Stuttgarts OB Wolfgang Schuster hält einen Bürgerentscheid über die Stromnetze kaum für zulässig – manche sehen darin eine Finte und die Stadt sitzt in einer Zwickmühle.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Geschichte wiederholt sich nicht, heißt es: Aber gerade bahnt sich in Stuttgart ein Konflikt zwischen Rathaus und Bürgern an, wie man ihn vor fünf Jahren schon einmal erlebt hat. Ende 2007 hatte Oberbürgermeister Wolfgang Schuster ein Bürgerbegehren zu Stuttgart 21 abgelehnt, weil es formal nicht zulässig sei. Viele Menschen haben dem OB Taktik und politisches Kalkül vorgeworfen; das Zerwürfnis wirkt bis heute nach.

 

Vor wenigen Tagen nun hat der OB die Unterschriften von 27 000 Stuttgartern entgegengenommen, die fordern, dass die Stadt Stuttgart die Konzessionen für das Strom- und Gasnetz von der Energie Baden-Württemberg (EnBW) zurückkauft und den neuen Stadtwerken alleine übergibt. Barbara Kern, die Sprecherin der „Aktion Stadtwerke Stuttgart“, strebt einen Bürgerentscheid an. Ziel sei, rein kommunale Stadtwerke aufzubauen; nur wer die Netze besitze, könne eine dezentrale und ökologische Energieversorgung aufbauen.

Politischer Sprengstoff

Schuster hat jedoch bereits angedeutet, dass er auch dieses Bürgerbegehren nicht für zulässig hält. Er liebäugelt eher mit einer Kooperation mit der EnBW. Schuster steuert damit erneut auf einen Streit mit den Bürgern zu, was enormen politischen Sprengstoff birgt. Ist aber seine Haltung rechtlich nachvollziehbar, oder will er das Bürgerbegehren aus rein politischen Gründen verhindern?

Um diese Frage zu beantworten, ist ein Blick in die leider sehr komplizierte Materie des Konzessionsverfahrens unvermeidlich. Die Bundeskartellbehörde und die Bundesnetzagentur haben dazu vor einem Jahr Richtlinien herausgegeben; vor wenigen Wochen hat auch die Landeskartellbehörde in Stuttgart ihren Standpunkt konkretisiert. Alle drei sind sich einig: Grundsätzlich ist eine Stadt natürlich frei, wem sie ihre Netzkonzessionen gibt.

Bestimmte Kriterien zu berücksichtigen

Allerdings muss sie bei der Vergabe bestimmte Kriterien berücksichtigen, die im Energiewirtschaftsgesetz beschrieben sind. Danach verpflichtet sich eine Gemeinde, dazu beizutragen, dass die Energieversorgung „sicher, preisgünstig, verbraucherfreundlich, effizient und umweltverträglich“ ist. Bei ihrer Entscheidung, wer die Konzessionen erhält, muss sie also den Bewerber auswählen, der diese Kriterien am besten erfüllt.

Das bedeutet umgekehrt, dass eine Stadt die Konzessionen nicht einfach deshalb den Stadtwerken zuschanzen darf, weil das doch ein Tochterunternehmen ist und man will, dass das Geld in der Stadtkasse bleibt. Im Positionspapier der Landeskartellbehörde heißt es eindeutig: „Insbesondere ist es nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, trotz sachkundiger Bewerber die Wegerechte an sich selbst zu vergeben.“

Versorgungssicherheit gewährleistet?

Darauf stützt OB Schuster seine Argumentation. „Wir haben keine Garantie, dass wir die notwendige Ausschreibung gewinnen“, sagte Schuster bei der Entgegennahme der Unterschriften: „Da unsere Stadtwerke bisher nur zwei Mitarbeiter haben, könnte man uns zum Beispiel vorwerfen, die Versorgungssicherheit sei nicht gewährleistet.“ Konkret könnte also die Kartellbehörde einschreiten, oder ein unterlegener Bewerber könnte die Entscheidung vor Gericht anfechten. Dies möchte die Stadt verhindern, indem sie die EnBW ins Boot nimmt, die sicherlich genug Erfahrung vorweisen kann.

Gemeindetag läuft Sturm

In der Theorie ist die Argumentation der Stadt also durchaus schlüssig – das Gesetz wird derzeit tatsächlich eher zu Ungunsten der Städte ausgelegt. Die Praxis sieht allerdings etwas anders aus. So läuft der Gemeindetag Baden-Württemberg Sturm gegen das Positionspapier der Landeskartellbehörde: „Es kann nicht sein, dass bei der Vergabe allein das Wettbewerbsrecht gilt“, sagt Willi Schmid vom Gemeindetag: „Wir betrachten dies als einen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung, weil der Entscheidungsspielraum des Gemeinderates beinahe auf null reduziert wird.“ Man ist deshalb beim Innenministerium vorstellig geworden.

Zumindest bisher scheint es bundesweit auch keine Fälle zu geben, bei denen eine Behörde die Konzessionsvergabe einer Stadt beanstandet hat. „Es gibt in der Praxis keinen großen Streit“, sagt Rainer Warnecke, der Sprecher der Bundesnetzagentur. Auch sind ihm keine Gerichtsurteile bekannt, bei denen unterlegenen Bewerbern nachträglich die Konzession zugesprochen wurde.

„Der OB will gar nicht“

Und ganz in der Nähe, in Ludwigsburg und Kornwestheim, konnte man vor Kurzem beobachten, dass Städte sehr wohl die Netze allein übernehmen können – die EnBW ist dort bis heute über ihr Ausscheiden sauer, hat aber keine Klage angedroht. Doch befanden sich die Stadtwerke Ludwigsburg-Kornwestheim in einer besseren Situation: „Wir hatten schon 2007 ein kleines Netz in Poppenweiler übernommen, bevor wir uns das Netz bewarben“, sagt Geschäftsführer Bodo Skaletz.

Barbara Kern von der „Aktion Stadtwerke Stuttgart“ ist aber sowieso der Meinung, dass Schusters Argumente auch dieses Mal vorgeschoben seien: „Der OB will gar nicht, das ist das Hauptproblem“, sagt sie. Sie räumt zwar ein, dass ein transparentes Verfahren, an dem sich jeder Energieversorger beteiligen kann, vermutlich notwendig ist. Doch könne man die Kriterien für die Konzessionsvergabe so gestalten, dass die Stadtwerke den Zuschlag bekommen würden. Die angeblich fehlende Versorgungssicherheit sticht für Kern nicht: „Die Stadtwerke müssten sowieso Mitarbeiter der EnBW übernehmen, um die Netze zu betreiben – es wäre Knowhow vorhanden.“

Wirtschaftliches Risiko teilen

Womöglich liegen die Gründe dafür, dass die Stadt eine Kooperation mit der EnBW anstrebt, deshalb ganz woanders. Vielleicht befürchtet man tatsächlich, die Netze ohne die EnBW nicht unfallfrei betreiben zu können; viele Gemeinden haben sich für einen „strategischen Partner“ entschieden. Man will sich vielleicht das wirtschaftliche Risiko teilen. Und man will durch dieses Entgegenkommen eine bessere Ausgangsposition erzielen, wenn man sich mit der gleichen EnBW an einen Tisch setzt, um über den Rückkauf der Wasserversorgung zu verhandeln. Es gibt nämlich die kuriose Situation, dass dieselbe Bürgerinitiative um Barbara Kern erreicht hat, dass die Stadt das Wasser von der EnBW zurückholt. Dummerweise ist der Energiekonzern aber gar nicht verpflichtet, das Wasser abzugeben. Insgeheim muss die Stadt ihm also etwas bieten – etwa einen Anteil am Netzbetrieb. Insofern hat das Bürgerbegehren zum Wasser die Verhandlungsposition der Stadt eher geschwächt.

Doch offiziell darf es keine Verknüpfung geben zwischen den Verhandlungen zum Strom- und Gasnetz und zum Rückkauf des Wassers. Da würde die EU in Brüssel sofort Wettbewerbsverzerrung wittern. Kurzum: die Stadt ist in der Zwickmühle.