegt den Erhebungen zufolge augenblicklich bei rund 3,4 Millimetern pro Jahr.Je näher und tiefer gelegen Menschen am Meer wohnen, desto stärker werden sie unter dem Klimawandel leiden. Europäische Küsten müssen Teile ihrer Strände, Straßen und Wohnviertel an das Meer abgeben. So wie in Medmerry, südwestlich von London, das dem Meer inlandig 500 Hektar zum Überschwemmen überlassen hat. Die Umweltbehörde der wenig bewohnten Gegend hat sich entschieden, lieber dem Druck des Meeres nachzugeben und eine neue Überflutungszone zu schaffen, als Geld in höhere Deiche zu investieren. Es ist die bisher größte Küstenöffnung Europas.