Der Weg vom Bodensee bis zum Arlberg ist eine straßenbautechnische Meisterleistung. Die Frage, warum in Österreich vieles geht, was hierzulande nicht klappt, wird vor allem in diesen Tagen gerne mit dem Stichwort „Maut“ beantwortet – doch das ist nicht der einzige Grund.

Lindau - Herrlich, diese Tunnel. Was war das einst für eine Plackerei – eine Stunde Wartezeit vor dem Pfändertunnel, und dann ging’s erst richtig los: Wie Hannibals Elefanten pflügten sich noch in den 90er-Jahren rumänische Lastwagen und holländische Wohnwagen durch die zahlreichen Schluchten zwischen Rheintal und Arlberg, ein Graus – nicht nur für die deutschen Urlaubskarossen zwischendrin.

 

Und heute? Schluss damit. Österreich – und damit auch das gleich hinter Lindau beginnende Vorarlberg, das von Stuttgart aus in weniger als zwei Stunden erreichbar ist – hat eines der modernsten Fernstraßennetze Europas. Seit einem Jahr ist der Pfändertunnel bei Bregenz zweiröhrig ausgebaut. Der Weg vom Bodensee bis zum Arlberg ist eine straßenbautechnische Meisterleistung. Beinahe ausschließlich auf Brücken oder durch Hochsicherheitstunnel geht es dahin. Da kommt Neid auf, wenn man diesseits der Grenze wohnt und sich schon darüber freuen muss, wenn Winterschäden repariert werden.

Die Vignette allein löst nicht alle Probleme

Die Frage, warum in Österreich vieles geht, was hier nicht klappt, wird vor allem in diesen Tagen gerne mit dem Stichwort „Maut“ beantwortet. Fakt ist: Seit 1997 gibt’s im Nachbarland eine Vignette, die liebevoll „Pickerl“ genannt wird. Aber das alleine ist es nicht: Hinter der Maut steckt nicht der Staat, sondern die Asfinag, eine hundertprozentige Tochter des österreichischen Bundes, die über die Autobahnen wacht.

Laut Gabriele Lutter, der Geschäftsführerin der Asfinag Maut Service GmbH, hat die Vignette auch deshalb eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung. „Mehr als 90 Prozent der österreichischen Autofahrer haben die Vignette, weniger als ein Prozent der Autofahrer auf unserem 2178 Kilometer langen Straßennetz sind Mautsünder“, sagt sie. Österreicher wie Ausländer bezahlten ihre Maut gerne, sagt Lutter, schließlich erhielten sie im Gegenzug „Qualität zu einem fairen Preis“. Redewendungen wie diese hört man sonst nur in Dienstleistungsbetrieben. Auf ihrer Website bezeichnet die Asfinag Auto- und Lkw-Fahrer gar als „Kunden“, denen gegenüber man zur Leistung verpflichtet sei.

All das sind Impressionen aus einem Gastgeberland, das bei Touristen in der ganzen Welt beliebt ist. Unvorstellbar, wenn man in einem Land wohnt, dessen Autobahnnetz aus den 1930er-Jahren stammt und in dem die Kfz-Steuer einfach so „am Kunden vorbei“ im allgemeinen Haushalt verschwindet.

Die österreichische Maut gilt als einfach und kostengünstig

Selbst die EU-Kommission lobt das österreichische Mautmodell in vielen Punkten als „best practice“ in Europa (Studie von 2010). Insbesondere die Staffelung in Zehntages-, Zweimonats- und Jahresvignetten zu Preisen zwischen 8,50 Euro und 82,70 Euro wird als fair hervorgehoben. „Es ist ein einfaches, kostengünstiges System“, sagt Lutter. Und es ist leicht zu kontrollieren – wer keine Vignette geklebt hat, zahlt mindestens 120 Euro „Ersatzmaut“. Der Aufwand für die elektronische und persönliche Vignettenkontrolle finanziert sich durch die Strafen selbst.

Von den Attributen „einfach“ und „kostengünstig“ ist man in Deutschlands Mautdiskussion weit entfernt, bemängelt Elmar Stegmann, Landrat in Lindau und CSU-Kollege von Verkehrsminister Alexander Dobrindt. „Das Problem ist doch, dass wir mehr Geld für die Erhaltung und den Ausbau unserer Infrastruktur brauchen. Eine Ausländermaut spült uns laut aktuellen Plänen gerade einmal 625 Millionen Euro in die Kassen – nicht einmal zehn Prozent der Gesamtausgaben.“ Stegmann plädiert anstatt komplizierter Rechenspiele für eine Vignette für alle zu einem Preis „zwischen 30 und 40 Euro“.

Zusätzliches Geld will er außerdem durch eine Ausweitung der Lkw-Maut auf Nebenstrecken einnehmen. „Die machen bei uns die Straßen kaputt. Also sollen sie sie auch bezahlen.“ Von den Mauteinnahmen sollen aber nicht nur Straßen profitieren, sondern der Verkehr in Deutschland an sich. „Da zählt auch die Bahn dazu“, sagt Stegmann. Dass hier Geld notwendig ist, weiß der Lindauer Landrat dank der Diskussionen um Südbahn-Elektrifizierung und Allgäubahn-Verzögerungen nur zu gut.

Solange die Maut nur Autobahnen betrifft, ist man gelassen

Die Angst, dass grenznahe Handelsunternehmen ausbluten könnten, teilt der Lindauer nicht, solange es nur um die Autobahnen geht. Er warnt aber vor Überlegungen, auch Bundes- und Kreisstraßen zu bemauten. „Wenn das so kommt, dann können Österreicher nicht mehr mautfrei nach Lindau einreisen.“ Das, sagt Stegmann, habe nicht nur Konsequenzen für den Tourismus und den Handel. Es widerspreche auch dem europäischen Gedanken, wonach man Grenzen ab- und nicht aufbauen sollte. „Wir können von mir aus vom ersten Autobahnkilometer an Maut verlangen. Aber die Nebenstraßen müssen für Pkw frei bleiben, sonst schaden wir uns selbst.“

Zu einem solchen Kompromiss rät jenseits der Grenze auch Michael Tagwerker, der bei der Wirtschaftskammer Vorarlberg für den Bereich Handel, Transport und Verkehr zuständig ist. „Nur weil die Deutschen eine Gebühr für ihre Autobahnen verlangen, werden die Österreicher nicht wegbleiben“, vermutet er. Die Ängste deutscher Einzelhändler vor einem Umsatzeinbruch würde er als Vorarlberger Handelssprecher „gerne teilen“, tut er aber nicht. „Wir haben eine Vignette, wir werden uns auch an eine deutsche Vignette gewöhnen“, sagt er. Also werden die Vorarlberger auch weiterhin ihre Möbel in Ulm und ihre Kleider in Ravensburg oder Kempten kaufen. „Wir wachsen mehr und mehr zusammen – mit oder ohne Maut“, sagt Tagwerker. „Das gilt für unsere Unternehmen, für die Arbeitsplätze, für den Handel und für das Freizeitverhalten.“ Und es hat auch ein bisschen etwas damit zu tun, dass die Straßen hinter der Grenze heute deutlich besser sind als noch vor 20 Jahren.

Das staatliche Tochterunternehmen Asfinag

Viele Beobachter sehen hinter der Gründung der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft, kurz Asfinag, im Jahr 1982 den wahren Grund für die gute Infrastruktur in Österreich. Sie ist ein 100-prozentiges Tochterunternehmen des Staates und hat allein die Aufgabe, Straßen zu planen, zu finanzieren, zu bauen, zu erhalten, zu betreiben und zu bemauten. All das muss sie mittels Einnahmen aus der Lkw-Maut (1,1 Milliarden Euro), der Pkw-Maut (400 Millionen Euro) und aus den Einnahmen der Sonder-Mautstellen, wie Arlbergtunnel oder Brenner (150 Millionen Euro), bestreiten. Die Asfinag erhält keine Staatszuschüsse. Alle ihre Einnahmen fließen in das „hochrangige Streckennetz“.

Der Vorteil dieses Systems liegt darin, dass die Politik zwar mittels Prioritätenliste bestimmt, was und wo gebaut wird, da die Asfinag aber stets als Bauträger agiert, lassen sich Bauwerke langfristiger planen, sind nicht steuerabhängig, sind nachhaltiger finanziert und werden nach Meinung selbst deutscher Bau-Experten oft effektiver und dadurch auch kostengünstiger organisiert als unter politischer Aufsicht.