Der Österreichische Platz, einer der unschönsten Orte der Stadt, wird derzeit mit eigenen Fanartikeln in einem Souvenirshop unter der Paulinenbrücke gewürdigt. Das Beispiel sollte Schule machen: Wann wird zum Beispiel der Arnulf-Klett-Platz ähnlich gefeiert?

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Stuttgart ist eine Stadt, reich an architektonischer Hässlichkeit. Aus Gründen der Selbstironie werden die hässlichsten Orte hier oft „Platz“ genannt, dabei meint ein Platz in städtebaulicher Hinsicht eigentlich eine freie Fläche, von Gebäuden umringt, auf der Menschen unfallfrei zusammenkommen dürfen.

 

Der Marienplatz im Stuttgarter Süden ist in dieser Hinsicht ein schönes Beispiel. Am Sonntag, dem womöglich letzten schönen Tag vor der nun drohenden sechsmonatigen Dunkelheit mit Namen Winter, wurde jeder Zentimter Beton von Menschen jeglichen Alters erobert, bewaffnet mit Picknick-Decken, den kurzen Rückfall in den Frühling feiernd.

Was hat uns Österreich nur angetan, dass es diesen Platz verdient hat?

Der Österreichische Platz wiederum ist das Beispiel, wenn es darum geht, Stuttgarts punktuelle Hässlichkeit zu visualisieren. Der Gemeinderat muss sich in einer heiteren Phase seines Schaffens befunden haben, als er diesen Feinstaubzirkel Platz genannt hat. Außerdem scheinen die Räte einst schlechte Erfahrungen mit Österreich gemacht zu haben, wie sonst ist diese architektonische Beleidigung der Alpenrepublik zu erklären. Es grenzt an ein Wunder, dass noch kein politisch Verantwortlicher aus Stuttgart wegen dieser Schmähbenamung in Wien einbestellt wurde. Wenigstens zeigte die Stadt Stuttgart eine sonst selten zu beobachtende städtebauliche Konsequenz, als sie den Österreichischen Platz mit dem Neubau des Schulverwaltungsamts vor einigen Jahren noch hässlicher machte.

Nun wusste bereits der Schriftsteller und Maler Robert Gernhardt nach einem Besuch in Metzingen, dass das Unschöne durchaus Halt geben kann: „Dich will ich loben, Häßliches, Du hast so was Verläßliches“, dichtete Gernhardt, nachdem er die Outlet gewordenen Kleinstadt am Rande der Alb gesehen hatte. Auch die hässlichen Seiten von Stuttgart haben etwas Beruhigendes, architektonische Schönheit lenkt nur vom Wesentlichen, von der Arbeit, ab. Das Unschöne passt außerdem besser zur schwäbischen Bescheidenheit, warum also dieses Alleinstellungsmerkmal, wie die Marktschreier sagen würden, nicht aktiv nutzen.

Die Stadtlücken machen mit einer tollen Aktion auf sich aufmerksam

Das erledigen die Mitglieder des lobenswerten Zusammenschlusses Stadtlücken noch bis zum kommenden Wochenende. Das Netzwerk „zum gemeinsamen Entwickeln von Anwendungen für Lücken in der Stadt Stuttgart“, so die Eigenbeschreibung, betreibt bis zum 23. Oktober einen Souvenirkiosk unter der Paulinenbrücke. Dort werden wirklich schöne Jutebeutel mit einem Österreichischer-Platz-Aufdruck verkauft, Bierdeckel, ja sogar einen Fanschal für Stuttgarts hässlichsten Platz gibt es.

Mit dem Souvenirkiosk und einer dazu passenden Veranstaltungsreihe „Wo ist überhaupt dieser Österreichische Platz?“, in dessen Kontext unter anderem dieser schöne Film entstanden ist, wollen die Stadtlücken auf den Österreichischen Platz und die Paulinenbrücke aufmerksam machen. „Wir möchten die Einwohner dazu anregen, über eine alternative Nutzung und Umgestaltung des Platzes nachzudenken, um den Raum öffentlich zugänglich und gemeinsam nutzbar zu machen“, lautet die Idee hinter dem Kiosk.

Mut zur Hässlichkeit auch an anderer Stelle

Dieser Plan ist so gut, dass man ihn bezogen auf andere Architektur-Highlights in Stuttgart unbedingt weiterdrehen sollte. Was bisher zum Beispiel fehlt, sind Fan-Artikel zur Klett-Passage unter dem Bahnhof. Dieser Unort ist so gewaltig unschön, dass die Geisterbahnen auf dem Wasen in diesem Jahr Umsatzeinbußen zu beklagen hatten – gegen die reale Geisterbahn am Bahnhof mit jeder Menge menschlicher Erschrecker war kein Kraut gewachsen. Auch unschön: der Josef-Hirn-Platz zwischen Altstadt und Eberhardstraße. Hier konkurrieren so genannte Casinos mit Shisha-Cafés um die Gunst des Publikums.

In diesem Punkt ist Stuttgart wenigstens konsequent. Arnulf Klett und Josef Hirn, die beiden Bürgermeister, die den Grundstein für die hiesige Unart mit Namen Abriss und Stadtverschlimmerung gelegt haben, werden heute dadurch bestraft, dass sie als Namenspatrone für städtebauliche Hässlichkeit herhalten müssen. Vielleicht funktioniert der Souvenirshop unter der Paulinenbrücke ja als Inspiration für Stuttgart Marketing. Ein touristisches Angebot, „Stuttgarts hässlichste Plätze – eine Stadtführung aus Beton“, wäre ein frischer Ansatz zur Stärkung des Fremdenverkehrs.