Stuttgart - Er ist, was unter Schauspielern eher selten vorkommt: ein gläubiger Katholik, der in die Messe geht, den Zölibat aber abschaffen würde. Seit zwanzig Jahren gilt Peter Simonischek als feste Größe des Wiener Burgtheaters – und im Gespräch verrät er, was seine Filmfigur Toni Erdmann mit einem Seelsorger verbindet, weshalb er als Salzburger Jedermann froh über Veronica Ferres war und was er in der Fellbacher Schwabenlandhalle mit seiner Frau Brigitte Karner lesen wird – am Freitag, 20 Uhr, bei „Warten und Lauschen“.
Herr Simonischek, was sind Ihre „literarischen Favoriten zum Fest“, die Sie in der Schwabenlandhalle präsentieren werden?
Als Österreicher lesen wir zur Adventszeit natürlich Peter Rosegger, der auch nördlich des Weißwurst-Äquators bekannt sein dürfte. Dazu Eichendorff, Rilke, Kästner und Robert Gernhardt, der Groteskes zum Weihnachtsfest geschrieben hat: „Erna, der Baum nadelt. Ein botanisches Drama am Heiligen Abend“ – sehr lustig! Aber sonst halten wir uns von Ironie fern und nehmen das Fest von der seriösen Seite.
Gibt es über das Seriöse hinaus weitere Gemeinsamkeiten der Texte?
Ob Prosa, Lyrik, Mini-Drama: Sie feiern Weihnachten als Teil unserer Tradition. Schauen Sie sich die Fotos im Familienalbum an! Nur mit detektivisch aufgespürten Indizien können Sie feststellen, um welche Weihnachten es sich jeweils handelt: Da war die Oma noch dabei, da fehlt schon der Onkel, da ist der gute Freund zum ersten Mal eingeladen – aber sonst sieht Weihnachten über die Jahrzehnte hinweg immer gleich aus mit fröhlichen Gesichtern rund um den geschmückten Christbaum mit den Geschenken.
Weihnachten als Fest der Nostalgie? Als Erinnerung an die Jugend?
Das ist es für mich schon auch, aber es erschöpft sich nicht darin. Weihnachten erinnert uns an menschliche Werte – wobei ich selbst ans Fest nicht denken kann, ohne eine Trauer über den Verlust dieser Werte zu spüren. Das geht mir aber an allen hohen Feiertagen so, an Ostern, Pfingsten und eben auch Weihnachten. Dass wir in diesen Tagen die in ärmlichsten Verhältnissen stattfindende Geburt Christi feiern, daran muss man heute ja explizit erinnern. Kommerz, Kitsch und Romantik haben den Ursprung des Fests völlig zugedeckt. Dabei hätten wir allen Grund, uns genau darauf zu besinnen: Joseph und Maria gehören zu den Ärmsten der Armen und wären heute Flüchtlinge ohne Dach überm Kopf. Das ist augenscheinlich, trotzdem wollen wir es nicht sehen.
„Der Zölibat gehört längst abgeschafft“
Sind Sie ein gläubiger Mensch?
Ja. Mein Glaube ist ein Trost, der mir aus der Tradition entgegen wächst: Als Kind war ich Ministrant in einem Dorf in der Steiermark, die Düfte meiner Kindheit waren Kuhstall und Weihrauch. Noch heute fühle ich mich in Kirchen wohl und gehe an Feiertagen in die Messe, mit der ich auch inhaltlich etwas anzufangen weiß – abgesehen davon, dass ich die Zeremonie mit Orgelmusik und Gesang sehr genieße.
Können Sie, wenn Sie in der Kirche sind, die Schattenseiten dieser Institution vergessen?
Wie sollte ich? Die Kirche bekommt jetzt die Quittung für den Zölibat, der über Jahrhunderte hinweg dazu diente, den Reichtum zu vermehren. Jeder, der bis drei zählen kann, weiß es: Der sexuelle Missbrauch in der Kirche ist ein Ausfluss der von oben verordneten Enthaltsamkeit und Ehelosigkeit.
Würden Sie den Zölibat abschaffen?
Ja, natürlich, der gehört längst weg.
Von Kirche & Glauben möchte ich einen Bogen zu „Toni Erdmann“ schlagen, dem Film, der Sie als Titeldarsteller über Theaterkreise hinaus berühmt gemacht hat.
Da bin ich aber gespannt.
Lassen Sie’s mich probieren: Sie spielen in dem Film einen Vater, dessen Tochter als Unternehmensberaterin nur noch an Optimierungen denkt. Menschliche Regungen sind ihr abhandengekommen, was Toni Erdmann schmerzhaft bedauert . . .
. . . und diesen Verlust an Menschlichkeit, der die Vater-Tochter-Beziehung vereisen lässt, erträgt er nicht mehr. Er unternimmt etwas dagegen und reist seiner Tochter nach Bukarest nach, um sie mit grotesken Mitteln – dem künstlichen Gebiss, der zerzausten Perücke – vor der neoliberalen Hölle zu retten.
Toni Erdmann als Seelsorger, der seine Tochter zurück ins Leben holen will?
Der Gedanke gefällt mir! Ich hatte ja auch ein tolles Feedback auf „Toni Erdmann“. Da kamen dreißigjährige Frauen auf mich zu und sagten: Seit sieben Jahren habe ich nicht mehr mit meinem Vater geredet. Nach dem Film habe ich ihn angerufen und zum Abendessen eingeladen. – Die „New York Times“ hat den Film gerade zu den zwanzig wichtigsten der vergangenen zehn Jahre gewählt.
„Veronica Ferres war als Projektionsfläche für männliche Begierden unschlagbar“
Jenseits des Kinos blicken Sie auch auf eine große Bühnenkarriere zurück: Acht Jahre lang, 2002 bis 2009, spielten Sie den Salzburger Jedermann, länger als irgendwer sonst. Hatten Sie keine Angst, in der gusseisernen Festspieltradition zu erstarren?
Nein. Nie. Ich hatte Lust, den Jedermann zu spielen. Ich hatte auch keine Mühe, dieses Mysterienspiel, worin der reiche Mann nach mehreren Prüfungen vom Tod geholt wird, ernst zu nehmen. Der Stoff ist tief katholisch, klar, aber selbst als ungläubiger Mensch ist man in unserem Kulturkreis doch mit diesem Werte-Horizont aufgewachsen. Deshalb berührt das Stück auch das Publikum, das spürt man als Schauspieler untrüglich.
Sollte man für die Rolle gläubig sein?
Es ist günstig, wenn man’s ist. Der von mir hoch geschätzte Gert Voss hat den Jedermann auch gespielt, aber das war überflüssig, weil er ihn wie eine Molière-Figur zeichnete. Ich glaube, man muss in diese Rolle auch sein privates Dasein einbringen, mit Haut und Haar. Dann wird man als Jedermann zur Salzburger Institution.
Sie hatten tolle Buhlschaften: Veronica Ferres, Nina Hoss, Marie Bäumer und Sophie von Kessel. Wer war Ihnen die liebste?
Die Buhlschaft ist eine allegorische Figur, die für Sinnlichkeit, Verführung, Begierde steht. Völlig unabhängig von den tollen Leistungen der anderen Kolleginnen: Am besten funktioniert hat es mit Veronica Ferres, die von 2002 bis 2004 an meiner Seite stand. Als Projektionsfläche für männliche Begierden war sie unschlagbar.
Zurück zu Weihnachten: Wie feiern Sie?
Da wir bis kurz vorm Fest mit unserem Programm unterwegs sind und erst spät nach Wien zurückkehren, habe ich den Baum schon aus dem Keller geholt . . .
Keller?
Jede zweite, dritte Weihnacht nehmen wir aus ökologischen Gründen unseren künstlichen Baum. Den Unterschied merkt man nur, wenn man hingreift. Er nadelt auch nicht (lacht). Unsere Söhne kommen zu Besuch – und wenn wir vorm prasselnden Kaminfeuer sitzen und jemand sagt, komm, lass uns in die Mette gehen, dann gehen wir in die Mette. Ja, wir feiern ganz traditionell.