Der schönste Bus Stuttgarts Ti amo, 42er

Der 42er: Eine Weltreise vom Erwin-Schoettle-Platz... Foto: IMAGO/Arnulf Hettrich

Ein Hoch auf unsere Buslinien: Wer in den 42er einsteigt, kann sich glücklich schätzen. Wir lösen ein Ticket und lassen uns von der schönsten Linie der Stadt einmal quer durch Stuttgart tragen. [Archiv]

Busfahren, der letzte Hort der Nahverkehrsromantik. Hier zischen die Türen immer noch, hier grüßt man die Busfahrer:innen mal knapp, mal höflich, hier wird Stuttgarts Topographie so richtig erlebbar: Über Stock und über Stein, durch Tunnel, rauf auf die ein wenig hochnäsig über den Kessel thronenden Halbhöhenlagen, vorbei an der Erlebnisbaustelle S21, runter an den Fluss.

 

Mehr Lebensart als Nahverkehr

Der Bus, liebevoll Sozialschlauch genannt, ist ein wahrhaft egalitärer Ort. Hier nimmt der Querschnitt der Stadt Platz, vom Schulkind bis zum Rentnerpaar, von der Managerin mit Knopf im Ohr bis zum Punk mit Bier in der Hand. Die schönste Buslinie der Stadt ist natürlich der 42er. Der Name allein ist Musik in den Ohren der Stadtkinder, eine Buslinie, mehr Lebensart als Nahverkehr, mehr urbane Sinfonie als ein bloßes Mittel, um von A nach B zu kommen.

Los geht es für den 42er am Erwin-Schoettle-Platz, beendet wird die unvergessliche Fahrt exakt 40 Minuten später am Schlossplatz. Dazwischen geht es von Süd nach West, Mitte, Ost und wieder West. Oder andersrum natürlich, aber irgendwie macht die Strecke mehr Spaß, wenn man sie im Süden beginnt. Ist halt so, okay?

Rein in den Westen

Also gut. Vor uns liegen 40 Minuten und insgesamt 26 Haltestellen. 0,65 Haltestellen pro Minute, das ist kein übler Schnitt. Bedeutet eben auch, dass man den 42er jederzeit für einen kleinen Streifzug durch die Umgebung verlassen kann. Und das lohnt sich bei dieser Strecke: Vom Erwin-Schoettle-Platz geht es erst mal durch den Schwabtunnel (Fun fact: bei der Eröffnung 1896 der breiteste Straßentunnel Europas!) direkt hinein nach Stuttgart-West. Die Schwabstraße runter, vorbei am wunderschönen Bismarckplatz, wo man für Metzgerei oder Eiscafé Fragola das erste Mal aussteigen könnte. Und sollte.

Über den Rosenbergplatz geht es weiter, mit direktem Kurs auf das Lindenmusem, eine völkerkundliches Museum, das sich gerade sehr ins Zeug legt, was sein schweres koloniales Erbe angeht. Die Ausstellungen dort lohnen immer, also zack, zweite Pause eingelegt.

Der mythische Osten

Danach bitte nach links schauen. Wir passieren das, was vom Hauptbahnhof übrig ist und bald als neuer Bahnhof eingeweiht wird. Bis dahin kann man aus der behaglichen Gemütlichkeit des 42ers dabei zusehen, wie Reisende an der tagtäglich geänderten Wegführung verzweifeln und beladen mit Koffern und dem festen Versprechen, nie wieder mit dem Zug nach Stuttgart zu fahren, durch die Gegend flitzen. Kann halt nicht jeder im 42er sitzen.

An der Staatsgalerie vorbei geht es dann in den mythischen Osten. Zwar hat man selbst dort vor Ort mittlerweile aufgegeben, „der Osten kommt“ zu sagen. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass er schon immer da war. Wir schrauben uns die Straßen hoch, vorbei an schnuckligen Häusern, viel Grün und einem ganz anderen Flair, tauchen von der Urachstraße ab in Richtung Ostendplatz, aussteigen.

Oh, wie schön ist Gablenberg

Ah, der Ostendplatz, ein geheimnisvoller Ort. Zwischen Scheibenwirt und Kneipen, die „Pfeffi ist toll!“ plakatiert haben, tobt wildes, buntes, pures Leben. Wie in Berlin, sagen manche. Aber wohl nur die, die noch nie in Berlin waren. Eher müsste man in Berlin sagen: Wie am Ostendplatz. Aber das ist eine andere Geschichte. Der 42er, er regt eben zum Philosophieren an, während die Straßen und Plätze draußen vorüberziehen.

Hinein ins urige Gablenberg geht es, wo schwäbische Wirtshäuser neben türkischen Grillrestaurants friedlich koexistieren. Raunend ragt die Waldebene Ost über uns auf, höher, immer höher geht es, vorbei an schicken Villen und imposanten Stadthäusern. Haarscharf vorbei an der Uhlandshöhe mit Sternwarte und Minigolfbahn, dann zum ewig gehypten Eugensplatz und schließlich wieder direkt hinein in den Kessel.

Der Aufprall am Charlottenplatz ist heftig und laut, aber schön, schon ist man wieder mittendrin in der Stadt. Wenig später endet die Fahrt am Schlossplatz, man tritt fast ein wenig benommen aus dem Bus. Und fragt sich verwundert, wie man sich schon wieder neu in diese Stadt verlieben konnte.

Dieser Text erschien erstmals am 25. April 2022.

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