Wie erklären Sie sich die Loyalität hier lebender Menschen zu türkischen Politikern?
Die deutschen Politiker haben sich für die Migranten in den letzten 40 Jahren nicht interessiert. Und dann kommt ein kräftiger, wortgewandter Politiker aus der Türkei und gibt ihnen das Gefühl, ihnen trotz der Ferne zu ihrem Herkunftsland wieder eine Heimat zu geben.
Wie viel Einfluss hat Ankara hierzulande?
Bei bestimmten Bevölkerungsgruppen sehr großen. Weil das Leute sind, die die einschlägigen türkischen Medien lesen oder türkisches Fernsehen verfolgen, das inzwischen Tag und Nacht hierher sendet. Viele Organisationen in Deutschland haben auch eine sehr unkritische Haltung. Auch in Stuttgart gibt es viele Vereine, die die türkische Politik nach Deutschland bringen: es gibt einen Verein der AKP, einen der Oppositionspartei, es gibt die Moschee-Gemeinden der unterschiedlichen Gruppierungen. Aber sie repräsentieren aus meiner Sicht immer noch nicht die Mehrheit. Bei den letzten türkischen Parlamentswahlen haben sich nur 30 bis 40 Prozent der wahlberechtigten Türken in Deutschland beteiligt.
Davon haben 59 Prozent die AKP gewählt.
Das sind viele Türken. Aber nicht alle. Es ist auch nicht die Mehrheit der hier lebenden Türken. Viele wollen ja gar nichts mit dem Thema zu tun haben.
Die Erdogan-Anhänger treten allerdings sehr lautstark auf.
Das geht inzwischen ja auch sehr einfach. Mit ein paar Tweets oder Demonstrationen hat man schon eine gewisse Öffentlichkeit erzeugt. Wenn fünfhundert Leute auf die Straße gehen, spielt es bei 40 000 Türken in Stuttgart und über 100 000 in der Region Stuttgart keine große Rolle. Die AfD ist in Deutschland auch nicht gerade eine Volkspartei. Aber die Leute lernen, sich immer besser zu inszenieren.
Ist die Angst vor dem Einfluss des Heimatlandes berechtigt?
In Teilen ja. Aber auch das ist etwas, was wir hier aushalten müssen. Es gilt im übrigen auch für die russischstämmige Bevölkerung, man denke an den Fall Lisa, wo ganz gezielt Informationen von außen gestreut wurden. Man kann sich auch als Stuttgarter bezeichnen und trotzdem Anhänger der AKP sein. Man muss damit auf demokratische Weise umgehen.