„Der Mordanschlag“ im ZDF über das Attentat auf Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder arbeitet sehr frei mit erfundenen Personen. Gerade deshalb ist er so sehenswert.

Berlin - Auf die Gefahr hin, zynisch zu klingen: Terrorismus scheint nichts für Gesundheitsapostel zu sein! Wer sich gnadenlos mit dem Staat anlegt wie einst die RAF, ist aus Sicht realitätsgetreuer Fiktionalisierungen wie Uli Edels „Baader Meinhof Komplex“ permanent am Rauchen, Schwitzen, Hetzen, Schießen und kommt dabei so selten zur Ruhe wie die rauchenden, schwitzenden, hetzenden, schießenden Terroristenjäger. Auch überm neuesten Spielfilm zu dieser Epoche hängt daher ein so dicker Dunst aus Tabak, Angst und Pulverdampf, dass man husten muss.

 

Auch inhaltlich ist „Der Mordanschlag“ von einer Intensität, die kaum einen Moment der Entspannung gönnt. Das ist schon deshalb beachtlich, weil der ZDF-Zweiteiler sein Publikum 180 Minuten durch ein bekanntes Ereignis der jüngeren Zeitgeschichte treibt: Das tödliche Attentat auf den Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder vor 27 Jahren. Allerdings heißt er im Drehbuch des versierten Krimiautors André Georgi („Unter anderen Umständen“) Hans-Georg Dahlmann und wird zudem in ein Drama versetzt, das den echten Fall großzügig interpretiert.

Die Trotzigen und ihr Ziel

Anders als überliefert, holt sich die meistgefährdete Person der frisch vereinten Nation unter der Regie von Miguel Alexandre den Systemfeind höchstpersönlich ins Haus. Gesteuert von der RAF, wird die unauffällige Sympathisantin Sandra Wellmann zur Assistentin des Nachlassverwalters der Planwirtschaft und ebnet den Weg zum titelgebenden Angriff. Wobei Petra Schmidt-Schaller ihre Zivilistin im einseitig erklärten Bürgerkrieg linksextremer Desperados mit einer zögerlichen Nervosität spielt, die erst im Kontrast zu Freund und Feind wirkt.

Auf der einen Seite wären das: zwei Mitglieder der dritten RAF-Generation, deren misanthropischer Trotz gespenstisch glaubhaft von Jenny Schily und Christoph Bach verkörpert wird. Auf der anderen: ihr Primärziel, das Ulrich Tukur souverän zwischen Pflichterfüllung und Empathie pendeln lässt. Im hochkarätigen Ensemble bleibt sein Dahlmann die einzig verbürgte Figur. Ansonsten würfelt das ZDF fröhlich die Wirklichkeit durcheinander und zeigt sich im RAF-Showdown Anfang der Neunziger chronologisch flexibel.

In Highheels gegen die RAF

Susanne Albrecht, Alfred Herrhausen, Bad Kleinen: Auf engstem Raum verdichtet der Überwältigungsnostalgiker Alexandre („Die Frau vom Checkpoint Charlie“) einen wirtschaftskriminell angedickten Politthriller, dem ein paar stereotype Standards nicht erspart bleiben. Der Baader-Verschnitt Nikolai Kinski hat daher etwas Fiebrig-Viriles und Stefanie Stappenbecks BKA-Beamtin selbst dann Highheels an, wenn sie im SEK-Einsatz ist.

Ihr Schutzobjekt Dahlmann sammelt derweil mit Sätzen wie „Es geht nicht um Abwickeln, sondern Gestalten“ Sympathiepunkte, die seine Gegner von der Chemieindustrie durch sichtbare Hinterlist verspielen. Sie sind für die Theorie präpariert, den arbeiterfreundlichen Treuhänder mithilfe der Stasi beseitigt zu haben.

Zersetzende Gewalt

All dies ändert aber nichts daran, wie originell, intelligent und kurzweilig dieses klischeeanfällige Kapitel der Nachkriegsgeschichte inszeniert wurde. Trotz einiger Verschwörungstheorien ist „Der Mordanschlag“ nämlich kein Film übers vorletzte Gefecht des militanten Linksextremismus. Wichtiger ist ihm das Gift des Zweifels, mit dem ideologische Gewalt Gesellschaften zersetzt. So wie die Täter irgendwann den Terror infrage stellen, ohne davon lassen zu können, stellen Opfer ebenso bald ihre Unschuld infrage, Angehörige ihre Loyalität, Behörden ihre Methoden und überhaupt alle ihr Bedürfnis nach Differenzierung.

Das ZDF erzählt diese Zerrüttung aus doppelter Binnenperspektive. Im Gefecht miteinander ringen RAF wie Staat um Sinn, Nutzen, Moral allen Handelns. Niemand verkörpert das besser als der fabelhafte Maximilian Brückner, der als einziger beim BKA die Chemiebranche verdächtigt. So ein Erzählstrang bringt den Film zwar unangenehm nahe an Verschwörungstheorien. Er macht ihn aber auch zu mehr als bloßem unterhaltsamem Geschichtsfernsehen. Auch wenn es manchmal schmerzt.

Ausstrahlung: ZDF, 5. und 7. November 2018, je 20.15 Uhr, außerdem in der Mediathek.