Durch den brutalen Mord an Jamal Khashoggi gefährdet der Mohammed bin Salman seine Reformpolitik.

Istanbul - Der Mord an Jamal Khashoggi wird zum Fanal für den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman. Das Verbrechen sollte einen lästigen Kritiker aus dem Weg räumen – erschüttert nun aber die gesamte Politik Saudi-Arabiens. Die immer neuen Versionen aus Riad zum Fall Khashoggi bestätigen, dass der Thronfolger fast drei Wochen lang gelogen hat und mit rücksichtsloser Brutalität gegen Dissidenten vorgeht. Wegen des Mordes steht auch die westliche Unterstützung für den wirtschaftlichen Umbau Saudi-Arabiens infrage. In den politischen Beziehungen zum Westen könnte die vom Prinzen verschuldete Krise am Ende dem Rivalen Iran nützen.

 

Der barbarische Mord an dem Regimekritiker Khashoggi schockt die Welt: Allein dieses Entsetzen ist ein politischer Mühlstein für Saudi-Arabien. Selbst wenn die erste Abscheu der internationalen Gemeinschaft abgeklungen sein wird, dürfte der Mord im Konsulat dauerhafte Folgen für Riad haben.

Jeden Tag eine neue Todesursache

Neben dem Imageschaden für das Land ist da zunächst die Selbstzerstörung der politischen Glaubwürdigkeit einer bisher sehr selbstbewussten Regionalmacht. Die saudische Regierung behauptete wochenlang, sie wisse nicht, was aus Khashoggi geworden sei. Am Samstag erklärte sie, Khashoggi sei bei einer „Schlägerei“ im Konsulat gestorben. Einen Tag später schob Riad eine andere Version nach: Der Regimegegner sei in einen „Würgegriff“ genommen worden, weil er bei einem Streit laut geworden sei. Dabei sei er gestorben.

Die ständig wechselnden Darstellungen zeugen entweder von amateurhaften Vertuschungsversuchen oder davon, dass sich die saudischen Regierungsbehörden von ihren eigenen Geheimdiensten immer neue Märchen auftischen lassen. Ganz gleich, was nun dahintersteckt: Wer soll in Zukunft noch saudischen Stellungnahmen glauben? Saudi-Arabien habe „öffentlich gelogen“, was nun die Position des Landes „völlig unterminiert“, schrieb der Nahost-Experte Michael Stephens von der britischen Denkfabrik Royal United Services Institute (RUSI) auf Twitter.

Ein Ende des Debakels ist nicht in Sicht. Nach wie vor ist unbekannt, was mit Khashoggis Leiche geschehen ist. Nach der neuesten Version wurde sie in einen Teppich eingewickelt und einem türkischen Helfer übergeben, der sie verschwinden ließ – doch niemand erwartet, dass die saudische Regierung jetzt die Wahrheit sagt.

Auch der Versuch der Regierung, Thronfolger Mohammed aus der Schusslinie zu bringen, wird scheitern: Die Bestrafung enger Berater des Kronprinzen ist ein Bauernopfer, dass im Westen niemanden überzeugen dürfte. Politisch ist der 33-jährige Kronprinz, der oft nur MBS genannt wird, nun einmal der Verantwortliche.

Die Konsequenzen reichen weit über Ansehensfragen hinaus. Ein Blick auf die Kernpunkte im Reformprogramm des Kronprinzen zeigt, wie groß der wirtschaftliche Schaden sein dürfte. Der anvisierte Umbau Saudi-Arabiens zu einem modernen Staat, der sich von der Ölindustrie löst und führend im Hightech-Bereich wird, erfordert Milliarden-Investitionen und die Hilfe von westlichen Technologie-Konzernen.

Mit MBS will keiner mehr etwas zu tun haben

Schon vor den diversen saudischen Stellungnahmen vom Wochenende hatten führende Banker, Politiker und Unternehmer aus dem Westen ihre Teilnahme an einer Investorenkonferenz in Riad abgesagt – eine Schmach für den Prinzen, der sich bei dem Treffen als Reformer profilieren wollte. Plötzlich meide jeder den Kontakt mit Mohammed bin Salman, meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Aus dem erhofften Investitionsschub aus dem Ausland dürfte erst einmal nichts werden. Bereits im vergangenen Jahr gingen die ausländischen Direktinvestitionen in Saudi-Arabien laut Bloomberg stark zurück. Das hatte unter anderem mit der Unberechenbarkeit des Kronprinzen zu tun, der Rivalen aus der Königsfamilie unter dem Vorwand der Korruptionsbekämpfung internieren ließ. Durch den Mord an Khashoggi dürfte der Ruf des Investitionsstandortes Saudi-Arabien noch mehr leiden.

Auf politischer Ebene droht MBS ebenfalls Ärger. Selbst US-Präsident Donald Trump, der in der Debatte über mögliche Strafmaßnahmen immer wieder die Bedeutung der Partnerschaft mit Riad betont, ist mit den Erklärungsversuchen unzufrieden. Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere europäische Spitzenpolitiker sind ohnehin unbeeindruckt von den saudischen Volten. Westliche Rüstungslieferungen an die Saudis kommen auf den Prüfstand. Auch im US-Kongress wächst die Entschlossenheit, Saudi-Arabien seine Grenzen aufzuzeigen.

Der Iran könnte profitieren

Über ihre Anhänger in den Medien ließ die Führung des Königreichs den Westen wissen, dass etwaige Sanktionen mit einer drastischen Anhebung der Ölpreise beantwortet würden. Ein solches Zerwürfnis würde am Ende dem Gegner Iran dienen, erwartet die Politikexpertin Sanam Vakil vom britischen Chatham House. Teheran werde vom saudischen Verhalten im Fall Khashoggi „geopolitisch profitieren“, schrieb sie in einer Analyse: Streit zwischen Saudi-Arabien und dem Westen könnte die internationalen Bemühungen um eine Eindämmung des iranischen Einflusses in Nahost hemmen.