Familie/Bildung/Soziales: Hilke Lorenz (ilo)

Sein letzter ist kein lauter, eher ein leiser Fall. Zum allerletzten Mal sagt Wolfgang Armbruster gegen viertel vor elf den Satz, den er in den vergangenen 21 Jahren so oft gesagt hat, dass er es gar nicht zählen kann: „Hiermit eröffne ich die Sitzung der siebten Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen.“ Er wendet sich dem schüchternen Mann zu, der seinen Anwalt für sich sprechen lässt. Es geht um die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, die das Landratsamt des Alb-Donau-Kreises dem türkischen Familienvater verweigert hat. Aber ohne Bescheinigung kein Hauskauf und kein Geld von der Bank. Kein Zuhörer sitzt in den Zuschauerreihen.

 

„Ich mache eigentlich gar kein Ausländerrecht“, sagt der türkischstämmige Anwalt. Aber weil sein Mandant ein Landsmann ist und er ihn schon lange begleitet, steht er nun hier. Diese Verbundenheit ist sympathisch. Aber ist es klug, so vor Gericht aufzutreten?

„Macht doch nichts“, sagt Armbruster vom Richtertisch herab väterlich. „Das ist auch sehr kompliziert. Da sind Sie nicht der Einzige. Dann versuchen wir es eben zusammen.“ In der Referendarsausbildung komme das Thema nicht vor, wird Armbruster nicht müde zu mahnen – auch in Richtung seines ehemaligen Sigmaringer Kollegen, dem baden-württembergischen Justizminister Guido Wolf.

Wäre Armbruster nicht Jurist geworden, dann mit Sicherheit Lehrer. In Momenten wie diesem erwacht der Pädagoge in ihm, der will, dass die Menschen verstehen, was geschieht. Die Kammer hat im Vorfeld mit dem Landratsamt telefoniert, der türkische Familienvater könne mittlerweile auf die Einkünfte seiner Frau verweisen, erklärt sein Anwalt. Das Familieneinkommen dürfte nun ausreichen für die Niederlassungserlaubnis. „Sie reichen am besten die Gehaltsnachweise einfach nach“, erklärt Wolfgang Armbruster. Die Klage ruhe so lange. Vielleicht erledigt sie sich ja auf diesem Weg.

„Kommen Sie gut nach Hause“

Reden hilft, das hat er gelernt. „Mir geht es um Transparenz in den Verhandlungen“, sagt er in deutlich vernehmbaren Schwäbisch. Er redet lieber so, dass ihn die Menschen verstehen, als dass er sich hinter Juristenprosa oder gekünsteltem Hochdeutsch versteckt. Es scheint zu gelingen. „Dafür, dass Sie noch nie einen Antrag gestellt haben, ist der aber recht anständig“, sagt Armbruster – ganz der Pädagoge – schließlich lobend. Der Anwalt schaut ihn an. „Das habe ich ja auch bei Ihnen gelernt“, sagt er, „bei einer Ihrer Fortbildungen.“ Armbruster lächelt. „Kommen Sie gut nach Hause“, sagt er wie immer und fügt ein „Behalten Sie uns in guter Erinnerung“ hinzu.

„Dublin können Sie knicken“

Vielleicht ist er auch so beliebt, weil er mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält. Nur fundiert und durchdacht muss sie halt sein. Und so haben diesen Mann so ziemlich alle Parteien des Sigmaringer Gemeinderats schon einmal gefragt, ob er bei ihnen mitmachen wolle. Er lehnte immer ab, um den Rücken frei zu haben. Bei einer Podiumsdiskussion der Lokalzeitung sagt er: „Dublin können Sie kicken.“

Gemeint ist die Regelung im Asylrecht, nach der Asylsuchende ihren Antrag in dem EU-Land stellen müssen, wo sie zum ersten Mal registriert worden sind. Ein Gutmensch, wie man denken könnte, will er nicht sein. Aber einer, der versucht, „die Probleme zu erkennen, um sie nach Möglichkeit einer praktischen Lösung zuzuführen, die mit der Juristerei übereinstimmt“. Kreative Lösungen eingeschlossen.

Müsste er sich selbst einordnen, dann als württembergischen Altliberalen. In Schubladen lässt er sich nicht so leicht packen. Eher konservativ, ja, das sei er. Die Vorstellung, dass zur gesellschaftlichen Teilhabe auch der Wehrdienst gehört, hat ihn 1970 einrücken – und nicht verweigern – lassen. Aber genauso selbstverständlich geht er als Student gegen den Vietnamkrieg auf die Straße. Er kennt die andere Seite, wenn er vor Polizisten über das Versammlungsrecht doziert.

In seinem Kalender stehen am 31. Mai zwar die Worte „Ich habe fertig“, aber die Termine und Verpflichtungen reißen nicht ab. Er ist Mitglied im Beirat der Refugee Law Clinics, einer studentischen Rechtsberatung für Flüchtlinge. Er war an der Evaluierung des Zuwanderungsrechts beim Bundesinnenministerium beteiligt, berät die Migrationskonferenz der Deutschen Bischofskonferenz und ist Lehrbeauftragter an vielen Verwaltungshochschulen. Den Professorentitel hat ihm die Fachhochschule der Polizei in Villingen-Schwenningen auch deshalb verliehen, weil er „rechtstheoretisches Wissen äußerst praxisnah“ vermittle.

Von Oberschwaben aus die Welt im Blick

Dafür fährt er kreuz und quer durch das Land. Von Schramberg im Schwarzwald, wo sein Vater Kämmerer war, hat es ihn dauerhaft nach Sigmaringen verschlagen. Die Kreisstadt, so frotzeln sie hier, sei von überall gleich weit weg. Alle Anfragen, an höhere Gerichte zu gehen, hat der dreifache Vater immer abgelehnt – seiner Familie wegen.

So hat er von Oberschwaben aus die Welt im Blick. Nicht immer schaut die Welt freilich nach Sigmaringen. Mal verhandelt man hier fast unter sich, mal im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Wie 1990, als der Bau der B 31 im Bereich der Ortsumgehung von Friedrichshafen-Schnetzenhausen in den Händen von Armbrusters Kammer lag. Richtig großes Kino war das. Fünf Tage verhandelte sie vor Ort im Gemeindezentrum. Wolfgang Armbruster hatte für das Mammutverfahren, auf das die Bodenseeregion und die Politik gespannt schauten, ein 40-seitiges Drehbuch über den geplanten Ablauf erstellt und wusste aus dem Effeff, wo sich welches Schriftstück in den 120 Aktenordnern befindet. Am Ende kippte das Gericht den Planfeststellungsbescheid. Die Klagen der Biobauern, die entlang der geplanten Trasse Obst und Gemüse für Säuglingsnahrung anbauen, gaben den Ausschlag. Der Verwaltungsgerichtshof sah es genauso.

„Alles hat seine Zeit“, sagt Armbruster nun nüchtern und meint seine Jahre als Richter. Er knöpft seine schwarze Robe zu und geht in Richtung Tür. „Es waren ja auch gute Jahre.“ Seinem Büro sieht man an, dass er hier „die meiste Zeit verbracht hat“. Bewohnt sieht es aus, gar nicht nüchtern effizient. Man kann den Mensch erahnen, der sich hier durch Aktenberge gegraben hat. Teppich, runder Holztisch, jede Menge Bilder und Plakate, Kunst und Fotografien an den Wänden. Viel Historisches und genauso viel Privates. Das Leben hat hier Einzug gehalten. „Wenn ich noch länger da wäre, würde ich den Schrank noch dunkelbraun streichen, damit er zu den anderen Sachen passt“, sagt Armbruster beim Rausgehen. Er hat ihn vor zwei Jahren übernommen, von seinem Vorgänger im Amt des Vizepräsidenten des Gerichts.

Sein letzter Fall

Sein letzter ist kein lauter, eher ein leiser Fall. Zum allerletzten Mal sagt Wolfgang Armbruster gegen viertel vor elf den Satz, den er in den vergangenen 21 Jahren so oft gesagt hat, dass er es gar nicht zählen kann: „Hiermit eröffne ich die Sitzung der siebten Kammer des Verwaltungsgerichts Sigmaringen.“ Er wendet sich dem schüchternen Mann zu, der seinen Anwalt für sich sprechen lässt. Es geht um die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, die das Landratsamt des Alb-Donau-Kreises dem türkischen Familienvater verweigert hat. Aber ohne Bescheinigung kein Hauskauf und kein Geld von der Bank. Kein Zuhörer sitzt in den Zuschauerreihen.

„Ich mache eigentlich gar kein Ausländerrecht“, sagt der türkischstämmige Anwalt. Aber weil sein Mandant ein Landsmann ist und er ihn schon lange begleitet, steht er nun hier. Diese Verbundenheit ist sympathisch. Aber ist es klug, so vor Gericht aufzutreten?

„Macht doch nichts“, sagt Armbruster vom Richtertisch herab väterlich. „Das ist auch sehr kompliziert. Da sind Sie nicht der Einzige. Dann versuchen wir es eben zusammen.“ In der Referendarsausbildung komme das Thema nicht vor, wird Armbruster nicht müde zu mahnen – auch in Richtung seines ehemaligen Sigmaringer Kollegen, dem baden-württembergischen Justizminister Guido Wolf.

Wäre Armbruster nicht Jurist geworden, dann mit Sicherheit Lehrer. In Momenten wie diesem erwacht der Pädagoge in ihm, der will, dass die Menschen verstehen, was geschieht. Die Kammer hat im Vorfeld mit dem Landratsamt telefoniert, der türkische Familienvater könne mittlerweile auf die Einkünfte seiner Frau verweisen, erklärt sein Anwalt. Das Familieneinkommen dürfte nun ausreichen für die Niederlassungserlaubnis. „Sie reichen am besten die Gehaltsnachweise einfach nach“, erklärt Wolfgang Armbruster. Die Klage ruhe so lange. Vielleicht erledigt sie sich ja auf diesem Weg.

„Kommen Sie gut nach Hause“

Reden hilft, das hat er gelernt. „Mir geht es um Transparenz in den Verhandlungen“, sagt er in deutlich vernehmbaren Schwäbisch. Er redet lieber so, dass ihn die Menschen verstehen, als dass er sich hinter Juristenprosa oder gekünsteltem Hochdeutsch versteckt. Es scheint zu gelingen. „Dafür, dass Sie noch nie einen Antrag gestellt haben, ist der aber recht anständig“, sagt Armbruster – ganz der Pädagoge – schließlich lobend. Der Anwalt schaut ihn an. „Das habe ich ja auch bei Ihnen gelernt“, sagt er, „bei einer Ihrer Fortbildungen.“ Armbruster lächelt. „Kommen Sie gut nach Hause“, sagt er wie immer und fügt ein „Behalten Sie uns in guter Erinnerung“ hinzu.