Klaus Schäfer war viele Jahre bei der Bundeswehr, dann wurde aus ihm der Pallottiner-Pater Klaus. Er wirkte als Seelsorger in einem Krankenhaus, initiierte Trostgottesdienste und schrieb Sterbebegleitbücher. Sein zentrales Anliegen ist jedoch die Organspende.

Bruchsal - Pater Klaus Schäfer liebt es, seine Mitmenschen zu verblüffen. Einer dieser Sätze, die einen staunen lassen, ist der über seine Berufung zum Leiter der Ordensgemeinschaft im Bruchsaler Paulusheim vor drei Jahren: „Meine Mitbrüder dachten, dass das genau das richtige Amt für mich ist. Ich denke das nicht.“ Und so wird er, der sich 2014 von der Krankenhausseelsorge verabschiedet hat, um Innendienst im Kloster zu machen, Ende dieses Jahres wieder in die Krankenhausseelsorge zurückgehen. Mit 58 ist er noch jung genug dafür, viel jünger als die meisten seiner Mitbrüder, die im Durchschnitt 79 Jahre alt und im Ruhestand sind.

 

Es sind gerade mal zehn Pallottinerpater, denen er in Bruchsal vorsteht. Ein zu ruhiges Leben für einen, der so umtriebig ist. Mehr als einen gemeinsamen Gottesdienst am Tag gibt es nicht. Die Pallottiner sind keine Benediktiner, eher ein weltoffener Orden, der seine Aufgabe draußen bei den Menschen sieht. Die wenigsten tragen ein Gewand, die Stundengebete hält jeder für sich, beim Abendessen liest keiner aus der Heiligen Schrift, beim Essen muss nicht streng geschwiegen werden. 240 Pallottiner gibt es heute in Deutschland, etwa 2500 weltweit. Ihr Ordenskürzel lautet SAC für Societas Apostolatus Catholici, übersetzt Gesellschaft apostolischen Lebens in der katholischen Kirche. Das gleichberechtigte Engagement von Laien spielt für sie eine entscheidende Rolle, zum Missfallen mancher Päpste in früheren Zeiten.

Der Gründer und Namensgeber Vinzenz Pallotti (1795–1850) gab die Richtung vor. Als Priester ging er zu denen, zu denen kein anderer gehen wollte, und blieb auch dort hartnäckig sitzen, wo sie überhaupt keinen Geistlichen bestellt hatten. Das imponierte Schäfer schon immer. Die Idee der „unendlichen Liebe“, die nicht pausenlos danach fragt, wie viele Sünden einer begangen hat. Die Begegnung auf Augenhöhe, bei denen sich der Seelsorger nicht über die erhebt, die ihm ihr Vertrauen schenken. „Wenn ich eine Hostie austeile“, sagt Pater Klaus, „dann stehe ich mit den Empfängern auf einer Stufe“ – wohl wissend, dass der Priester in der Kirche zumeist aus einer erhöhten Position die Eucharistie spendet.

Ein Spätberufener

1993 hat Klaus Schäfer Theologie studiert. Ein Spätberufener, der erst zwölf Jahre bei der Bundeswehr war. „Ich wollte dort meinen Meister machen“, sagt er, als Elektromechaniker arbeitet er bei der Luftwaffe und am Tornado-Kampfjet mit. Bei geistlichen Exerzitien für Soldaten begegnet ihm ein Pfarrer, der ihn beeindruckt – und der ihm erzählt, dass man auch ohne Abitur Priester werden kann.

So studiert der Bauernsohn aus Kempten im Allgäu tatsächlich Theologie mit Hauptschulabschluss, am katholischen Priesterseminar St. Lambert im rheinland-pfälzischen Lantershofen. Dort können Quereinsteiger mit Berufsabschluss die höhere geistliche Laufbahn einschlagen und müssen dafür nicht einmal Griechisch und Hebräisch büffeln. „Ich habe es auch noch nie gebraucht“, sagt Schäfer, der aus seiner Abneigung gegen verkopfte Theologiedebatten kein Hehl macht.

Von Anfang an reizt ihn der Dienst am Menschen. Den Pallottinern schließt er sich an, weil sie stets dicht an den Menschen dran sind und weil ihm ihre Form der Gemeinschaft gefällt. Überdies haben sie in seiner Heimatdiözese Augsburg ihren Hauptsitz. 1999 entsenden sie ihn ans St.-Vincentius-Krankenhaus nach Karlsruhe, wo er ab sofort Dienst tut.

Es wird seine eigentliche Berufung, eine Herzensaufgabe, der er sich mit Leidenschaft annimmt. Er sitzt am Bett von Unfallopfern, unheilbar Krebskranken, Menschen, die im Alter hilflos und einsam sind. Das alles erfüllt ihn zutiefst, gibt ihm Kraft, die er weitergibt, keineswegs nur den Patienten, sondern auch den Angehörigen und dem Pflegepersonal.

Den Pater leg er an der Pforte ab

Er sucht die Begegnung auf Augenhöhe. Den Pater legt er an der Pforte ab und lässt sich nur als „Bruder Klaus“ anreden. „Sie glauben gar nicht, was das für einen Effekt hat“, sagt er. „Meine Bruder heißt auch Klaus“, habe ihm mal einer gesagt, und der Rest hat es zu schätzen gewusst, dass da kein geistlicher Übervater kommt, sondern ein Mitmensch, der die Hand hält.

Er hält die Hand von Frauen, die ein Kind bei einer Tot- oder Fehlgeburt verloren haben. Erkennt, wie sehr sie Trost nötig haben und wie wenig sie ihn in ihrer Umgebung oft bekommen. So ruft er für sie besondere Gottesdienste ins Leben, Trauerfeiern, die ganz speziell auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Manche kommen mehrfach, schreiben Briefe an Gott und ihre toten Kinder, weinen stille Tränen und sprechen leise Gebete.

Ein anderes Mal trifft er auf eine junge Frau, die eine irreparable Lungenschädigung hat. Sie stirbt auf der Intensivstation, weil sie kein Spenderorgan bekommt. „Eine Mutter mit drei kleinen Kindern, die hätte gerettet werden können“, da ist sich Klaus Schäfer hundertprozentig sicher.

Der Fall wird zum Schlüsselerlebnis für den Klinikseelsorger. Zur Initialzündung für einen Kampf, den er bis heute mit Leidenschaft kämpft. Es ist der Kampf für die Organspende, für die Anerkennung dessen, was man als „Hirntod“ bezeichnet. Und für die Veränderung einer Rechtslage, die er in Deutschland für völlig unzureichend hält.

„Beim Thema Organspende wird oft Blödsinn verbreitet“

Schäfer überschlägt sich beinahe, wenn er davon spricht. Steht vom Sofa seines Dienstzimmers auf, springt zu seinem Laptop, ruft Seiten mit unzähligen Statistiken auf und Grafiken, die er selbst erstellt hat. „Hier“, sagt er, und „da“. „Sie glauben gar nicht, was bei diesem Thema oft für ein Blödsinn verbreitet wird.“

Den Blödsinn hat er in zehn Sätzen zusammengefasst. Kritikpunkte, die er allesamt für längst widerlegt hält. Dass der Hirntod etwa eine Erfindung aus dem Jahre 1968 sei, um besser an die Organe zu kommen. „Die erste veröffentlichte Diagnose stammt von 1960, sieben Jahre vor der ersten Herztransplantation.“ Kein Hirntoter sei jemals wieder ins Leben zurückgekehrt – und ohne künstliche Beatmung auch nicht lebensfähig.

Auch die Vermutung, Hirntote könnten noch Schmerzen empfinden, ist für ihn absurd: „Jede Möglichkeit der Wahrnehmung ist erloschen“, zumal in Deutschland die Gesetzeslage so sei, dass ein vollständiger Ausfall von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm diagnostiziert werden müsse, und das von zwei unabhängigen Fachärzten: „Sicherer geht es nicht.“

Inzwischen hat Klaus Schäfer eine Vielzahl von Büchern zum Thema geschrieben: „Mein Bekenntnis zur Organspende“, „Gesellschaftliche Reaktionen bei der Veränderung des Todesbegriffes“, „25 Transplantierte berichten über die mindestens 25 Jahre ihres zweiten Lebens“. Selbst einen Roman hat er auf den Weg gebracht, „Der Ausweis“, erschienen im Pallotti-Verlag seines Klosters. Das Kloster lässt ihm derzeit viel Zeit zum Schreiben und Nachdenken. Eine Rechtslage, wie in Österreich, die wünscht er sich. Dort muss man ausdrücklich widersprechen, wenn man kein Organspender sein will. In Deutschland hingegen ist bei zwei Dritteln der Bürger ungeklärt, ob sie bereit wären, ihre Organe nach ihrem Tod zu spenden. „Einfach furchtbar“, sagt Schäfer, der aus eigener Krankenhauserfahrung weiß, wie schlimm es für die Angehörigen von Verstorbenen ist, wenn sie eine solche Entscheidung treffen sollen.

Elf Brüder im Kloster

Deshalb drückt der Pallottinerpater auch jedem, der ihm in die Quere kommt, einen Stapel mit Visitenkarten in die Hand. Die Vorderseite mit seinem Namen ist ihm dabei reichlich egal, die Rückseite mit der Aufforderung, Organspender zu werden, allerdings nicht. „Bitte verteilen“, sagt er, „vielleicht kommen wir so in Deutschland endlich einmal vom vorletzten Platz in der Organspendestatistik weg.“

Dann wird es auch Zeit für Pater Schäfer. Er muss die Würstchen warm machen fürs Abendessen im Kloster. Bei elf Brüdern, von denen nur selten alle da sind, ist es kein allzu großer Aufwand nötig. Das Refektorium, wie der Speisesaal in der Klostersprache heißt, sieht aus wie die Kantine eines Kleinbetriebes. Die Dekoration wie ein Überbleibsel aus den späten siebziger Jahren.

Bald schon wird Pater Schäfer diese Zeit hinter sich gelassen haben. Das Leben als Leiter der Gemeinschaft, das für ihn ein Intermezzo war. Die Arbeit im Büro, die ihn noch nie wirklich erfüllt hat. „Den Namen der Klinik kenne ich noch nicht“, sagt er „aber die Kriterien schon ganz genau: Kardiologie, Onkologie und mindestens 400 Tote im Jahr.“

„Erst der Tod macht das Leben wertvoll“

Es ist wieder einer jener Momente, bei dem es dem anderen die Sprache verschlägt. Aber Klaus Schäfer hat eben auch gelernt, wie man formulieren muss, wenn man die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen bekommen will. „Erst der Tod macht das Leben wertvoll“, sagt er und lässt keinen Zweifel daran, dass ihn der neuerliche Umgang mit den existenziellen Dingen des Lebens nicht schrecken wird.

Da ist er ein wenig wie der Stammvater der Pallottiner. 1963 wurde Vinzenz Pallotti heiliggesprochen, Klaus Schäfer trägt stolz ein schwarzes Poloshirt, das an den 50. Jahrestag dieses Ereignisses erinnert.

Zusammen mit der schwarzen Hose ist das Dienstkleidung genug. Ansonsten streift der Pater auch leidenschaftlich gerne die Fahrradkluft über. 15 Jahre lang fuhr er täglich die 28 Kilometer vom Krankenhaus ins Kloster mit dem Rad. Einmal machte er sich mit einer Gruppe von Radpilgern sogar auf den Weg nach Jerusalem. Es war der einzige Moment in seinem Leben, wo er das Hebräische vielleicht hätte doch brauchen können.