Im August 1988 wurde ein Bankraub nebst Geiselnahme in Gladbeck zum obszönen deutschen Medienspektakel. Der ARD-Zweiteiler „Gladbeck“ stellt das Geschehen intensiv, akribisch und kritisch nach – ein spannender Historienkrimi vom Feinsten.

Gladbeck - Das Album der Bundesrepublik steckt voller unauslöschlicher Fotos. Brandts Kniefall in Warschau, Kohls Kotau in Bitburg, Barschels Badewanne, Boris Beckers Matchball, Hans Rosenthals Spitze-Sprung und natürlich Dieter Degowski mit Knarre am Hals von Silke Bischoff. Ein Bankräuber ratlos, seine Geisel hilflos: Ende der Achtziger fand dieses Bild Eingang ins kollektive Gedächtnis und sagt bis heute mehr als tausend Worte. Von denen sind allerdings ohnehin kaum welche überliefert. „Bei meiner Figur vier, fünf Sätze“, sagt Alexander Scheer, der es wissen muss. Im ARD-Zweiteiler übers bildgewaltigste Verbrechen der deutschen Nachkriegszeit spielt er den einsilbigen Dieter Degowski. „So wenig Text“, lacht Scheer, „hatte ich definitiv noch nie“.

 

Schlicht „Gladbeck“ heißt Kilian Riedhofs sehenswerter Film über das Geiseldrama, das am 16. August 1988 um 7.55 Uhr in einer nordrhein-westfälischen Bankfiliale in Gladbeck begann und 52 Stunden später bei Bad Honnef in einem Blutbad endete. Vorübergehend. Denn dieses Trauma, sagt der Regisseur, „ist auch nach 30 Jahren noch frisch“. Bei den Beteiligten, die es lebenslang mit sich herumschleppen. Bei ihm selbst, der die pausenlose Liveberichterstattung als Teenager im hessischen Jugendheim zu sehen bekam. Und beim Publikum, für das der Filmemacher „den alptraumhaften Sog des tatsächlichen Geschehens und seine Bilder“ inhaltlich und emotional greifbar macht.

Journalisten und Verbrecher

Nach dem Drehbuch von Holger Karsten Schmidt hat Riedhof ein Stück bundesdeutscher Realität fiktionalisiert, das sich nahtlos einreiht ins Zeitgeschichtsfernsehen. Luftbrücke, Luther, Spiegel-Affäre, Contergan-Skandal und alles rund um die Mauer: Das Medium arbeitet Stück für Stück an der Wirklichkeit ab und macht daraus lehrreiche Unterhaltung – nur selten so reflexiv wie hier.

Gladbeck war der Sündenfall einer zusehends erregten, schaulustigen Mediengesellschaft. Nie zuvor und selten danach sind Berichtsobjekt und -subjekt stärker verschwommen als auf der Odyssee zweier Desperados mit Komplizin und Geiseln. Kommerzielle wie öffentlich-rechtliche Sender – am offenen Auto der Entführer machte sich die Branche bis an den Rand der Selbstverstümmelung mit dem Gegenstand ihrer journalistischen Tätigkeit gemein. Eine Medienschelte seien die 180 Minuten auf Basis offizieller Untersuchungsberichte trotzdem nicht, meint Riedhof, der vor zwei Jahren bereits den „Fall Barschel“ nachgestellt hat. „Es ging mir nicht um Beurteilung, sondern Erfahrbarkeit.“

Eitelkeit und Inkompetenz

Dabei kann sich der Regisseur auf eine Reihe passgenauer Akteure verlassen. Albrecht Schuch zum Beispiel, der den vermittelnden Fotoreporter Peter Meyer mit einer glucksenden Eitelkeit interpretiert, die schlicht zum Niederknien ist. Oder Ulrich Noethen als Einsatzleiter, der den heiklen Mix aus sturer Bürokratie und situativer Inkompetenz stellvertretend für alle Beamten verkörpert. Besonders gelungen ist jedoch Sascha Alexander Geršaks Gewohnheitsverbrecher Hans-Jürgen Rösner. Mit kaum mehr Text als sein Kollege Scheer alias Degowski, verleiht der Schauspieler aus Balingen seiner Figur eine extrem physische, stets verschwitzte, sehr trotzige Hoffnungslosigkeit, deren Intensität Geršaks Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz in „5 Jahre Leben“ gleicht.

Vielfach an Originalschauplätzen gedreht, ist das Ergebnis (trotz des bekannten Ausgangs) nicht nur äußerst spannend, sondern juristisch heikel. „Angesichts der Persönlichkeitsrechte mussten wir das Projekt wie ein rohes Ei behandeln“, sagt der Produzent Sascha Schwingel, macht aber zugleich klar, dass selbst eine Unterlassungsklage Rösners der Ausstrahlung nie im Wege stand. So wird es kurz vorm 30. Jahrestag also nochmals wachgerufen: das schwelende Trauma von Gladbeck.

Ob er damit nur eine Chronistenpflicht erfülle? „Um Gottes willen, nein“, beteuert Kilian Riedhof, „der Film hat eine innere Notwendigkeit, erzählt zu werden“. Wenn es mit so viel Überzeugung geschieht, darf sich das deutsche Fotoalbum am Bildschirm gern noch weiter füllen.

ARD, 7. und 8. März 2018, jeweils 20.15 Uhr