Der Regisseur Sam Mendes schreibt den Mythos um James Bond auf intelligente Weise fort – und Daniel Craig findet als Geheimagent einen ebenbürtigen Widersacher: Christoph Waltz als Oberschurke. Am kommenden Donnerstag kommt „Spectre“ bundesweit in die Kinos.

Stuttgart - Bevor wir uns ins neue Abenteuer von James Bond stürzen und in Mexiko-Stadt ein mehrstöckiges Gebäude in Schutt und Asche legen und einen Hubschrauber wie eine besoffene Monsterlibelle in Menschenmassen trudeln lassen, bevor wir uns also Hals über Kopf ins Getümmel der fulminanten Eröffnungsszene werfen, wenden wir uns kurz der Wirklichkeit zu: Das Budget von „Spectre“ ist von geplanten 200 Millionen Euro auf 350 Millionen angeschwollen. Er wäre damit der teuerste Film aller Zeiten, eine Information, die wir jenen Hackern zu verdanken haben, die vor einem Jahr die Sony-Mails geknackt haben. Das wäre kaum eine Fußnote wert, ginge es hinter all der entfesselten Action des 007-Spektakels jetzt nicht genau darum: um die Machtfülle, die geheimgehaltene Daten bieten. Denkt man den Plot von „Spectre“ weiter, dann retten Typen wie Edward Snowden und Julian Assange die Welt. Und natürlich: James Bond.

 

Aber halt, stopp! Rettet der Doppelnull-Agent tatsächlich noch die ganze Welt? Dem mehr als fünfzigjährigen Mythos rund um den Übervater der Popkultur sind ja schon immer kindliche Allmachtsfantasien eingeschrieben gewesen. Von Sean Connery über Roger Moore bis zu Pierce Brosnan: wenn sie für Ihre Majestät im Einsatz waren, erwiesen sie sich als unverwüstliche Alleskönner, die noch jede abgefeimte Schurkerei in die Luft sprengen konnten. Sie waren Comic-Helden und sahen in der Weltrettung ein Spiel, zu dessen Spielzeugen neben schnellen Jaguars und schießenden Füllfederhaltern auch willige Damen zählten. Die Kinderfantasie war auch eine ausgesprochen hübsche Männerfantasie, langlebig und zäh, zumindest bis 2006. Dann kam Daniel Craig und gab in „Casino Royale“ sein Debüt als Geheimagent mit der Lizenz zum Töten: ein angeschlagener Held für eine angeschlagene Welt, der mit all seinen Blessuren für Allmachtsfantasien nicht mehr taugte. „Spectre“ ist sein vierter Einsatz. Und statt kurz die Menschheit aus dem Schlamassel zu hauen, schützt er hier – reifer, erwachsener und ernster geworden – ganz staatsmännisch die Demokratie vor den Fängen des Überwachungsstaats.

Im Konzern der Kriminellen

Auch wenn das nach Leitartikel klingt – Bond bleibt natürlich Bond und erfüllt seine neue Mission wieder mit atemraubenden Stunts, Special Effects und Verfolgungsjagden zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Sein Auftrag in Mexiko-Stadt ist ein inoffzieller. Seine frühere, im Vorgängerfilm „Skyfall“ getötete Vorgesetzte (Judi Dench) hat ihm per Video ihr Vermächtnis hinterlassen. Er müsse den Gangster Marco Sciarra töten und anschließend zu dessen Beisetzung nach Rom fliegen. Gesagt, getan. Die Kollateralschäden des inmitten des mexikanischen Totenfests durchgeführten Attentats sind zwar enorm, siehe oben, aber schon rettet er in einem römischen Landhaus der von ihm zur Witwe gemachten Lucia Sciarra das Leben. Zum Dank dafür: ein amouröses Intermezzo mit Monica Bellucci, dem ältesten Bond-Girl aller Zeiten, inklusive Hinweise, die ihn auf die Spur der Verbrecherorganisation Spectre führen.

Spectre, gesprochen Specter, heißt auf Deutsch „Gespenst“ – und dieser multinationale Konzern der Kriminellen hat schon in frühen Bond-Filmen die Weltherrschaft angestrebt. Ihre Fortsetzung unter der Regie von Sam Mendes knüpft nun offensiv an die Tradition der Reihe an und strickt zudem Motive weiter, die im ebenfalls von Mendes mit souveräner Meisterschaft gedrehten „Skyfall“ schon angelegt waren. Dort gab Javier Bardem den Bösewicht Raoul Silva, einen ehemaligen Geheimdienstkollegen, der als Cyberterrorist wie ein gefallener Engel wirkte – und eben wie ein dämonischer Bruder von Bond, der Schatten auf das Seelenleben des Agenten fallen ließ. Doch jetzt, da Christoph Waltz den Superschurken Franz Oberhauser spielt, werden die Verwandtschaftsbande noch enger, noch obskurer.

Christoph Waltz mit Tarantino-Touch

Auf seiner Stationenreise ins Herz der Finsternis, die von Rom in die österreichischen Alpen und von dort in die glutheiße marokkanische Wüste führt, enthüllt sich Bonds Familiengeschichte. Als Waisenkind wuchs er bei Zieheltern auf – und sein damaliger Stiefbruder war, erraten, jener Franz Oberhauser, den er jetzt in der imposanten Hightech-Oase hinterm Felsenrund aufspürt. „Kuckuck“, ruft der Spectre-Boss, während er in den Agentenschädel haarfeine Bohrer treibt: „Kuckuck, Kuckuck.“ Er will, wie der nämliche Vogel, das fremde Ei endlich aus dem Nest werfen. Diesen Meister aller Foltertechniken gibt Christoph Waltz mit bewährtem Tarantino-Touch. Das abgrundtief Sadistische kleidet er in Sanftheit und Freundlichkeit, hochkultiviert, jovial, mit honigsüß einschmeichelnder Stimme.

Das Böse rückt Mr. Bond also nicht nur auf die Pelle, wie das jahrzehntelang der Fall war, sondern auch auf die Psyche. Erst der Bruder im Geiste, jetzt der Stiefbruder – und als Bond im Hotel in Tanger sitzt, neben dem Bett der von Léa Seydoux gespielten Begleiterin, die sich jede Annäherung verboten hat, als Craig da also betrunken, schwitzend, erschöpft eine Maus durchs Zimmer huschen sieht, legt er die Pistole an und fragt: „Und für wen arbeitest du?“ Die Paranoia flirtet mit Bond. Man muss jetzt nicht nur um seine körperliche Unversehrtheit bangen, sondern auch um seine seelische. Doch so sehr „Spectre“ die Psychopathologie des Geheimagenten ausbreitet, so sehr plädiert der Film doch für die Existenz des Geheimdiensts als solchem – auf intelligente Weise.

Retro-Schick in Sepia-Tönen

Zuverlässig wechselt Mendes zwischen Action- und Dialogszenen. Mit eleganter Ökonomie inszeniert er beides, die explosiv umherfliegenden Körper, Fahrzeuge und Gebäude nicht minder als die geistreich ironischen Gespräche, in denen Zug um Zug die neueste Verschwörung von Spectre ans Licht kommt. Kriege werden heute nicht mit Bomben, sondern mit Informationen gewonnen: Ein gigantisches Überwachungsprogramm soll den Mannen um Oberhauser die Weltherrschaft sichern, heimlich an den Parlamenten vorbeigeschleust und Geheimdienste und also auch Doppelnull-Agenten überflüssig machend. Freilich haben sie da ihre Rechnung ohne den analogen, im Gegensatz zu Beobachtungskameras und Drohnen noch zu Skrupeln fähigen James Bond gemacht – darauf, auf das Altmodische, das zu retten ist, weist auch die Ästhetik von Sam Mendes hin.

Den an exklusiven Schauplätzen gedrehten Szenen verpasst er durchweg einen Retro-Schick. Fahle Sepia-Töne liegen über den Bildern. Von der bonbonfarbenen Buntheit virtueller Welten will der neue James Bond noch immer nichts wissen. Wie auch? Selbst wenn er reifer und erwachsener geworden ist: 007 muss prügeln und schießen. Das tut er in „Spectre“ ausgiebig – und der Liebe räumt er im Finale auch noch einen Platz ein. Das aber ist eine andere Geschichte.

Alle Darsteller - alle Filme: Hier geht es zur interaktiven Bond-Grafik »