Ralph Brinkhaus – Nachfolger von Volker Kauder als Fraktionschef der Union – ist bisher nicht als Aufrührer gegen die Merkelsche Politik aufgefallen. Das kann sich bald ändern. Wer ist der Mann, den so wenige Beobachter auf dem Schirm hatten?

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Der Satz mag symptomatisch für ihn sein: „Wir Ostwestfalen neigen nicht zur Revolte“, ließ sich Ralph Brinkhaus nach der Sensation vernehmen. Ein ganz „normaler demokratischer Vorgang“ sei seine Wahl zum Fraktionsvorsitzenden. „Daher werden wir morgen wieder normal an die Arbeit gehen.“ Untertreibung und Selbstbeherrschung gehören eben zu den typisch ostwestfälischen Eigenschaften. Bloß keine Triumphgefühle zeigen und erst recht keine Erwartungen schüren, dass er es jetzt mit Angela Merkel aufnehmen könnte.

 

Von der Ruhe und Ausgeglichenheit des 50-jährigen Rebells wider Willen ließen sich auch die professionellen Politikbeobachter in den vergangenen Monaten in die Irre führen. Seine Kandidatur wurde nicht wirklich ernst genommen. Belächelt wurde sein Besuch bei der Kanzlerin, bei dem er – so hatte es wenigstens den Anschein – um Erlaubnis bat, gegen ihren Kandidaten Volker Kauder antreten zu dürfen. Doch hat Brinkhaus seine Wahl klug eingefädelt. Unauffällig hat er im Schatten all der Krisen an den nötigen Strippen gezogen. So deutete sich erst in den Tagen vor der Wahl eine Wendestimmung unter den Abgeordneten von CDU und CSU an.

„Den Teamgeist in der Fraktion beschworen“

Deren Sehnsucht nach Veränderung hat den Ausschlag gegeben. „Viele Saiten hat er zum Klingen gebracht“, berichtet der Christdemokrat Klaus-Peter Willsch von der Vorstellungsrede Brinkhaus‘ in der Fraktion. „Ralph Brinkhaus hat eine sehr überzeugende Rede gehalten, in der er unter anderem den Teamgeist und damit den Zusammenhalt in der Fraktion beschworen hatte“, urteilt der Aalener Abgeordnete Roderich Kiesewetter gegenüber unserer Zeitung. „Die Wahl zeigt, wie lebendig unsere Fraktion ist.“ Er sehe darin „kein Signal gegen die Kanzlerin, sondern vielmehr ein Signal für eine engagiertere Fraktionsarbeit“.

Diese Akzente hatten vielen Abgeordneten angesichts der gewachsenen Selbstherrlichkeit Kauders immer mehr gefehlt. Still hatten sie gelitten. Brinkhaus will der Fraktion wieder ein christdemokratisches Profil verleihen. Sichtbarer soll sie sein und eigenständiger gegenüber der Regierungschefin. Ein Kanzlerinnenwahlverein soll die Versammlung der Abgeordneten nicht mehr sein. Insofern kann sich Merkel nicht mehr darauf verlassen, dass der Fraktionschef ihre Politik exekutiert – vielmehr wird sie den intensiveren Dialog suchen und auch mal intern streiten müssen.

Auf einer Linie mit Spahn und Linnemann

Auch wenn es der nüchtern agierende Fraktionsvize bisher nicht so oft bewiesen hat: Brinkhaus ist ein brillanter Rhetoriker – ähnlich wie Kauder vermag er ohne Manuskript am Rednerpult mitzureißen. Einen Namen hat er sich lediglich als konservativer Haushalts- und Finanzexperte gemacht. Einen guten Draht pflegt Brinkhaus zu den CDU-Nachwuchsstars Jens Spahn, dem Bundesgesundheitsminister, sowie zu Carsten Linnemann – der eine Münsterländer, der andere ebenfalls Ostwestfale und beide ausgewiesene Merkel-Kritiker sowie liberale Wirtschaftspolitiker. Folglich hatte der Parlamentskreis Mittelstand dem Kauder-Rivalen schon vor der Wahl seine Zustimmung signalisiert.

Dies lässt ahnen, an welcher Stelle Brinkhaus zunächst seine Akzente setzen wird. Zudem dürfte er gegen eine Transfer- und Haftungsunion in Europa zu Felde ziehen, wie sie insbesondere von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron präferiert wird. An der Stelle hat es Brinkhaus vormals mehr mit dem früheren Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als mit der Kanzlerin gehalten. Und obwohl er sich aus der Flüchtlingsdebatte bisher herausgehalten hat, werden ihm viele Abgeordnete auch in der Hoffnung ihre Stimme gegeben haben, dass er Merkel und Innenminister Horst Seehofer eine klare Kante der Fraktion vorgibt, damit die unionsinternen Grabenkämpfe über die Zuwanderungspolitik endlich ein Ende haben.

Studium an der Universität Hohenheim

Geboren wurde Brinkhaus im Revoluzzerjahr 1968 in Wiedenbrück bei Gütersloh, doch hat er sich bisher nicht als Aufrührer gegen die Merkelsche Politik hervorgetan. Nach seinem Wehrdienst zog es ihn in den Raum Stuttgart, wo er an der Universität Hohenheim ein Studium der Wirtschaftswissenschaften als Diplom-Ökonom abschloss. Nach dem Steuerberaterexamen arbeitete er bei einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und machte sich 2004 als Steuerberater mit Schwerpunkt internationales Rechnungswesen in Gütersloh selbstständig. 2009 gewann er dort erstmals das Direktmandat für den Bundestag – dann erst begann sein allmählicher Aufstieg in der CDU.

Auf seinem Twitter-Account pflegt Brinkhaus eine auffällige Zurückhaltung statt Sturm und Drang. Seine Wahl war ihm bisher keinen einzigen Tweet wert. An der Selbstvermarktung wird er noch arbeiten müssen. Sturheit und Beharrlichkeit wird den Ostwestfalen nachgesagt – Angela Merkel wird wohl in absehbarer Zeit erleben, dass ihr dies nicht weniger zu schaffen machen könnte als eine offene Revolte.