In Irland waren Staat und katholische Kirche über Jahrzehnte Komplizen beim Missbrauch von Kindern. Der Vatikan versuchte sogar, den Skandal zu verschleiern.

München - Die irische Gesellschaft war nach der US-amerikanischen und vor der deutschen die zweite, die vom Auffliegen großer Missbrauchsskandale erschüttert wurde. Die irischen Skandale indes reichten tiefer als andere, denn dort hatte – jedenfalls bis zum „schrecklichen Jahr“ 2009 – die katholische Kirche eine nahezu allmächtige und bestimmende Rolle. Sie gebärdete sich und war derart unangreifbar, dass selbst Polizeibehörden trotz vierjähriger Untersuchung und zahlreicher Verdachtsmomente lieber die Ermittlungen im Sande verlaufen ließen, als Bischöfe zu beschuldigen. Hinzu kam eine zweite irische Besonderheit: Der Staat war Komplize. Jahrzehntelang trieb er Kinder in die Arme eines verbrecherischen Systems. Das Schicksal Tausender junger Leute wurde totgeschwiegen.

 

Gleich zwei Berichte von Regierungskommissionen deckten 2009 die irischen Abgründe endlich in systematischer Weise auf. Im Mai erschien der „Ryan-Bericht“. Er widmete sich der Versklavung, der Zwangsarbeit, der körperlichen und seelischen Gewalt, der 35 000 irische Kinder in „Besserungsanstalten“, Waisenhäusern und anderen Heimen ausgesetzt waren. Zum Inbegriff dieses „irischen Holocaust“, wie Landeszeitungen es nannten, sind die „Magdalenen-Heime“ geworden, in denen die irische Justiz sozial gefährdete und „gefallene“ Mädchen unterbrachte – oder einfach nur Kinder versteckte, die „in Schande“, also unehelich, zur Welt gekommen waren.

Besondere Grausamkeit der barmherzigen Schwestern

Alle diese Heime waren staatlich, wurden aber von katholischen Ordensgemeinschaften geführt. Eine davon nannte sich „Schwestern der Barmherzigkeit“ – gerade sie zeichneten sich durch besondere Grausamkeit aus. Der Staat hatte eine Aufsichtspflicht, aber er nahm sie nicht wahr; Entschädigungen – insgesamt 60 Millionen Euro – wurden erst 2013 beschlossen, staatliche jedenfalls; die Ordensgemeinschaften zahlten nicht, auch wenn sie vom Antifolter-Komitee der UN dazu aufgefordert worden waren.

Die zweite Untersuchung des Jahres 2009, der „Murphy-Bericht“, erschien im November. Er widmete sich dem kirchlichen Kindesmissbrauch in der Erzdiözese Dublin und nahm nicht nur 46 pädophile Priester ins Gebet, sondern auch Bischöfe, welche diese Geistlichen einfach von Pfarrei zu Pfarrei versetzten, ihre Untaten vertuschten, nur damit der „Ruf der Institution“ makellos bleibe. In diesem Falle beteiligte sich die Kirche aktiv an den Ermittlungen. Oder besser: der Dubliner Erzbischof Diarmuid Martin tat es. Er stellte der Kommission mehr als 65 000 Akten zur Verfügung und spaltete damit den irischen Episkopat: Der Widerstand unter den anderen Bischöfen gegen eine Aufdeckung war allzu groß.

Vatikanspitze wollte den Missbrauch verschleiern

Wenige Tage nach Erscheinen des „Murphy-Berichts“ reagierte auch Papst Benedikt XVI. Er zitierte sämtliche irische Oberhirten – 26 Diözesan- und sechs Weihbischöfe – in den Vatikan, wusch ihnen den Kopf, sprach von „abscheulichen Verbrechen“, und nahm wenigstens drei Bischofsrücktritte an.

Erst vor wenigen Tagen ist bekannt geworden, dass sogar die Vatikanspitze um das Jahr 2003 herum die Missbräuche verschleiern wollte. Irlands damalige Präsidentin Mary McAleese und Außenminister Dermot Ahern berichteten, Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano habe sie ersucht, staatlichen Ermittlern den Zugang zu kirchlichen Archiven zu verbieten und – zweitens – die Kirche bei der Justiz von allen Geldstrafen freizustellen. Sodano, heute 90 Jahre alt, immer noch Chef des Kardinalskollegiums und Strippenzieher hinter den Kulissen, hat sich 2010 unsterblich gemacht, als er Benedikt XVI. während der Ostermesse öffentlich aufforderte, sich nicht von Medienberichten über kirchlichen Kindesmissbrauch beeindrucken zu lassen. Das sei doch alles nur „Geschwätz“.