Bilder aus den Beats des Hip-Hop: Jean-Michel Basquiat war der Starmaler der Achtziger, doch eine Ausstellung der Frankfurter Schirn zeigt, dass der New Yorker Künstler überschätzt wurde.

Frankfurt am Main - Sein Leben war ein trauriges Märchen, beendet von einer Überdosis Heroin. Am 12. August 1988 lag der Maler Jean-Michel Basquiat tot in seiner Wohnung. 27 Lebensjahre, mehr hatte das Schicksal ihm nicht gegönnt. Tragisch ging an diesem New Yorker Sommertag eine Karriere zu Ende, die nach den Gesetzen des Kunstmarkts eigentlich gar nicht hätte beginnen dürfen. Ein aufmüpfiger Afroamerikaner schmeißt mit siebzehn die Schule, zischt ein paar Graffiti an die Häuserwände, beginnt ohne Studium mit der Malerei und hat den Schneid, seine am Kopierer zusammengestückelte Postkartenkunst dem großen Andy Warhol zum Kauf anzubieten. Preis: ein Dollar das Stück. Doch der Pop-Titan zahlt den Dollar. Das Sprayer-Aschenputtel hatte den Prinzen gefunden, der es aus der brotlosen Straßenrandexistenz herausführen sollte. 1982 war der Wunderknabe mit den stummeligen Rasta-Locken der bis dahin jüngste Teilnehmer der Kasseler Documenta.

 

Dreißig Jahre nach Basquiats frühem Tod blickt die Schirn Kunsthalle in Frankfurt in der Ausstellung „Boom for Real“ mit über hundert Leihgaben auf das Schaffen des Kunstkometen zurück. Leuchtet er immer noch so grell wie damals, als die US-Kulturschickeria glaubte, in dem Sohn karibischer Einwanderer den Bilderheiland zu sehen, dessen unverbrauchtes Genie Erlösung vom verkopften Konzeptualismus der Siebziger versprach? Oder war er doch eher das Maskottchen einer reichen weißen Oberschicht? Der von einer geschickten Marketingmaschinerie hochgehaltene Lebendbeweis für den amerikanischen Staatsglauben, dass sich der Kapitalismustraum auch für schwarze Künstler erfüllen kann?

Neben Basquiats oft ausladenden Gemälden und Wandcollagen hat der Kurator Dieter Buchhart viele dokumentarische Begleitmaterialien zusammengetragen. Vor allem die Fotografien und der Underground-Film „Downtown 81“ ermöglichen dem Besucher, in die soziokulturelle Heimat des Künstlers einzutauchen. Schäbige Coolness prägt das Bild trister Straßenzüge in Downtown Manhattan, wo viele durch Abriss entstandene Lücken klaffen. Doch im Verfall erblüht etwas Neues, aus der afroamerikanischen Funk- und Soulmusik formiert sich mit dem Hip-Hop ein neuer Stil, ein neues, schwarzes Lebensgefühl.

Flirrend, atemlos, aufgeputscht

Die Brücke von dieser Atmosphäre zu Basquiats Kunst ist schnell geschlagen. Zunächst sind es die Schriften und Tags der Street Art, die in Basquiats Malerei eingeflossen sind. Darum herum spannt er ein dichtes Netz weiterer, höchst heterogener Bezüge. Er klebt Zeitungsausschnitte und Verpackungsmüll dazu, krakelt Cartoongesichter, zitiert und persifliert. Die Bildstücke werden gesampelt wie im Hip-Hop die Beats, der Malstil ist flirrend, atemlos, aufgeputscht – und er hat etwas von den Rhythmen der Jazzbands, in denen der Künstler zeitweilig Klarinette spielte. Hartnäckig sträubt sich sein Oeuvre gegen ästhetische Perfektion. Bereits den Bildträgern verleihen herausstehende Latten ein krudes Aussehen.

Zugleich schieben sich immer wieder Fremdkörper zwischen die Absprengsel des urbanen Alltags. Totenschädel sorgen für einen Hauch von Voodoo, auf einem wüst zusammengenagelten Triptychon aus dem Jahr 1983 mischt sich unter den Informationsschund beschmierter Großstadtwände der Name der altorientalischen Fruchtbarkeitsgöttin Ishtar. Die Collage „Leonardo da Vinci’s Greatest Hits“ wiederum verballhornt Anatomiezeichnungen des Renaissancegenies. Basquiat hatte durchaus intellektuelle Ambitionen, wie seine in Teilen ausgestellte Bibliothek verrät. Er entstammte entgegen der Legendenbildung einer Mittelschichtsfamilie und wuchs als Sohn eines Steuerberaters keineswegs in einem bildungsfernen Milieu auf. Erst mit der Pubertät katapultierte es ihn aus dem behüteten Nest heraus.

Viele Räume des Parcours sind dunkel gehalten, die Werke werden von oben angestrahlt, so dass man sich eher wie in einer Altmeisterausstellung fühlt. Aber mit dem Versuch, ihn zum Klassiker seines Jahrzehnts zu erheben, ist der Künstler, ungeachtet der anhaltenden Rekorde auf dem Kunstmarkt, in Frankfurt komplett falsch eingeordnet. Nüchtern betrachtet, hatte Basquiat seiner Zeit kaum echte Innovationen zu bieten. Die schütteren Stricheleien erinnern an Cy Twombly, die notorischen Fratzen und Glotzköpfe ähneln der Art Brut, und der ineinandergreifenden Kombinatorik von Hochkultur und Trash gelingt nicht mehr, als die frühe Pop Art Robert Rauschenbergs fortzuführen.

Im Netzwerk von Warhol und Madonna

Die einzige offenkundige Entwicklung in der zugegebenermaßen knappen Schaffenszeit besteht darin, dass sich die weißen Leerräume später zum Wimmelbild verdichten. Doch es ist keine innere Verdichtung. Textbotschaften, figürliche Signets und rotzige Abstraktionen entleeren sich trotz ihrer harschen Herkunft aus Ghetto und Subkultur zu reiner Ziermalerei: ein Ornament der Gosse.

Talent besaß Basquiat allerdings im Knüpfen von Netzwerken. Früh suchte er die Freundschaft und die Kooperation mit den richtigen Leuten. Seinen allmächtigen Förderer Andy Warhol porträtierte er gleich mehrfach. Die Liste der illustren Freunde ist aber noch länger: Madonna, der Hollywoodstar Gene Kelly (der ihm das Jackett aus „Singing in the rain“ schenkte) oder Keith Haring. In der Ausstellung zu sehen ist die riesige blaue Vase, die Basquiat zusammen mit dem Meister der Strichmännchen bepinselte. Auch mit Warhol schuf er viele Gemeinschaftswerke.

Welche Relevanz all das noch für das 21. Jahrhundert besitzt, erhellt sich indes kein einziges Mal in der ermüdend höhepunktlosen Schau. So muss man den Frankfurtern am Ende energisch widersprechen. Jean-Michel Basquiat gehört nicht zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Wenn etwas von ihm bleibt, ist es nicht seine Kunst, sondern das Selbstbewusstsein, das sein Aufstieg vielen anderen farbigen Künstlern (auch außerhalb der USA) gegeben hat. Und natürlich sein Leben selbst, so wie es Julian Schnabel 1996 (mit David Bowie als Andy Warhol) melancholisch grandios verfilmt hat. Ein trauriges Märchen eben.

Bis 27. Mai, Römerberg, Di-So 10-19, Mi, Do bis 22 Uhr.