Die Ermittlungen fokussieren sich ein paar Wochen später dann allein auf Elisabeth. Denn das rechtsmedizinische Gutachten sagt aus, dass das Arsen dem Kind zwischen 20 und 21 Uhr verabreicht worden sein muss, und zu dieser Zeit war Anna mit Elisabeth allein. Doch woher stammt das Arsen? Es handelt sich bei Arsen um ein Gift, über das man noch in alten Kriminalromanen lesen kann, das aber als Mordwaffe gänzlich „aus der Mode“ gekommen ist. Der jetzige Besitzer der Mohrenapotheke gibt an, dass er bei der Übernahme der Apotheke in den Altbeständen noch zwei Fläschchen mit Arsen gefunden hätte. Zu dem damaligen Zeitpunkt hatte Elisabeth, aber auch ihr Bruder, noch Zugang zu den Räumlichkeiten. Auch im Haus der Familie B. gibt es eine alte Feldapotheke, in der Arsen, jedoch in einer für den Menschen ungefährlichen Menge, gefunden wird.

 

Obwohl es keine Beweise gibt, geht die Polizei davon aus, dass das Arsen entweder im Pistazieneis oder in der Schokoladensoße gewesen war und Elisabeth Anna vergiftet hat. Erschwerend für die Tante kommt hinzu, dass sie Chemie und Pharmazie studiert hat. Man traut ihr zu, mit Giften umgehen zu können.

Im Herbst 1995 findet der Prozess vor dem Schwurgericht in Stuttgart statt. Elisabeth F. wird im November 1995 wegen heimtückischen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht stellt eine besondere Schwere der Schuld fest. Das bedeutet, dass sie auch nach fünfzehn Jahren nicht mit einer vorzeitigen Entlassung rechnen kann. Ihre Anwälte Georg Prasser und Dorothée Mettenheimer gehen in Revision. Jetzt wird der bekannte Revisionsrechtler Gunter Widmaier als dritter Anwalt hinzugezogen. Der Bundesgerichtshof hebt das Stuttgarter Urteil im August 1996 auf und weist den Fall dem Heilbronner Landgericht zu. In Heilbronn wird neu verhandelt, und Elisabeth wird im Juli 1997 erneut zu einer lebenslangen Haftstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt.

Die Beweise reichen nicht zu einer Verurteilung aus

Die Anwälte gehen ein zweites Mal in Revision, und das Urteil wird 1999 erneut vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Dieser sieht keinen Sinn in einer dritten Verhandlung vor einem Landgericht. Elisabeth F. wird gleich nach dem Spruch der Bundesrichter aus der Haft entlassen. Die Beweise reichen laut dem BGH nicht zu einer Verurteilung aus. Auch habe man die Möglichkeit einer Produktvergiftung nicht ausreichend geprüft. Ferner seien Annas Eltern zu früh als Täter ausgeschlossen worden.

Würde Anna noch leben, könnte in der nächsten Woche, am 3. Februar, ihren 30. Geburtstag feiern. Was wäre wohl aus ihr geworden? Apothekerin? So hatte es sich ihr Großvater immer gewünscht, nachdem seine beiden Kinder nie Interesse an der Übernahme der Apotheke gezeigt hatten. Was für ein bitterer Gedanke wäre es für ihn, wüsste er, dass seine Enkelin Anna nicht in seiner Apotheke steht und sein Lebenswerk fortführt, sondern dass ihre Urne seit 22 Jahren im Grab neben ihm und ihrer Großmutter ruht.

An diesem 20. Januar frühstückt Anna wie üblich mit ihren Eltern. Dann geht ihr Vater zur Arbeit. Er hat einen hoch bezahlten Posten als Manager. Anna geht wie jeden Tag zur Grundschule in der Ulmer Straße, wo sie die zweite Klasse besucht. Ihre Mutter kümmert sich an diesem Tag um die Wäsche im Bügelzimmer. Mittags kommt Anna nach Hause, isst eine halbe Scheibe gebackenen Fleischkäs und ein Brötchen zum Mittagessen, macht anschließend ihre Hausaufgaben.

Am Nachmittag trifft Elisabeth mit ihren drei Hunden ein. Es ist ein großes, fröhliches Hallo. Und Elisabeth bringt, wie sie es ihrer Nichte versprochen hat, eine Packung Pistazieneis mit, die sie kurz zuvor im nahen Supermarkt gekauft hat.

Annas Eltern kommt es sehr gelegen, dass Elisabeth da ist. So können sie an diesem Abend zu einem religiösen Vortrag ihrer Kirchengemeinde gehen und ihre Tochter gut beaufsichtigt wähnen. Nachdem die Eltern gegangen sind, führt Anna die drei französischen Bulldoggen Gassi und ist stolz darauf, dass Elisabeth ihr das zutraut. Ob sie bei ihrem Spaziergang jemanden trifft, von dem sie vielleicht Süßigkeiten annimmt, lässt sich im Zuge der späteren Ermittlungen nicht feststellen.

Das letzte Gebet

Dann gibt es endlich das versprochene Pistazieneis. Elisabeth bereitet in zwei Schälchen eine Portion für Anna und eine Portion für sich. Im Kühlschrank steht noch eine angebrochene Flasche Schokoladensoße, von der Anna gerne etwas auf ihr Eis haben möchte und von Elisabeth auch bekommt. Der Tante ist die Schokoladensoße zu süß, sie verzichtet darauf und isst nur von dem Eis. Anna schmeckt es ausgesprochen gut, deshalb bekommt sie noch mehr Eis und noch mehr Schokosoße. Gegen 21 Uhr geht Anna zu Bett. Elisabeth bleibt noch bei ihr sitzen und hört zu, wie sie in ihrem Nachtgebet für den schönen Tag dankt und um Schutz für ihre Lieben und sich bittet. Es ist ihr letztes Gebet.

Als Annas Eltern nach Hause kommen, bestellen sich die drei Erwachsenen Pizza bei einem Lieferservice. Sie trinken Wein und essen Pizza, als Anna ungefähr um 22 Uhr nach ihrem Vater ruft. Sie muss sich übergeben, und es ist ihr furchtbar schlecht. Sie bittet ihre Eltern, nicht auf Tante Elisabeth böse zu sein, weil sie ihr so viel Eis und Schokoladensoße gegeben hat. Anna darf ausnahmsweise noch bei den Erwachsenen bleiben. Sie sitzt auf dem Schoß ihrer Mutter. Zur Linderung bekommt sie Schwarzen Tee sowie „Uzara“, ein pflanzliches Heilmittel, das bei Durchfall eingenommen wird. Es geht ihr so schlecht, dass die Eltern sie mit ins Ehebett nehmen. Doch Anna findet keine Ruhe mehr. Alle Viertelstunde muss sie sich jetzt übergeben, hat Durchfall, bekommt Krämpfe. Der Vater verabreicht ihr Kohletabletten.

Elisabeth wird später aussagen, dass sie im Gästezimmer geschlafen und von Annas nächtlichen Qualen nichts mitbekommen hat. Um sieben Uhr scheint Anna das Bewusstsein zu verlieren. Jetzt erkennen die Erwachsenen, dass nur noch ärztliche Hilfe Rettung bringen kann. Sie tragen das Kind zum Auto. Elisabeth sitzt im Schlafanzug auf dem Rücksitz und hält ihre völlig erschöpfte und apathische Nichte im Arm. Sie versucht, sie wach zu halten, indem sie sie zwickt und auf sie einredet.

Anna stirbt in der Klinik

Sie steuern die Praxis von Annas Kinderarzt an, die zu dieser frühen Stunde noch nicht geöffnet ist. Von dort fahren sie ins Klinikum Ludwigsburg, wo Anna endlich in professionelle Hände kommt. Aber es ist zu spät. Anna stirbt nach einigen Stunden. Elisabeth verlässt die Klinik zu einem Zeitpunkt, als Anna noch lebt und die Ärzte um ihr Leben ringen. Sie fährt mit dem Taxi zum Haus des Bruders, holt ihren kranken Hund ab und bringt ihn (noch immer im Schlafanzug) zum Termin in die Tierarztpraxis. Danach fährt sie zurück nach Tamm-Hohenstange, duscht, schminkt sich und zieht sich an. Und noch etwas macht sie, was sie später bei den polizeilichen Ermittlungen schwer belasten wird. Als sie kurz darauf in die Klinik zurückkommt, eröffnet ihr der Bruder, dass Anna gestorben ist. Dann fällt ein Satz, der in einer solchen Ausnahmesituation ungewöhnlich ist. Elisabeth sagt, dass sie die Spülmaschine (mit den Eisschälchen) angestellt hat, obwohl diese nur halb voll war.

Die Ärzte möchten eine Obduktion durchführen lassen, gegen die sich Annas Mutter aber vehement wehrt. Davon würde ihre Tochter auch nicht mehr lebendig werden, meint sie. Die Obduktion wird dennoch gemacht – und dabei eine tödliche Dosis Arsen in Annas Körper gefunden. Die Dosis, die das kleine Mädchen verabreicht bekommen hat, hätte ausgereicht, um zwanzig Kinder zu vergiften.

Die Ermittlungen der Polizei beginnen mit einem katastrophalen Versäumnis. Die Lebensmittel im Elternhaus von Anna werden nicht gleich sichergestellt, um sie dann auf Giftrückstände untersuchen zu können. So ist es möglich, dass Annas Mutter sämtliche Lebensmittel im Haus wegwerfen kann und es fortan im Bereich der Mutmaßungen liegt, wie und mit welchem Lebensmittel Anna das Gift zu sich genommen haben könnte. Als sehr wahrscheinlich wird angenommen, dass das Pistazien-eis oder die Schokosoße mit Arsen vergiftet waren.

Die Nachbarn, die Ärzte, Annas Lehrer werden befragt, Hausdurchsuchungen in Tamm-Hohenstange und Königstein durchgeführt, eine Telefonüberwachung wird geschaltet. Zuerst sind alle drei Erwachsenen verdächtig, die sich in dieser Nacht im Haus aufgehalten haben. Nicht zuletzt, weil alle drei sehr reserviert und beherrscht wirken. Und alle drei halten zu diesem Zeitpunkt auch noch zusammen und überlegen eine gemeinsame Verteidigungsstrategie, denn sie sind davon überzeugt, dass es niemand von ihnen gewesen sein kann. Warum auch? Welches Motiv gäbe es denn für eine so grauenvolle Tat? Eine Frage, auf die es bis zu dem heutigen Tag keine Antwort gibt.

Die Tante kann mit Giften umgehen

Die Ermittlungen fokussieren sich ein paar Wochen später dann allein auf Elisabeth. Denn das rechtsmedizinische Gutachten sagt aus, dass das Arsen dem Kind zwischen 20 und 21 Uhr verabreicht worden sein muss, und zu dieser Zeit war Anna mit Elisabeth allein. Doch woher stammt das Arsen? Es handelt sich bei Arsen um ein Gift, über das man noch in alten Kriminalromanen lesen kann, das aber als Mordwaffe gänzlich „aus der Mode“ gekommen ist. Der jetzige Besitzer der Mohrenapotheke gibt an, dass er bei der Übernahme der Apotheke in den Altbeständen noch zwei Fläschchen mit Arsen gefunden hätte. Zu dem damaligen Zeitpunkt hatte Elisabeth, aber auch ihr Bruder, noch Zugang zu den Räumlichkeiten. Auch im Haus der Familie B. gibt es eine alte Feldapotheke, in der Arsen, jedoch in einer für den Menschen ungefährlichen Menge, gefunden wird.

Obwohl es keine Beweise gibt, geht die Polizei davon aus, dass das Arsen entweder im Pistazieneis oder in der Schokoladensoße gewesen war und Elisabeth Anna vergiftet hat. Erschwerend für die Tante kommt hinzu, dass sie Chemie und Pharmazie studiert hat. Man traut ihr zu, mit Giften umgehen zu können.

Im Herbst 1995 findet der Prozess vor dem Schwurgericht in Stuttgart statt. Elisabeth F. wird im November 1995 wegen heimtückischen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht stellt eine besondere Schwere der Schuld fest. Das bedeutet, dass sie auch nach fünfzehn Jahren nicht mit einer vorzeitigen Entlassung rechnen kann. Ihre Anwälte Georg Prasser und Dorothée Mettenheimer gehen in Revision. Jetzt wird der bekannte Revisionsrechtler Gunter Widmaier als dritter Anwalt hinzugezogen. Der Bundesgerichtshof hebt das Stuttgarter Urteil im August 1996 auf und weist den Fall dem Heilbronner Landgericht zu. In Heilbronn wird neu verhandelt, und Elisabeth wird im Juli 1997 erneut zu einer lebenslangen Haftstrafe mit Feststellung der besonderen Schwere der Schuld verurteilt.

Die Beweise reichen nicht zu einer Verurteilung aus

Die Anwälte gehen ein zweites Mal in Revision, und das Urteil wird 1999 erneut vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Dieser sieht keinen Sinn in einer dritten Verhandlung vor einem Landgericht. Elisabeth F. wird gleich nach dem Spruch der Bundesrichter aus der Haft entlassen. Die Beweise reichen laut dem BGH nicht zu einer Verurteilung aus. Auch habe man die Möglichkeit einer Produktvergiftung nicht ausreichend geprüft. Ferner seien Annas Eltern zu früh als Täter ausgeschlossen worden.

Würde Anna noch leben, könnte in der nächsten Woche, am 3. Februar, ihren 30. Geburtstag feiern. Was wäre wohl aus ihr geworden? Apothekerin? So hatte es sich ihr Großvater immer gewünscht, nachdem seine beiden Kinder nie Interesse an der Übernahme der Apotheke gezeigt hatten. Was für ein bitterer Gedanke wäre es für ihn, wüsste er, dass seine Enkelin Anna nicht in seiner Apotheke steht und sein Lebenswerk fortführt, sondern dass ihre Urne seit 22 Jahren im Grab neben ihm und ihrer Großmutter ruht.

Anna Elisabeth steht auf dem Grabstein, sie hatte als zweiten Vornamen den Namen ihrer Tante. Annas Eltern sind nach Franken gezogen, wo sie ein neues Leben begonnen haben. Elisabeth F. erlag vor ein paar Jahren ihrem Krebsleiden.