Vor ihm auf dem Tisch reihen sich in einer Schuhschachtel längliche Briefumschläge, auf denen von Hand geschriebene Begriffe wie „Kapital“, „Gut“, „Böse“, „Energie“ und „Liebe“ stehen. Die Umschläge sind Wundertüten. Manche dick, manche dünn, je nachdem, wie viele Wörter sich darin befinden. „Das Wort Liebe ist ganz schön dick“, sagt Gerhard Kühn und öffnet den Umschlag mit den „guten“ Wörtern. Heraus fallen „Mittagsschlaf“, „Familienanschluss“, „Kündigungsschutz“, „Muttermilch“, „Geld“ – Geld? „Nein, das gehört hier eigentlich gar nicht hin! Für Geld habe ich einen extra Umschlag.“ Mit einem kleinen Messer klaubt er die Wortschnipsel auseinander. „Ich darf nichts durcheinanderbringen.“ Was hat es mit dem Umschlag „Spitzenpolitiker gereinigt“ auf sich? Kühn lacht. „Ich hab sie nicht gesäubert. Ich schneide erst grob aus, und dann schneide ich das Feine nach. Gereinigt nenne ich das dann.“

 

In der Collage „Die geteilte Stadt“ veranschaulicht Kühn die Stuttgart-21-Debatte am Beispiel eines geteilten Worts. Das großgeschriebene „Stuttgart“ aus dem Titel der Stuttgarter Zeitung war dafür sein Ausgangspunkt. Nicht ein Titelwort, Hunderte! Mit der Schere teilte er sie in „Stutt“ und „gart“. Als er genug Wortschnipsel hatte, klebte er „Stutt“ auf die eine und „gart“ auf die andere Seite des Bilds. Dazwischen malte er einen gelben Farbstrahl, setzte eine große, schwarze 21 aus Pappe auf den unteren Bildrand. Oben, wo die beiden Wortteile sich scheinbar wieder annähern, blinkt Gerhard Kühns Erkennungszeichen: ein kleines goldenes Quadrat. Am oberen Bildrand findet sich das einzige unversehrte Stuttgart in einem Wort.

Ein anderes Bild thematisiert humorvoll das Geschwätz, von dem wir täglich umgeben sind. Kühn hat dafür das „bla“ aus dem Stuttgarter Wochenblatt ausgeschnitten. „Die tt habe ich weggeschnitten. Geblieben ist das bla.“ In Blau gehalten, wirken die vielen ausgeschnittenen „blas“ wie Sprechblasen, die im Raum wabern. In der Mitte des Bildes blinkt Kühns goldenes Quadrat wie eine Aufforderung, doch mal bitte still zu sein. Ist dieses Kunstwerk eine Kritik am Geschwätz? „Nun ja, es gibt Stammtischgeschwätz, man sagt ja manchmal Blabla dazu. Geschwätz hat keinen großen Sinn und Zweck.“ Die Worte in den Zeitungen empfinde er dagegen nicht als Geschwätz. „Die Begriffe sind einfach da. Die Zeitungsschreiber müssen sie benutzen, um dem Leser das Thema klarzumachen. Das versuche ich in dem Moment, wenn ich die Wörter ausschneide, zu unterstreichen: die Wichtigkeit der Worte im Zusammenhang mit Themen“, sagt Gerhard Kühn.

Jahrelange Kleinarbeit

Unzählige S, T, U, G, A, E, R, Z und N lagern eng an eng in kleinen weißen Cremedosen und Pappschachteln. Sie sind das Ergebnis wochen-, monate- und jahrelanger Kleinarbeit. Beugt man sich über sie, wirkt es, als führten die losen Buchstaben ein geheimes Eigenleben. Hat Kühn einen Lieblingsbuchstaben? „Es gibt Buchstaben, die nichts hergeben, zum Beispiel das L – nur so ein Winkel. Auch mit dem I kann ich nichts anfangen. M und N mag ich sehr.“

Mehr als 2000 Bilder hat Gerhard Kühn in den vergangenen 17 Jahren gemalt. Er habe diese Zeit gebraucht, sich zu entwickeln, eine Form zu finden. Er hat immer wieder kleinere Ausstellungen gehabt, seine wichtigste in seiner Geburtsstadt Libau.

Vielleicht sind die Stationen seines Lebens ein guter Schlüssel für Gerhard Kühns Kunstrichtung: die Collage. Er setzt sich darin (unbewusst) auch mit Grenzen auseinander. Mit dem Ausschneiden löst er die Wörter und Buchstaben aus ihrem alten Zusammenhang und bringt sie auf der ästhetischen Ebene in eine neue Ordnung. Es geht ihm darum, konkrete Themen zu veranschaulichen, aber auch um ein Innehalten und Staunen über seltsame Wörter. „Ich möchte, dass sich die Worte dem Betrachter einprägen“, sagt er. Den Titeln aus der Zeitung von gestern verhilft er dadurch zu neuem Glanz und Dauer. Kühns thematisches Repertoire reicht von Tomatensoße über Fußball, die Stuttgarter Kommunalpolitik bis hin zu Barack Obama. „Mir schwebt etwas vor, und wenn ein Wort dazu passt, dann kommt es in den Umschlag.“

Mit Wörtern gefüllte Wundertüten

Vor ihm auf dem Tisch reihen sich in einer Schuhschachtel längliche Briefumschläge, auf denen von Hand geschriebene Begriffe wie „Kapital“, „Gut“, „Böse“, „Energie“ und „Liebe“ stehen. Die Umschläge sind Wundertüten. Manche dick, manche dünn, je nachdem, wie viele Wörter sich darin befinden. „Das Wort Liebe ist ganz schön dick“, sagt Gerhard Kühn und öffnet den Umschlag mit den „guten“ Wörtern. Heraus fallen „Mittagsschlaf“, „Familienanschluss“, „Kündigungsschutz“, „Muttermilch“, „Geld“ – Geld? „Nein, das gehört hier eigentlich gar nicht hin! Für Geld habe ich einen extra Umschlag.“ Mit einem kleinen Messer klaubt er die Wortschnipsel auseinander. „Ich darf nichts durcheinanderbringen.“ Was hat es mit dem Umschlag „Spitzenpolitiker gereinigt“ auf sich? Kühn lacht. „Ich hab sie nicht gesäubert. Ich schneide erst grob aus, und dann schneide ich das Feine nach. Gereinigt nenne ich das dann.“

In der Collage „Die geteilte Stadt“ veranschaulicht Kühn die Stuttgart-21-Debatte am Beispiel eines geteilten Worts. Das großgeschriebene „Stuttgart“ aus dem Titel der Stuttgarter Zeitung war dafür sein Ausgangspunkt. Nicht ein Titelwort, Hunderte! Mit der Schere teilte er sie in „Stutt“ und „gart“. Als er genug Wortschnipsel hatte, klebte er „Stutt“ auf die eine und „gart“ auf die andere Seite des Bilds. Dazwischen malte er einen gelben Farbstrahl, setzte eine große, schwarze 21 aus Pappe auf den unteren Bildrand. Oben, wo die beiden Wortteile sich scheinbar wieder annähern, blinkt Gerhard Kühns Erkennungszeichen: ein kleines goldenes Quadrat. Am oberen Bildrand findet sich das einzige unversehrte Stuttgart in einem Wort.

Ein anderes Bild thematisiert humorvoll das Geschwätz, von dem wir täglich umgeben sind. Kühn hat dafür das „bla“ aus dem Stuttgarter Wochenblatt ausgeschnitten. „Die tt habe ich weggeschnitten. Geblieben ist das bla.“ In Blau gehalten, wirken die vielen ausgeschnittenen „blas“ wie Sprechblasen, die im Raum wabern. In der Mitte des Bildes blinkt Kühns goldenes Quadrat wie eine Aufforderung, doch mal bitte still zu sein. Ist dieses Kunstwerk eine Kritik am Geschwätz? „Nun ja, es gibt Stammtischgeschwätz, man sagt ja manchmal Blabla dazu. Geschwätz hat keinen großen Sinn und Zweck.“ Die Worte in den Zeitungen empfinde er dagegen nicht als Geschwätz. „Die Begriffe sind einfach da. Die Zeitungsschreiber müssen sie benutzen, um dem Leser das Thema klarzumachen. Das versuche ich in dem Moment, wenn ich die Wörter ausschneide, zu unterstreichen: die Wichtigkeit der Worte im Zusammenhang mit Themen“, sagt Gerhard Kühn.

Jahrelange Kleinarbeit

Unzählige S, T, U, G, A, E, R, Z und N lagern eng an eng in kleinen weißen Cremedosen und Pappschachteln. Sie sind das Ergebnis wochen-, monate- und jahrelanger Kleinarbeit. Beugt man sich über sie, wirkt es, als führten die losen Buchstaben ein geheimes Eigenleben. Hat Kühn einen Lieblingsbuchstaben? „Es gibt Buchstaben, die nichts hergeben, zum Beispiel das L – nur so ein Winkel. Auch mit dem I kann ich nichts anfangen. M und N mag ich sehr.“

Mehr als 2000 Bilder hat Gerhard Kühn in den vergangenen 17 Jahren gemalt. Er habe diese Zeit gebraucht, sich zu entwickeln, eine Form zu finden. Er hat immer wieder kleinere Ausstellungen gehabt, seine wichtigste in seiner Geburtsstadt Libau.

Wenn sich Gerhard Kühn etwas wünschen könnte, dann, „dass sich jemand findet, der sich um meine Bilder kümmert“. In der „Süddeutschen Zeitung“ hat er mal eine Anzeige geschaltet: „Künstler verkauft sein Lebenswerk.“ Gemeldet habe sich nur ein Künstlerkollege, der wissen wollte, ob er Erfolg mit der Anzeige gehabt habe. Seine Frau sage, das Nächste wäre eine Anzeige „Lebenswerk zu verschenken“. Gerhard Kühn würde dann alles aufgeben: die Räume, den Gesamtbestand der Bilder. Aber malen würde er weiterhin – „solange ich kann, bis zum letzten Schnaufer“.