Im neuen Bremer „Tatort“ macht ein Autofahrer Jagd auf harmlose Passanten. Wer der Mörder ist, erfährt man diesmal schnell. Ihn aber auch zu überführen, erweist sich für die Kommissare Lürsen und Stedefreund als echte Aufgabe – dank toller Schauspieler ein echter Psychothriller!

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Gerade erst hat Radio Bremen mitgeteilt, dass sein über nunmehr rund zwanzig Jahre eingespieltes Ermittlerteam aus den Hauptkommissaren Inga Lürsen und Stedefreund 2019 in Rente gehen soll – und prompt beschert es dem Fernsehzuschauer mit der neuen „Tatort“-Folge „Nachtsicht“ vorgezogenen Abschiedsschmerz: Dieser Fall der beiden Hauptdarsteller Sabine Postel und Oliver Mommsen ist richtig stark!

 

Ein junger Mann wird des Nachts überfahren – und dabei so oft und derart gezielt grausam überrollt, dass es wohl kein Unfall gewesen sein kann. Lürsen und Stedefreund stoßen nicht nur relativ leicht auf einen Verdächtigen, den etwas schrullig wirkenden Kristian Friedland (Moritz Führmann), sondern auch auf dessen auffällig nervös agierende Eltern. Rasch wird der Einzelfall zum Baustein einer Serientat und nimmt beunruhigend psychopathische Dimensionen an. Bemerkenswert: nach 35 Minuten weiß der Zuschauer sicher, wer der Täter ist, und nach 45 Minuten wissen es auch die Kommissare. Dennoch wird die Geschichte gerade jetzt dicht, denn den offensichtlichen Mörder auch zu überführen, erweist sich als echte Schwierigkeit. Zu machtvoll ist der Schutz, unter dem er steht.

Tolle Schauspieler, aber auch ganz schön brutale Szene

All das geht zwar nicht ohne die beim Bremer „Tatort“ ja leider häufigen Handlungsbrüche und -widersprüche ab. Warum „Nachtsicht“ aber trotzdem über weite Strecken richtig spannend ist, erklärt sich aus der exquisiten Besetzung: neben Moritz Führmann sind als Elternpaar Rainer Bock und Angela Roy zu erleben, das macht dann insgesamt drei Ausnahme-Schauspieler. Und wie der Regisseur Florian Baxmeyer mit ihrem ebenso nuancenreichen wie hochpräzisen Spiel eine Atmosphäre der Angst, Verdrängung, des Hasses, aber auch der Sehnsucht nach Zuwendung und Erlösung inszeniert, erzeugt in einem beklemmend zauberhaften Eigenheim am wohlhabenden Bremer Stadtrand klaustrophobische Stimmung. Psycho pur!

Diesmal ist man nach knapp anderthalb Stunden richtig froh, als das Kommando endlich „Zugriff“ heißt. Sehenswert! Kleine Warnung aber noch für empfindsame Seelen: Es gibt im Verlauf des Films zwei, drei Szene, die auf der nach oben offenen Brutalitätsskala sehr hohe Werte erzielen. Deshalb kleiner Tipp unter Betroffenen: wenn nachts der Jogger unterwegs ist und wenn Papa die Spritze zückt – im Zweifel einfach für ein paar Sekunden die Augen schließen.

ARD, Sonntag, 20.15