Unter seinem Vornamen litt er, als er jung war. Heute ist Detlef Raasch stolz auf das, was Schwule wie er erreicht haben. Und doch weiß der Rheinländer, dass es für die Vielfalt noch viel zu tun gibt. Wir sprachen mit dem neuen politischen Kopf des Stuttgarter CSD.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart -

 

Das Handy am Ohr – so eilt der Mann mit dem Käppi herbei. Detlef Raasch hat sich etwas verspätet beim Treffen am Fuß des Bahnhofsturms. Gerade ist auch verdammt viel los bei ihm. Der neue politische Kopf des Stuttgarter CSD hat einen Fulltime-Job als Pflegedienstleiter im Awo-Seniorenzentrum Sonnenhalde in Musberg. Sein Ehrenamt an der Spitze des Festivals ist momentan fast ebenso zeitaufwendig.

Morgens um 5 Uhr klingelt sein Wecker. Erst beantwortet der 57-Jährige Mails rund um die LSBTTIQ-Feiertage, dann ist er im harten Acht-Stunden-Beruf für alte Menschen gefordert, ehe sein Ehrenamt bis spät abends weitergeht. Das Vorstandsmitglied des CSD-Vereins trägt den Stress mit rheinischem Humor und Gelassenheit.

In der Pandemie blieben die Einnahmen aus

Der langjährige Geschäftsführer Christoph Michl ist vom Verein bezahlt worden. „Aber nur zu 60 Prozent“, sagt sein Nachfolger, „den Rest hat er ehrenamtlich gearbeitet.“ In der Pandemie blieben die Einnahmen des CSD aus. Alles, was Geld brachte, durfte nicht stattfinden. Einen hauptamtlichen Geschäftsführer kann sich der Verein nicht mehr leisten. Detlef Raasch musste ran. Seit fünf Jahren gehört er dem CSD-Vorstand an. Jetzt ist er das Sprachrohr, weil die beiden anderen Vorstandsmitglieder noch nicht so lange dabei sind. Sein Einstieg erfolgt in einem Jahr, in dem es zwar keine Parade mit 300 000 Zuschauenden in der City gibt, in dem es aber trotzdem viel zu tun gibt, weil immer wieder Unvorhergesehenes passiert.

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Wenigstens sind nun die Unstimmigkeiten mit OB Frank Nopper abgeklungen. Für das Statement des Rathauschefs, der die Verbrennung der Fahne scharf verurteilt hat, wird dieser ausdrücklich von Raasch gelobt: „Wir freuen uns, dass Herr Nopper so deutlich Stellung bezieht.“ Der OB lobt die Regenbogenfahne, die er beim EM-Spiel nicht aufhängen wollte: „Sie stärkt den Geist der Liberalität, aber auch den Geist der Solidarität und der Vielfalt in Stuttgart.“

Bahn zeigt sich solidarisch

Vergessen ist auch Noppers Plan, beim Rathausempfang für den CSD nur kurz zu bleiben. Ein OB-Mitarbeiter hatte mitgeteilt, der Chef müsse nach 20 Minuten zum nächsten Termin. Als Raasch dies hörte, platzte ihm der Kragen. Man werde die Kamera auf Nopper halten, wenn dieser vorzeitig gehe, drohte er. Der OB blieb bis zum Schluss.

„Als Redner muss ich besser werden“, sagt Raasch. Darin übt er sich nun. Auch nach der Demo am Samstagnachmittag spricht der 57-Jährige auf dem Schlossplatz. Ein Thema wird die Fahne sein, die am Kulturkiosk verbrannt worden ist. Solidarisch hat die Bahn den CSD eingeladen, bunte Flaggen am Bahnhofsturm zu hissen. Deshalb ist der CSD-Sprecher mit einer Bahn-Vertreterin vorm Turm verabredet. Der gehetzte Käppiträger zündet sich eine Zigarette an, schaut nach oben zu den drei aufgehängten Fahnen und sagt stolz: „Das tut gut!“ Dass mal an einem Wahrzeichen der Stadt der Regenbogen leuchtet, hätte der Rheinländer nie für möglich gehalten, als er 1982 der Arbeit wegen nach Stuttgart zog. Und er hätte nie gedacht, dass er so lange hier bleibt. Seine Travestie-Auftritte seit vielen Jahren bei den Stuttgarter Treffen von Karnevalisten aus dem Rheinland sind Legende.

Keine Witze mehr

Es gab mal eine Zeit, da reichte es, nur den Namen Detlef in Witzen zu erwähnen – und schon wurde über Schwule gelacht. Raasch hat als Jugendlicher unter seinem Vornamen gelitten. Heute hört er überhaupt keine Witze mehr dazu, sagt er. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Sonnenhalde freuen sich, wenn sie ihren Pfleger in der Zeitung entdecken. Am Sonntag, 22.20 Uhr, können sie ihn im SWR-Fernsehen in einem 30-minütigen Porträt über drei CSD-Protagonisten sehen. Detlef Raasch hat viel Stress, aber auch Spaß am Engagement, mit dem er eines allen klarmachen will: Der CSD hat viel erreicht, aber es gibt noch sehr viel zu tun!

Infos

Der CSD 2021 in Stuttgart
Auch im zweiten Corona-Jahr ist die gewohnte Polit-Parade mit rund 200.000 Zuschauenden und 7500 aktiven Teilnehmenden nicht möglich. Dennoch werden in diesem Jahr die politischen und gesellschaftlichen Forderungen der Regebogen-Community wieder auf die Straße gebracht. Am Samstag, den 31. Juli, wird ein Demonstrationszug von 14.30 Uhr an bestehend aus Fußgruppen durch die Stuttgarter Innenstadt ziehen. Gegen 16 Uhr wird es wie gewohnt eine politische Kundgebung auf dem Schlossplatz geben. Am 31. Juli und 1. August wird der zentrale Schlossplatz zum Zentrum der LSBTTIQ-Community: Bei der CSD-Infomeile informieren zahlreiche Initiativen und Vereine über ihre zumeist ehrenamtliche Arbeit und wichtigen Anliegen. Zudem kann das ein oder andere Getränk to go an einem der beiden CSD-Gastrostände erworben werden.