Der in Stuttgart geborene Hollywood-Regisseur Robert Schwentke hat nach 15 Jahren wieder in Deutschland gedreht: „Der Hauptmann“, eine Köpenickiade über die Entmenschlichung im Nazireich.

Stuttgart - Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs richten deutsche Soldaten, unbelehrbare Häscher und desillusionierte Deserteure, die Gewalt gegeneinander – diese Geschichte erzählt Robert Schwentke in „Der Hauptmann“.

 
Herr Schwentke, wie sind Sie auf diese herbe Weltkriegsgeschichte gekommen?
Damit diese kulturelle Katastrophe zwischen 33 und 45 stattfinden konnte, mussten viele Leute mitmachen oder aus dem Weg gehen. Ich wollte die dynamische Struktur des Nationalsozialismus beleuchten in der vierten, fünften Täterreihe und habe sehr schlimme Geschichten gefunden: Wie soll man einen Wehrmachtssoldaten erzählen, der bei Massakern nur Kinder erschossen hat? Dann bin ich auf Willi Herold gestoßen. Im Oldenburger Staatsarchiv liegen die Gerichtsakten, die Briten haben ihn ja zum Tode verurteilt.
Wie nähert man sich einem außer Kontrolle geratenden Mörder?
Ich habe viel recherchiert über Täterprofile und Gewaltprozesse und dann festgestellt, dass es für die Absicht des Films nichts bringt, Herold als Soziopathen oder Psychopathen anzuschauen – er ist ja nicht allein schuld, es ist das gesamte System. Die Härte gegen Deserteure kurz vor Kriegsende war absurd, die Briten waren nur noch zwei Kilometer entfernt. Das Massaker im Lager hätte verhindert werden können, wenn nur einer der beteiligten „Stopp!“ gesagt hätte.
Sie zeigen die Gewalt der Männer radikal und unverblümt – was war Ihr Ansatz?
Viele Filme, in denen es um Gewalt geht, lassen ein Hintertürchen offen, bei Tarantino ist das der Humor. Er macht keine Filme über Gewalt, sondern einfach nur gewalttätige Filme. Wir wollten einen Film machen über Gewalt, in dem es kein Hintertürchen gibt. Er soll verstören, nicht versöhnen. Es kommt zu keiner Läuterung, es gibt keine moralische Identifikationsgröße. Jeder Zuschauer muss sich selbst fragen: Wie hätte ich gehandelt? Wir wünschen uns ja alle, dass wir mutig aufgestanden wären und gesagt hätten: Das ist falsch! Es ist mir viel wichtiger, dass die Leute über den Film diskutieren, als dass sie ihn mögen.
Was sagt das über Sie als Kinozuschauer?
Ich bin mit europäischer Filmkunst großgeworden, die sich mit den großen Fragen des Lebens auseinandersetzt. Während meiner Kinosozialisation in Stuttgart habe ich im Kommunalen Kino ganze Retrospektiven angeschaut. Ich habe nicht alles gemocht, aber für mich gehört die Konfrontation zum Kinoerlebnis. Ich suche dort eine Fokussierung, die Bündelung einer Energie, den Blick und die Perspektive eines Filmemachers. Es hat mich umgehauen, wie Carlos Saura in „Die Jagd“ Politik zu Franco-Zeiten als Allegorie erzählt, und Pier Paolo Pasolinis „Die 120 Tage von Sodom“ ist wahrscheinlich immer noch der bedeutendste Kino-Beitrag zum Thema Faschismus.
Wie ist „Der Hauptmann“ bei den Festivals im Ausland angekommen?
Wir hatten in Toronto, San Sebastian und Paris sehr positive Reaktionen, ganz besonders aber in Moskau – es geht ja um Mittäterschaft , Mitläufertum, Zivilcourage, Verwässerung der Verantwortung, einen bürokratischer Apparat, der eigentlich nur pro forma amtlich fungiert…
War die Finanzierung des Films schwierig?
Allerdings. Gegner des Films haben versucht, ihn zu unterbinden, indem sie kategorisch abgelehnt haben, ihn zu fördern. Deshalb ist auch kein Fernsehsender dabei.
Haben Sie je daran gedacht, den Film in den USA zu machen?
Das kratzt an der Glaubwürdigkeit des Stoffs. Für mein Empfinden musste das ein deutscher Film sein mit deutschen Schauspielern, die ja alle etwas mitbringen aus ihrer Familiengeschichte. Ich habe am ersten Probentag gesagt: Wenn wir das Drehbuch verfilmen, wird das okay – aber wir wollen einen starken Film machen, deshalb müsst ihr alle richtig ran und in euch graben. Beim Dreh hatten wir dann alle unsere Momente, in denen es uns ganz anders geworden ist – zum Beispiel, als die Komparsen in der Grube vor dem Massaker sehr glaubwürdig um ihr Leben gefleht haben.
Deutsche Schauspieler wie Freddie Lau, Milan Peschel und Alexander Fehling dürfen zeigen, was sie können, wenn man sie nur lässt. Wie haben Sie das geschafft?
Ich liebe die Arbeit mit Schauspielern. Das merken sie schnell, und die guten sind alle sehr großzügig. Ich habe viel gelernt von Jodie Foster, Jeff Bridges, Helen Mirren, John Malkovich. Und ich finde deutsche Schauspieler großartig. Wenn sie Englisch sprechen würden, hätten sie alle Karrieren in Hollywood. Ich glaube, dass man in Deutschland diese Art von Überhöhung, von expressivem Spiel wie im „Hauptmann“ nicht genügend zulässt. Das sind ja meistens Theaterleute, die können aufdrehen und über diesen gedeckelten Naturalismus weit hinauskommen, wenn die Geschichte gut komponiert ist. Die Figuren müssen aber psychologisch sehr gut verankert sein, die Schauspieler müssen sie fundiert erarbeitet und vollkommen verstanden haben, sonst geraten sie leicht ins Chargieren.
Letztlich hat ein anderer Stuttgarter den Film produziert: Frieder Schlaich. Wie kam es dazu?
Wir kennen uns schon sehr lange, ich habe mit 17 in Frieders Videothek Filmgalerie 451 gearbeitet. Er hat bei meinem ersten 16-Millimeter-Film die Kamera gemacht. Frieder und seine Partnerin Irene von Alberti geht es nur darum, wie man eine Geschichte am besten erzählt, sie scheren sich nicht um Konventionen. Frieder hat ja auch mit Christoph Schlingensief und Heinz Emigholz gearbeitet, die immer neue Ausdrucksmöglichkeiten gesucht haben. Da hatte ich volle Rückendeckung.
Sie haben in Schwarzweiß gedreht, und die Bilder wirken dadurch wie angeschärft – wahat Sie dazu gebracht?
Als Martin Scorsese „Wie ein wilder Stier“ drehen wollte, hat sein Kollege Michael Powell, ein Meister der Farbe, ihm gesagt: Das geht nicht in Farbe, die Leute werden abgestoßen sein, weil das zu real wird, wenn bei den Boxern das Blut spritzt. Außerdem hilft Schwarzweiß bei der Überhöhung, und ich glaube, dass durch Stilisierung Dinge deutlicher werden — dass ich deutlicher erzählen kann.
Sie arbeiten seit Ihrem zweiten Film mit dem Kameramann Florian Ballhaus, der auch hier wieder eine sehr eigene Perspektive findet – etwa Herold im Rückspiegel des Autos, wie er seine neue Rolle zum ersten Mal probt. Was verbindet Sie beide?
Wir ergänzen uns sehr gut. Ich will immer schauen, wie weit man etwas treiben kann, bevor es kaputtgeht, und er ist wie ein älterer Bruder, der nochmal die richtigen Fragen stellt, damit sich Dinge nicht verselbständigen, sondern im Dienst der Geschichte bleiben. Wir gehen auch nie mit vorgeformten Ideen an eine Geschichte heran. Ich verehre Regisseure, die man am ersten Bild erkennt, aha: Bresson, Dreyer, Tarkowski! Aber ich bin so nicht, ich kann nicht immer nur einen einzigen Stil verfeinern, ich möchte ganz verschiedene Sachen probieren.
Wie haben Sie das Medium Film entdeckt?
Ich habe mit acht angefangen, Super-8-Filme zu drehen. Da war mir gar nicht klar, dass Filmemachen ein Beruf sein kann. Roland Emmerich hat dann gezeigt, dass das auch in Stuttgart geht. Der erste Film, bei dem ich das Gefühl hatte, dass man in Deutschland Filme machen kann, war aber Wim Wenders‘ „Alice in den Städten.
Sie haben dann in den 80er Jahren in den USA Film studiert.
Die Amerikaner haben eine wahnsinnige Lust am Geschichtenerzählen, sie sind experimentiertierfreudig, darum bin ich dort hingegangen, auch wenn ich das damalige Hollywood-Kino nicht so mochte. Mit Spielberg hatte ich nichts am Hut, ich kannte von ihm nur „Duell“, Sachen wie „E.T.“ waren nie mein Ding. Es war immer klar, dass ich nach dem Studium zurückkommen würde. „Tattoo“ war dann der Versuch eines deutschen Genre-Films. Man hat mir unterstellt, das wäre eine Visitenkarte für Hollywood gewesen, aber das ist Unsinn, diese Art von kalkulierender Intelligenz besitze ich nicht.
Aber Sie wollten mit „Tattoo“ schon zeigen, dass man in Deutschland Krimis auch anders, radikaler erzählen kann?
Ja, leider hatten wir nicht wahnsinnig viele Zuschauer. Das war eben kein amerikanischer Film, der hatte ein europäisches Erzähltempo, es wurde nichts aufgelöst, dazu die deutsche Sprache. Ich habe dann die Komödie „Eierdiebe“ gemacht und hatte danach wie viele junge deutsche Regisseure wahnsinnige Schwierigkeiten, den dritten Film finanziert zu bekommen. Ich wollte nicht fürs Fernsehen inszenieren und hatte Glück, dass das Angebot für „Flightplan“ kam, als mir finanziell das Wasser bis zum Hals stand. Das war die Rettung.
Wussten Sie da schon, dass Jodie Foster die Hauptrolle spielen würde?
Nein, sie war noch nicht dabei. Das ursprüngliche Drehbuch handelte von Terroristen mit Bombe im Flieger nach New York, das konnte man nach 9/11 nicht mehr machen. Ich habe dann gesagt: Vielleicht bildet sie sich das alles nur ein, wie in „Bunny Lake ist verschwunden“ von Otto Preminger. So haben wir es dann neu geschrieben.
Ist das Arbeiten in den USA anders?
Nein, das Drehen ist ganz ähnlich, nur die Budgets sind eben höher. „Flightplan“ hat 55 Millionen Dollar gekostet, und auch da hat hinten und vorne Geld gefehlt. Bei den Studios gibt es zwei Modi. Der eine ist: Wir sind so glücklich, dass wir dich haben! Der andere: Du solltest dich glücklich schätzen, dass du diesen Job hast! Im zweiten Fall soll der Regisseur dann gar keine eigene Handschrift entwickeln, sondern nur als Erfüllungsgehilfe dem Studio eine möglichst große Auswahl an Material liefern. Der Film entsteht dann erst im Schnitt, das wird meistens reine Unterhaltung ohne künstlerischen Anspruch. Regisseure, die solche Jobs übernehmen, werden in den USA scherzhaft „traffic cops“ genannt, Verkehrspolizisten.
Können Sie sich vorstellen, weiter auch in Deutschland zu arbeiten?
Unbedingt. Mich verbindet enorm viel mit Deutschland, ich verbringe viel Zeit hier, ich habe eine Wohnung in Berlin. Und ich habe noch einige Geschichten, die ich gern hier erzählen würde. Mit der Ufa habe ich gerade eine Serie entwickelt – über die ich natürlich noch nicht sprechen darf.