Er half Menschen, mit Umbrüchen umzugehen. Jetzt ist der Neurowissenschaftler und Philosoph Gerhard Roth gestorben.

Um die Jahrtausendwende war die öffentliche Debatte noch nicht von der Künstlichen Intelligenz geprägt, sondern vom menschlichen Gehirn. Angestoßen vom Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Frank Schirrmacher, stritten Philosophen, Neurowissenschaftler und Biologen über die Fragen: Gibt es einen freien Willen? Bestimmt ein unabhängiges Ich, was immer es sein mag, darüber, was wir tun und lassen? Oder sind unsere Entscheidungen und Handlungen vorherbestimmt durch zufällige synaptischen Verbindungen in unserem Gehirn?

 

Zu den herausragenden Stimmen dieser Debatte gehörte Gerhard Roth. Der gebürtige Marburger war in besonderem Maße dafür geeignet. In Rom und Münster hatte er Philosophie studiert und promoviert; er hängte ein Zoologiestudium in Berkeley an, promovierte erneut, bevor er sich an der Universität Bremen als Hirnforscher etablierte. Seine Interdisziplinarität erleichterte es ihm, die Erkenntnisse der Neurowissenschaften in die damals naturwissenschaftlich eher blinde Philosophie zu tragen – ein Ansinnen, dass einige Philosophen noch heute bekämpfen. Nicht zuletzt, weil sie ihre Deutungshoheit zum menschlichen Geist zu verlieren drohen.

Dabei war Roth, dessen Bücher zum großen Teil beim Stuttgarter Verlag Klett-Cotta erschienen sind, kein kruder Positivist. Zwar verwies er in pointierten öffentlichen Beiträgen auf die biologischen Grundlagen des menschlichen Geistes. Also auch darauf, dass unser angeblich freier Wille durch Genetik, vorgeburtliche und frühkindliche Erfahrung so recht frei nicht ist. Man könne seine Persönlichkeit nicht einfach durch einen Willensakt ändern. Aber er erkannte stets an: Die Erforschung des Gehirns wird niemals vollständig das Rätsel des menschlichen Geistes lösen.

In den letzten Jahre bemühte sich der Wissenschaftler darum, die Erkenntnisse der Neurowissenschaften zu nutzen, um Menschen zu helfen, mit gesellschaftlichen und persönlichen Umbrüchen umzugehen. Diese Arbeit wird er nicht fortsetzen können. Ende April ist Gerhard Roth, wie erst jetzt bekannt wurde, im Alter von 80 Jahren verstorben.