Derek B. Millers Roman „Ein seltsamer Ort zum Sterben“ ist die Geschichte eines lebensgefährlichen Katz-und-Maus-Spiels in den Wäldern Norwegens. Und er ist noch viel, viel mehr.

Lokales: Hans Jörg Wangner (hwe)

Stuttgart - Ein stilsicherer Autor. Einer, der auch komplexe Konstruktionen souverän aufbaut. Der etwas zu erzählen hat, ebenso spannend wie witzig. Und der bei alledem kein Angeber ist, dessen Eitelkeit einen aus jeder halbwegs überraschenden Wendung heraus angrinst. Kurz: Derek B. Miller ist mit „Ein seltsamer Ort zum Sterben“ ein großer Wurf gelungen.

 

Der „Seltsame Ort“ ist zunächst einmal ein Krimi. Er erzählt die Geschichte eines alten Mannes, der unversehens zum Beschützer eines kleinen Jungen wird, dem der eigene Vater ans Leben will – nachdem er zuvor schon die Mutter ermordet hat. Der alte Mann, Sheldon Horowitz, ist ein amerikanischer Jude, den seine Enkelin aufs Altenteil nach Norwegen geholt hat. Der Junge ist das Ergebnis einer brutalen Vergewaltigung auf dem Kosovo. Sein albanischer Vater hat sich mit diesem und anderen Verbrechen für die Gräuel der Serben rächen wollen. Doch jetzt droht ihn die Vergangenheit im skandinavischen Exil einzuholen.

Lebensgefährliches Katz-und-Maus-Spiel

Womit er nicht gerechnet hat: Sheldon Horowitz war im Korea-Krieg Scharfschütze bei den Marines. Auch wenn er selbst seine Familie in der irrigen Annahme gelassen hat, er sei seinerzeit bloß auf der Schreibstube gesessen. Was er damals wirklich gelernt hat, kann er beim lebensgefährlichen Katz-und-Maus-Spiel in den norwegischen Wäldern gut gebrauchen.

Der „Seltsame Ort“ ist also auch ein Kriegsroman. Egal, ob Korea oder Kosovo: Miller schildert mit der notwendigen Deutlichkeit, wie es auf den Feldern der Ehre beziehungsweise der Unehre zugeht. Eine besondere Bitterkeit wächst dem Roman durch den Umstand zu, dass Sheldons Sohn Saul in Vietnam gefallen ist. Jahrzehntelang macht sich der Alte Vorwürfe, ob er durch sein Verschweigen („Ich habe nur getan, was von uns verlangt wurde.“) Mitschuld am Tod Sauls trägt.

Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss

Und damit ist der „Seltsame Ort“ auch ein Familienroman. Es geht um das Verhältnis der Generationen, wie sie miteinander umgehen, was sie sich zu sagen haben und vor allem, was sie vor einander verheimlichen wollen. Sein gescheitertes Familienleben versucht Sheldon mit der Rettung des namenlosen und stummen serbischen Buben – der alte Mann nennt ihn Paul – wieder ins Lot zu bringen. Dass er dabei nicht nur sein Leben, sondern auch das von ein paar völlig unbeteiligten Jägern aufs Spiel setzt, nimmt er in Kauf. Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss.

Eine Verbeugung vor Mark Twain

Gleich, was seinen Figuren – die wichtigen von ihnen haben alle eine Kontur, ein Schicksal – widerfährt: Immer wieder stellt Derek B. Miller die Frage nach dem Wert der Werte. Ohne auch nur einmal den Zeigefinger zu heben. Statt dessen hat er das Weinen und das Lachen in einem Säckchen. Hochkomisch zum Beispiel die Szene, in der Sheldon den Verdacht seiner Enkeltochter Rhea pariert, er leide an Demenz.

Es ist ganz bestimmt kein Zufall, dass „Ein seltsamer Ort zum Sterben“ auch eine Verbeugung vor einem anderen Großen der amerikanischen Literatur ist: Mark Twain, dessen Huckleberry Finn die beiden Flüchtigen auf ihrer Reise ins Ungewisse immer wieder geistweise begleitet.

Einfach großartig.

Derek B. Miller: Ein seltsamer Ort zum Sterben. Roman. Aus dem Englischen von Olaf Roth. Rororo, Reinbek. 416 Seiten, 14,99 Euro. Als E-Book 12,99 Euro. Auch als Hörbuch, gelesen von Peter Matic: 5 Audio-CDs, ca. 375 Minuten. Random House Audio, 19,99 Euro.