Der Pixar-Trickfilm „Soul“ beantwortet die Frage, wie es nach dem Tod weitergeht – und was vor der Geburt geschieht.

Stuttgart - Da haben sich zwei gefunden: Im Garten der jungen Seelen wird der gerade verstorbene Joe Gardner, der unbedingt zurück möchte ins Leben, zum Mentor für die Seele „Nummer 22“, die sich dem Übergang ins Leben schon sehr lange erfolgreich verweigert. Wie sich herausstellt, sind beide auf ihre Art auf dem Holzweg – und lernen bald voneinander.

 

Pete Docter, der feinsinnigste Trickfilmkünstler aus dem Hause Pixar, hat in „Alles steht Kopf“ (2015) ins Innere der menschlichen Psyche geblickt und sehr anschauliche Bilder gefunden für Gefühlschaos und Stimmungsschwankungen. Nun widmet er sich der menschlichen Seele, entwickelt auch für deren Sphären eine ganz eigene Vorstellungswelt und achtet dabei darauf, nicht religiös anzuecken.

Eine Hintertür aus dem Jenseits

Erneut schickt er sein Publikum in ein Wechselbad aus perfekt getimter Komödie und großem Drama. Joe Gardner ist ein verhinderter Jazz-Pianist, Aushilfslehrer und frustriert, als er gleich zwei Angebote erhält: Eine Vollzeitfestanstellung an der Schule und einen Job in der Band der gefeierten Saxofonistin Dorothea Williams. Außer sich vor Freude übersieht er einen offenen Gully. Weil er nicht bereit ist, seinen Traum aufzugeben, stürzt er sich vom Laufband, das gen Himmelspforte führt, und landet im Seelenkindergarten bei der aufsässigen Zynikerin 22, die schon mehrere sehr prominente Mentoren verschlissen hat. Joe ist ihr sympathisch, also zeigt sie ihm eine Hintertür zurück ins Leben – doch aus Versehen befördern die Fluchthelfer beide in ein grandioses komödiantisches Chaos.

Joe Gardner bekommt nun die Chance, mit anderen Augen auf sein bisheriges Leben zu blicken; die altkluge, gut vorgebildete 22 wiederum lernt die magischen Aspekte des irdischen Lebens und des Menschseins kennen: Sonnenstrahlen durchs Blätterdach, den anrührenden Song eines Straßenmusikers im U-Bahn-Schacht. Docter zelebriert das Diesseits in derart prallen, aufgeladenen Farben, dass man den Pizzaduft zu riechen glaubt – er feiert die kleinen, entscheidende Momente des Daseins, die im Alltagstrott oft untergehen. Spätestens bei seinem Friseur wird Joe klar, dass er bisher nie und nirgends richtig geistig anwesend war, weil er nur um sich selbst gekreist ist.

Verlorene mutieren zu Seelenmonstern

Das Jenseits ist eine ätherische Sphäre transparenter Gestaltwandler. Eine unendlich verständnisvolle Entität namens Jerry bereitet die jungen Seelen auf ihre Aufgabe vor, während ein grimmiger Erbsenzähler namens Terry akribisch darüber wacht, dass ihm kein Verstorbener durch die Lappen geht. Eine sehr skurrile Hilfsorganisation kümmert sich um die Gestrandeten und Fehlgeleiteten – sofern sie nicht schon verloren und zu Seelenmonstern mutiert sind. Da wird es ähnlich gruslig wie auf der Psychomüllhalde in „Alles steht Kopf“, aber Docter findet eine kindgerechtere Dosierung.

Eine wichtige Rolle spielt bei allem die Musik. Trent Reznor and Atticus Ross, die für ihren Score zu „The Social Network“ (2009) einen Oscar bekommen haben, sorgen für die atmosphärische Untermalung, für den Jazz der Pianist Jon Batiste, der mit seiner Band Stay Human Stephen Colberts „Late Show“ begleitet. Der Jazz eignet sich besonders gut, das Thema zu illustrieren und ihm eine weitere eigene Note zu geben: Wenn Joe sich an den Tasten in seelenvoller Improvisation verliert, ist so etwas wie ein „göttlicher Funke“ mit Händen zu greifen.

Auch Esoterik spielt eine Rolle, doch egal, worum es geht: Aus Docters ebenso originellen wie stringenten Einfällen sprechen tiefe innere Einsicht und ein großartiger Sinn für Humor. Eine wichtige Rolle spielt eine urkomische, nicht sehr attraktive Katze. Allein wegen ihr lohnt es sich, diesen Film anzuschauen.

Von 25. Dezember an bei Disney+