Der Kirchheimer Berufsfotograf Otto Hofmann hat in seinem Tageslichtatelier die Stadtgesellschaft rund um die vorige Jahrhundertwende abgelichtet. Der jetzt wieder aufgetauchte Schatz harrt seiner Aufarbeitung.

Kirchheim - Streng blickende Spitzbärte, Rauschebärte und Schnauzbärte. Ernst in sich ruhende Korsagen und Spitzen. Schüchtern blinzelnde Zöpfe. Wichtig dreinschauende Matrosenanzüge. Wer die Fotoplatten in die Hand nimmt, blickt der Zeit um die vorige Jahrhundertwende direkt in die starr nach vorn gerichteten Augen. Unzählige Männer, Frauen, Kinder haben sich zuerst in Schale und dann in Positur geworfen, um sich vom Lichtbildner für alle Ewigkeit auf 24 x 30 Zentimeter und 18 x 24 Zentimeter messenden Fotoplatten bannen zu lassen.

 

Alle Ewigkeit? Lange galt der Schatz, rund 700 auf Glas gebannte Negative aus dem Fotoatelier des von 1889 bis 1948 wirkenden Kirchheimer Berufsfotografen Otto Hofmann, als verschollen. Jetzt sind die fünf Kisten wieder aufgetaucht. Es ist eine wahre Fundgrube, die da in den Räumen der Archäologischen Arbeitsgemeinschaft Kirchheim und in der Asservatenkammer des Stadtarchivs der Aufarbeitung harrt. Der Zufall, gepaart mit Spürsinn und Hartnäckigkeit, hat das volkskundlich wertvolle Archiv des Kirchheimer Haus- und Hoffotografen wieder ans Licht gebracht.

Auf Glas gebannte Kirchheimer Stadtgeschichte

Im Keller des Hofmann’schen Wohnhauses in der Jesinger Straße in Kirchheim, unter allerlei Unrat begraben, haben die Kisten die vergangenen sieben Jahrzehnte überdauert. Rainer Laskowski, als ehemaliger Leiter des Stadtmuseums und als Vorsitzender der Archäologie-Arbeitsgemeinschaft Kirchheim ohnehin in jeder Baugrube der Stadt zu Hause, hatte bei den Abrissarbeiten in der Jesinger Straße Witterung aufgenommen. „Als mir gesagt wurde, dass da rumänische Arbeiter von mehreren Kisten mit Glas im Keller gesprochen haben, bin ich hellhörig geworden“, sagt der Archäologe. Einmal auf der Spur, hat der ehrenamtlich für das Landesamt für Denkmalschutz tätige Laskowski nicht mehr lockergelassen, bis er die Bilder in den Händen halten konnte – fünf Kisten auf Glas gebannter Kirchheimer Stadtgeschichte.

„Wir haben hier das Kaleidoskop einer Stadtgesellschaft um die Jahrhundertwende vor uns“, sagt Laskowski. Mehr noch – auch aus der näheren Umgebung, von Hochdorf, aus dem Neidlinger und aus dem Lenninger Tal, haben ganze Bauernfamilien vor mehr als 100 Jahren den beschwerlichen Weg in die Oberamtsstadt auf sich genommen, um sich von Hofmann ablichten zu lassen. „Das sieht man auf manchen Fotografien. Da sind die Schuhe noch schmutzig, während obenherum alles perfekt herausgeputzt ist“, sagt Laskowski.

An der Damentaille Hand angelegt

Besonders amüsiert ihn das Foto einer stattlichen Dame, an deren Hüften Hofmann gut sichtbar den Rotstift angesetzt hat. Was auf der Glasplatte entlarvend wirkt, hat auf dem Abzug später keine Spuren hinterlassen. „Photoshop ist keine Erfindung der Neuzeit. Das gab es auch schon vor mehr als 100 Jahren“, schmunzelt der Archäologe, auf dessen Betreiben auch schon das Atelier des Kirchheimer Fotografen der Nachwelt erhalten worden war.

Einst zum Lagerschuppen degradiert und dem Abriss preisgegeben, lebt es nun als das letze erhaltene Tageslichtatelier Deutschlands im Freilichtmuseum Beuren weiter. Dort kann der Besucher einen Blick in eine Welt werfen, die vor der Erfindung der mobilen Fotografie gnadenlos inszeniert wurde. Hofmann, ein ehemaliger Dekorationsmaler, hat die Leinwand-Landschaften, vor denen er seine Kunden abgelichtet hat, selbst gemalt. Auch das künstliche Teck-Panorama, vor dem sich der spätere Literatur-Nobelpreisträger Hermann Hesse ablichten ließ, ist sein Werk. Hesse hatte sich im Jahr 1899 gemeinsam mit seinem Kirchheimer Freundeskreis vor die Hofmann’sche Linse gestellt.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein ähnlicher Sensationsfund noch auf dem Grund der Kisten schlummert. Um sicher zu sein, sollten die Negative nach Laskowskis Einschätzung jedoch schnell aufgearbeitet werden, am besten in Rahmen eines Projektes. „Hofmann hat nicht Buch geführt, und die Zahl der Leute, die die Fotografien zuordnen könnten, wird täglich kleiner“, sagt Laskowksi.