Zu Beginn seiner fast einstündigen Zusammenfassung des Urteils bezeichnete Richter Leach den Mordfall als eine „menschliche Tragödie von Shakespearischem Ausmaß“. Ausgerechnet in der Nacht zum Valentinstag 2013 hatte der bekannte Athlet, der als erster beinamputierter Sprinter an einer Olympiade (2012 in London) teilgenommen hatte, seine Freundin, das 29 Jahre alte Model Reeva Steenkamp, in seiner Wohnung in einer luxuriösen Siedlung in Pretoria getötet. Seinen eigenen Aussagen zufolge hatte er angenommen, dass sich in seiner Toilette ein mit einer Leiter durchs Fenster gestiegener Einbrecher befand, und mit seiner Pistole vier Schüsse durch die geschlossene Toilettentür abgegeben. Erst später habe er bemerkt, dass sich in der winzigen Toilettenkabine in Wahrheit Reeva Steenkamp befand. Dagegen war Staatsanwalt Nel davon ausgegangen, dass Pistorius seine Freundin nach einem Streit mit Absicht erschoss.

 

Den Tod eines Menschen billigend in Kauf genommen

Seine Anklage wegen vorsätzlichen Mordes konnte Nel im Verlauf des mehr als sechs Monate andauernden Verfahrens allerdings nicht erhärten. Zum Ende des Prozesses schwenkte er auf den Vorwurf des Mordes zweiten Grades um: Pistorius habe gewusst, dass er mit vier auf Hüfthöhe abgegebenen Schüssen in die kaum zwei Quadratmeter große Kabine den sich darin befindenden Menschen töten würde – egal, ob es sich um Steenkamp oder einen Einbrecher handelte. Zudem hatte Pistorius Dummdumm-Munition geladen, die verheerende Verletzungen anrichtet.

Richterin Masipa hatte in ihrer Urteilsbegründung zwar einen Mord zweiten Grades erwogen, der in Südafrika nach seiner lateinischen Bezeichnung „dolus eventualis“ genannt wird. Wegen der besonderen psychologischen Umstände des gehbehinderten Täters verwarf sie diesen Vorwurf allerdings wieder. Dabei habe sie jedoch wichtige Zeugenaussagen nicht ausreichend berücksichtigt und das juristische Prinzip des „dolus eventualis“ nicht angemessen interpretiert, heißt es im Urteil der Berufungsrichter. Das Gericht ersetzte den Schuldspruch des Totschlags mit dem des Mordes „dolus eventualis“ und verwies den Fall zur Bemessung eines neuen Strafmaßes ans Landgericht in Pretoria zurück. Ursprünglich war Pistorius zu fünf Jahren Haft verurteilt worden, die hiesiger Praxis entsprechend bereits nach zehn Monaten guter Führung im Gefängnis in Hausarrest umgewandelt wurden.

Sowohl in juristischen Kreisen Südafrikas wie unter Frauenorganisationen wurde der Entscheid des Berufungsgerichts begrüßt. „Das ist es, was wir wollten und erwartet hatten“, sagte eine Sprecherin der Frauenliga des regierenden Afrikanischen Nationalkongresses (ANC). Barry Steenkamp, der Vater der Ermordeten, äußerte sich „befriedigt“ zu dem Urteil: „Nun können wir uns wieder um unser Leben kümmern.“ Eine Sprecherin der Pistorius-Familie teilte mit, ihre Anwälte müssten zuerst das Urteil studieren: „Von ihrer Einschätzung werden wir uns leiten lassen.“