Radeln, Jagen, Holz einschlagen: im Wald stoßen konkurrierende Interessen aufeinander. Oft müssen Förster wie Susanne Gaiser Vermittler sein. Dafür brauchen sie Diplomatie, aber auch Durchsetzungskraft.

Baiersbronn/Stuttgart - Du armer deutscher Wald! Alle zerren an dir, allen musst du zu Willen sein. Für die Grillbrüder und Freunde der GPS-Schnitzeljagd bist du ein grüner Vergnügungspark, für die Mountainbiker ein kostenloses Sportgelände. Den Nordic-Walkerinnen bietest du weiten Raum für Gesprächstherapie, den Joggern die tägliche Strecke, um ihre Knie zu ruinieren. Herrchen verschaffen ihren Hunden freien Auslauf und Toiletten unter Tannen. Maiden zerstören auf ihren Pensionspferden den Wanderern die Wege, meditative Spaziergänger suchen auf stillen Pfaden die innere Balance, die Pilzsammler den Pfifferling. Den Blutdruck hoch treibt allen der Waldarbeiter, wenn er mit seiner lärmenden Säge einen Bäum niedermacht. Der Jäger hasst den Geocacher, der im dämmrigen Dickicht das Reh aufscheucht, der Läufer fürchtet den Dobermann, der Tierschützer verachtet den Trophäenjäger. Mit kindlichem Egoismus vertreten wir alle unsere Partikularinteressen. Als Vermittler muss da immer öfter der Förster eingreifen.

 

Besonders stark müssten diese Gegensätze in einem Großstadtrevier hervortreten, wo Menschen dicht an dicht leben, lautet die Arbeitshypothese, deshalb besuchen wir den Stuttgarter Förster Michael Seifert. Mittwochs um acht auf dem Parkplatz hinterm Stuttgarter Schattenring an der Magstadter Straße. Vier Autos stehen im Schatten. Ein Mann in Joggingklamotten wühlt in seinem Kofferraum. Beängstigend nahe flitzt ein Radfahrer an ihm vorbei: schwarzer Helm, Sonnenbrille, Laptoprucksack, ein Berufspendler auf dem Weg zur Uni. Der Förster Michael Seifert ist auf einer Kontrollfahrt durch sein 750 Hektar großes Revier rund um den Bärensee. Mit im Wagen sitzt seine Jagdhündin Dina.

Im Großstadtrevier muss man auch mal Spaßbremse sein

Ein typischer Sommertag, mit Sommerproblemen. Am Vorabend, erzählt Seifert, hatte er an dieser Grillstelle eine alkoholfrohe Runde ermahnt, anschließend den Platz wieder aufzuräumen. Er will keine Spaßbremse sein, aber das gehört zu seinem Job als Leiter eines Großstadtreviers. „Die haben das tipptopp gemacht und sogar den Müll mitgenommen“, lobt er nach seiner Inspektion. Kontrollen machen dem Förster keine besondere Freude, aber er hat eben die Polizeifunktion im Wald. Feuerwehrmann ist er auch: „Seit es diese tragbaren Grills gibt, machen die Leute an den unmöglichsten Stellen im Wald Feuer.“ Sehr unangenehm, erzählt er, sind angetrunkene Hundehalter, die ihre Tiere frei laufen lassen und keine Kontrolle mehr haben. Um sich durchzusetzen, muss ein Förster im Großstadtrevier auch einschüchternd wirken. Früher fuhr Seifert ein normales Auto, musste aber feststellen: ein Geländewagen unterstützt seine Autorität besser, das Uniformhemd und der Hund helfen dabei. Am Gürtel trägt Seifert eine Pistole im Halfter. Was er aber auch sagt: „Die allermeisten Besucher sind ganz friedliche Menschen.“ Die wirklichen Bösewichte trauten sich nicht in den Wald.

Nutz, Schutz und Erholung heißen die Aufgabenschwerpunkte der Forstbehörden. So lernen es die angehenden Fachleute in den Hochschulen. Nutz: das ist der ökonomische Aspekt. Der Anbau, Einschlag und Verkauf von Holz. Schutz: das ist der bewahrende Aspekt: Hier geht es um Artenerhalt, Klima, Wasser, Ökologie. Schon zwischen diesen beiden Feldern gibt es Interessengegensätze und Zielkonflikte, wie man sie bei der aktuellen Debatte über den geplanten Nationalpark im Nordschwarzwald beobachtet. Kommt der Aspekt Erholung, sprich Freizeitnutzung, dazu, multiplizieren sich die Konfliktfelder.

Früher war der Förster bei der Bevölkerung unbeliebt

Das Berufsbild der Förster hat sich in den vergangenen 200 Jahren gewaltig geändert. So wie sich auch die Nutzungsweise des Walds und die Ansprüche seiner Nutzer geändert haben. Zu Beginn der modernen Waldwirtschaft war der Forstmeister der Büttel des Staates und entsprechend unbeliebt. Mit dem Gewehr in der Hand hielt er die armen Frauen und Kinder davon ab, sich mit Brennholz zu versorgen und die dürre Geiß im Wald weiden zu lassen.

Das alte Recht des einfachen Mannes, sich selbst mit Wildbret zu versorgen, brach der Grünberockte im Auftrag der Herrschenden. So sind im 19. Jahrhundert immer wieder Förster von der Landbevölkerung verprügelt worden oder Schlimmeres. Der frühere Forstpräsident Fritz-Eberhard Griesinger führt in diesem Zusammenhang im Schönbuch immer an den Stein, der an den Mord am Forstlehrling Wilhelm Pfeiffer erinnert.

Im 21. Jahrhundert steht der Förster zuverlässig auf der Liste der Traumberufe und ist außerdem der Titelheld von Fernsehserien. Trotzdem bleiben die Konflikte. Nur die Felder haben sich verändert.

Ein großes Ärgernispotenzial hat – man wundert sich – der Holzeinschlag. „Bei mir in Stuttgart liegt der Schwerpunkt klar auf der Erholungsfunktion“, sagt Seifert. Trotzdem wird natürlich auch in seinem Beritt der eine oder andere Baum gefällt. Was der Fachmann als normalen forstwirtschaftlichen Eingriff versteht, interpretieren viele Besucher als aggressiven Angriff auf ihr Terrain – und das nicht nur in der Großstadt.

Die Holzwirtschaft als Dreh- und Angelpunkt der Arbeit

In Baiersbronn – mitten im Schwarzwald – sitzt morgens um neun Revierleiterin Susanne Gaiser am Esstisch und tätschelt ihren großen, grauen Jagdhund Abraxas. Normalerweise wären die beiden jetzt mit einer Spraydose im Wald unterwegs. An einem Steilhang gilt es, einzelne Bäume herauszusuchen und den Waldarbeitern fürs Fällen zu markieren. Gaiser ist noch immer eine ganz große Ausnahme im baden-württembergischen Forst. Sie ist eine Frau und sie arbeitet in Teilzeit. Die 40-jährige Mutter von drei Schulkindern teilt sich das Forstrevier mit einer Kollegin, jede betreut 800 Hektar, die eine oben am Hang, die andere unten.

Für die Schwarzwälderin ist klar: „Der Dreh- und Angelpunkt meiner Arbeit ist die Holzwirtschaft, Ernte und Verkauf.“ Ihr oberstes Ziel: Holz von hoher Qualität anbieten, so dass ihr Dienstherr, der Landkreis Freudenstadt,einen hohen Preis einstreichen kann. Nutz, Schutz und Erholung greifen ineinander, erklärt Gaiser. So sei es ihre Aufgabe, durch gezieltes Fällen von Fichten, künftig einen „gesunden Mischwald aufwachsen“ zu lassen. „Wegen der Ökologie, aber auch, weil sich Buche und Tanne ebenfalls gut verkaufen lassen.“ Die Holzwirtschaft sei traditionell ein wichtiges Standbein der lokalen Wirtschaft, erzählt die Revierleiterin. „Im Unterschied zur Stadt hat hier mindestens jeder Zweite irgendetwas mit dem Wald zu tun. Die Leute sind eng damit verbunden und wenn nur der Opa Fuhrunternehmer war. Viele besitzen kleine Waldstücke.“ Wichtig sei ihr allerdings auch der Habitatschutz, fügt sie hinzu: der Kreis Freudenstadt habe schließlich nicht ohne Grund den seltenen Auerhahn im Wappen. Bleibt die dritte Komponente: den Wald als Erholungsgebiet erhalten. Hier ist auch Gaiser gefragt, denn ihr Revier liegt voll im Tourismusgebiet. Der malerische Sankenbachsee mit einem Wasserfall zieht die Besucher von nah und fern an. Die Waldarbeiten nehmen darauf Rücksicht. Die geschlagenen Schneisen dürfen nicht zu breit sein, man fällt zu Zeiten, in denen wenig Wanderer unterwegs sind, die Arbeiter müssen freundlich und geduldig mit den Gästen umgehen und viel erklären.

Der Kontakt mit Urlaubern erfordert Fingerspitzengefühl

Es ist nämlich nicht so, dass das Zusammenspiel der Akteure in einem ländlichen Revier per se einfacher ist. Auch der Kontakt mit den Urlaubern erfordert Fingerspitzengefühl: denn die fahren mit dem Auto oder Mountainbike, wo sie nicht dürfen, sie zelten, wo sie nicht sollen, machen Feuer und lassen Müll liegen. All das läuft dem Naturschutz zuwider. Vier ehemalige Pflanzfrauen sind als Waldfacharbeiterinnen unter Gaisers Verantwortung damit beschäftigt, am Sankenbachsee die Ordnung aufrechtzuerhalten. „Das sind tolle Frauen. Die finden den richtigen Ton.“

Den muss auch Michael Seifert immer wieder finden. Zum Ausflugslokal Bärenschlössle darf man aus Naturschutzgründen, aber auch um Fußgänger und Radler nicht zu gefährden, nicht mit dem Wagen fahren. Das beflügelt offenbar bei vielen die Fantasie: „Was glauben Sie, wie oft mir Autofahrer, die ich dort zur Rede stelle, erzählen, sie würden nur ihre todkranke Tante zu einem letzten Besuch an den See chauffieren“, berichtet der 50-Jährige. Seit 21 Jahren betreut er dasselbe Revier. Viele Besucher kennt er, er grüßt, immer wieder klingelt sein Handy. Einmal bespricht er mit einer Kundin, wann sie das gewünschte Birkenholz am besten abholen könne. Seine Kollegin aus Baiersbronn würde an dieser Stelle vermutlich lachen müssen: es handelt sich um Dekorationsmaterial für ein Schaufenster in der Innenstadt.

Gejagt wird immer abends – da wird es schnell mal spät

Wir kommen an einen Kinderspielplatz auf einer großen Lichtung. Erst am Vortag war hier eine Kommission der Stadtverwaltung zugange: einige der großen hölzernen Spielgeräte müssen entschärft werden wegen Verletzungsgefahr. Die Waldarbeiter haben dem Drachen schon eine Zacke gekappt, bei der Babyschaukel muss das Gelenk ausgetauscht werden. Seifert, selber Vater eines Schulbuben, zuckt die Achseln. Ein rascher Blick zeigt ihm, dass auch die anderen Wartungsarbeiten erledigt wurden. Mähen und Müll wegbringen, Gräben säubern und Wild füttern zählen dazu. Im Forsthaus in Baiersbronn mag Abraxas gar nicht mehr aufhören, mit dem Schwanz zu wedeln. „Er ist ein glücklicher Hund. Er darf jeden Tag mit mir raus.“ Den Hund braucht Susanne Gaiser vor allem für den Teil ihrer Arbeit, der – leider , leider – immer abends stattfindet: die Jagd.

Wenn andere Feierabend machen, sitzt die 40-Jährige oft mit dem Gewehr im Ansitz. Als Revierförsterin hat sie die Pflicht, den Wildbestand zu regulieren. Sie hat vier sogenannte Begeher, das heißt mithelfende Hobbyjäger. „Alleine wäre das gar nicht möglich.“ Ansitzen, Töten, Zerlegen und Abtransportieren der Tiere kostet Zeit: „Da ist schnell Mitternacht.“ Auch in Stuttgart hält Michael Seifert in den späten Abendstunden mit 15 Begehern das Revier „in Schuss“. Wildunfälle durch zu viele Rehe könne er sich nicht leisten, schließlich führe eine vierspurige Straße durch sein Revier. So wirken die Förster im Hintergrund und geben – unsichtbar – die Regeln für das Zusammenleben der Waldnutzer vor. Nur im Konfliktfall treten sie als Moderatoren auf. Die Jogger und die Biker, die Vogelbeobachter und die Holzfäller, die Pilzsammler und die Wanderer gehen ungerührt ihren Interessen nach. Der Wald als Schule der Toleranz? Bei allem Ärger: es ist schon erstaunlich, wie konfliktfrei so viele Besucher jeden Tag aneinander vorbei kommen. Aber Grün soll ja beruhigend wirken.