Es ist eine Geschichte wie ein Märchen. Auf der Flucht vor Syriens Schlächtern fand der Student Almotaz Khedrou die große Liebe in Kolumbien. Das glückliche Ende will er krönen – mit einem Restaurant in Stuttgart.

Stuttgart - Die Reise war lang. Aber sie ist noch nicht zu Ende. Irgendwann, wenn in seiner Heimat Syrien wieder Frieden herrscht, soll sie Almotaz Khedrou (27) auch zu seinem Bruder Mouatasem führen, der in Stuttgart lebt. So hat er es dem Stuttgarter Comicautor Olivier Kuglererzählt, als der ihn in Bogota besucht hat. Kugler hatte von der Lebensgeschichte Khedrous gehört und sinniert darüber, sie in einem Buch zu verewigen. Sie wäre es wert.

 

Die große Liebe

2012 verbot Diktator Bashar Al-Assad allen Männern zwischen 18 und 42 Jahren das Land zu verlassen. Er brauchte Kanonenfutter für den Krieg. 2013 erhielt Almotaz Khedrou den Einberufungsbescheid. Der Kollegin Francesca Fontanini vom Flüchtlingshilfswerk UNHCR erzählte er: „Ich wollte nicht meine Landsleute, meine Familie töten. Ich hatte keine Wahl: Ich musste fliehen!“ Doch wie? Seine Eltern besaßen einen Supermarkt in Damaskus, sie wollten für seine Flucht bezahlen. Dann wurde der Laden in Grund und Boden gebombt. Familie Khedrou verkaufte das Grundstück, kratzte alles Geld zusammen und bezahlte für den Wirtschaftsstudent Almotaz die Passage in den Libanon. Von dort wollte er sich nach Kolumbien durchschlagen. Dort lebt seine Verlobte Jessica. Sie hatten sich über das Internet kennengelernt. Ein Geschäftspartner von Almotaz’ Vater war ein griechischstämmiger Händler aus Bogota. Der hatte gefragt, ob der Sohn nicht mal hin und wieder mit der Tochter einer befreundeten Familie korrespondieren könne, sie wolle Ihr Englisch verbessern und gerne die arabische Kultur kennenlernen. Die jungen Leute schrieben Mail auf Mail, verliebten sich, trafen sich kurz in Istanbul, wo Jessica ein Jahr lang Philosophie studierte. Sie verlobten sich, beschlossen zu heiraten und sich in Syrien nach Kriegsende eine Zukunft aufzubauen. Doch der Krieg hörte nicht auf, im Gegenteil. Es wurde schlimmer.

Heirat via Handy

Also saß Almotaz nun im Libanon. Er versuchte, nach Kolumbien zu kommen. Vergebens. Man muss wissen, dort sind sechs Millionen Menschen nach 50 Jahren Bürgerkrieg entwurzelt und heimatlos. Da will man nicht noch Flüchtlinge aus anderen Ländern aufnehmen. Almotaz Khedrou ging nach Istanbul, dort kannte er andere Syrer. Zu viert hausten sie in einer Bruchbude, er schlug sich mit lausig bezahlten Jobs durch – wenn er überhaupt Geld bekam.

Jessica versuchte derweil nach Istanbul zu kommen, um Almotaz zu heiraten und ihn mit nach Hause zu nehmen. Allein, sie hatte kein Geld für den Flug. Was tun? Nun. In Kolumbien kann man jemandem eine Vollmacht erteilen, Dokumente zu unterzeichnen, selbst eine Heiratsurkunde. Almotaz erteilte seiner künftigen Schwiegermutter eine Vollmacht; sie ging mit Jessica aufs Standesamt; Almotaz schaute auf seinem Bildschirm am Handy zu und sagte aus tausenden Kilometern Entfernung: „Ich will!“

Alles gut also? Keineswegs. Um ein Visum zu beantragen, mussten die Eheleute beide bei der Botschaft in Istanbul erscheinen. Das war mangels Geld unmöglich. Almotaz hörte sich um und erfuhr: Er braucht 3000 Dollar für ein Flugtickt nach Ecuador. Von dort sollte er mit dem Bus nach Kolumbien fahren , um dort Asyl zu beantragen.

Der rettende Engel

„Ich war verzweifelt“, erinnert er sich, „woher sollte ich das Geld nehmen.“ Er erzählte seine Geschichten einem syrischen Geschäftsmann in Istanbul, Abu Saref. Der zögerte nicht lange, kaufte ein Flugticket. Unter der Bedingung, dass Almotaz als vorbildlicher Muslim lebe: hart arbeitend, die Familie ehrend, höflich und friedliebend.

Über die Vereinigten Arabischen Emirate und Brasilien kam er schließlich nach Ecuador. Dort wartete Jessica auf ihn. Gemeinsam überquerten sie die Grenze nach Kolubien. Wo er als einer von sechs syrischen Flüchtlingen anerkannt wurde. Sein Spanisch war nicht gut genug, um sein Studium wieder aufzunehmen. Also entschlossen sich die Eheleute, mit einem Essenswagen Geld zu verdienen. Via Skype unterrichtet ihn seine Mutter im Kochen. Mitternacht in Bogota, morgens in Damaskus, stand er in der Küche und bereitete Falafel zu, Kibbeh, das sind Fleischklöße, oder Sambusak, gefüllte Teigtaschen. Ihren Karren schoben sie durch Bogotas Straßen.

Bald war der Exot aus Syrien eine Berühmtheit. Die Leute aßen bei ihm, wollten seine Geschichte hören. Mittlerweile haben Almotaz und Jessica einen Sohn, Gabriel Adam. Sie besitzen ein kleines Lokal. Und sparen jeden Peso, weil sie Almotaz’ Familie nach Bogota holen möchten. Wenn der Krieg zu Ende ist, wollen sie expandieren. Nach Damaskus und – nach Stuttgart. Dort lebt Almotaz’ Bruder Mouatasem. Mit diesem möchte er in Stuttgart ein kolumbianisches Restaurant aufmachen. Arepas, Teigfladen, glaubt er, würden sowohl die Syrer als auch die Deutschen mögen. Seine Reise war lang, aber sie ist noch nicht zu Ende.