Entwicklungshilfe für die Deutschen? Diese Idee hat Idil Baydar im Programm. Die Kabarettistin erklärt im Interview, warum man die Deutsch-Türkische Kabarettwoche im Renitenztheater auf keinen Fall verpassen sollte.

Stuttgart - Am Freitag, 23. März, beginnt im Renitenztheater die Deutsch-Türkische Kabarettwoche. Idil Baydar, Tochter türkischer Eltern und in Celle geboren, präsentiert als Kunstfigur Jilet Ayşe ihr aktuelles Kabarettprogramm. Im Interview spricht sie über die deutsch-türkische Beziehung, das neue Heimatministerium und Frauen im Kabarett.

 
Frau Baydar, Sie treten bei der Deutsch-Türkischen Kabarettwoche als Kunstfigur Jilet Ayşe mit Ihrem Programm „Ghettolektuell“ am 29. März auf. Hat sich diese prollige Jugendliche weiterentwickelt?
Jilet Ayşe hat festgestellt, dass Deutschland überall auf der Welt Entwicklungshilfe leistet, es aber niemanden gibt, der den Deutschen Entwicklungshilfe anbietet. Deshalb übernimmt sie jetzt den Job. „Ghettolektuell“ ist sehr „Ghetto“, aber auch sehr „lektuell“. Das Schöne an dieser Figur ist ja, dass sie mit gefühlten 180 Stundenkilometern in der 30er-Zone loszieht und mit ihrer Naivität schwierige Themen ansprechen kann, über die man vielleicht besser nicht sprechen sollte – beziehungsweise viel mehr sprechen sollte.
Eröffnet wird das Festival an diesem Freitag mit einer Diskussion zum Thema „Flüchtige Freundschaft“. Wie würden Sie die deutsch-türkische Freundschaft derzeit beschreiben?
Rein medial betrachtet würde ich sagen: Es läuft nicht gut. So schlecht, wie die Beziehung geredet wird, fühlt sie sich aber gar nicht an.
Man hat das Gefühl, dass im Zuge der Flüchtlingsdebatte den hier lebenden Türken neue Feindseligkeit entgegenschlägt.
Ja, total. Das wird allerdings stark von der AfD getragen, wenn sie von „Kümmelhändlern“ und „Kameltreibern“ spricht. Da wird versucht, ein negatives Klima zu erzeugen. Andererseits beflügeln solche Angriffe auch das Lachen: Jilet Ayşe meinte, aus der Kameltreiberei mache sie ein Start-Up, das so erfolgreich sein wird, dass sie das Haus kauft, in dem du wohnst, und dich dann rausschmeißt.
Sie sprechen die widerliche, rassistische Aschermittwochsrede von André Poggenburg an. Ist das neuer oder einfach bislang unterdrückter Hass?
Neu ist dieser Hass nicht, der ist gut genährt. Seit mindestens 40 Jahren haben wir ja keine betont positive Berichterstattung über Türken oder Migranten generell in Deutschland. Man weiß nur: Die sind kriminell, leben in Großfamilien, lernen die Sprache nicht und lehnen unsere Werte ab. Wenn ich mein Publikum auffordere: Sagt mir mal fünf gute Dinge über Türken, und zwar nicht den Dienstleistungssektor betreffend - „der Döner von Mustafa schmeckt gut“, das will ich nicht hören. Dann lachen die Leute, weil ihnen nichts einfällt. Sie sind darauf trainiert, das Schlechte zu kennen, für das Migranten verantwortlich sein sollen. Das haben wir geübt, das funktioniert assoziationsmäßig super.
Nicht nur die deutsch-türkische Kabarettwoche, die gesamte Szene ist nach wie vor von Männern dominiert. Wenn man bei Google „Kabarettistinnen“ eingibt, wird man gefragt: „Meintest du: ‚Kabarettisten‘?“ Woran liegt das?
Dass Frauen in vielen wichtigen Bereichen unterrepräsentiert sind, ist ja nicht neu. Im Kabarett stellt sich natürlich die Frage, ob man gebucht wird - es liegt also nicht nur an den Frauen, sondern auch an den zuständigen Redakteuren und Veranstaltern. Außerdem scheint es so, dass Frauen, die weniger feminin wirken wie ja etwa Jilet Ayşe, bessere Chancen im Kabarett haben. Bei Enissa Amani zum Beispiel wird häufiger gefragt, ob sie erfolgreich ist, weil sie hübsch ist und nicht, ob sie lustig ist. Vielleicht ist es für Männer einfach schwieriger, sich auf Inhaltliches zu konzentrieren, wenn da biologisch grade was abläuft.
Die deutsch-türkische Kabarettwoche stellt immer auch die Frage nach Heimat. Die Bundesrepublik hat jetzt ein von Horst Seehofer geführtes Heimatministerium - eine sinnvolle Idee?
Ja, geil! Das ist Satire! Wobei: So etwas kann man sich gar nicht ausdenken. Mich beunruhigt es zwar eher, aber wenn die Leute glauben, dass ihre Heimat durch so ein Ministerium geschützt ist - meinetwegen. Horst Seehofer (lacht). Als Chef vom Heimatministerium. Wie hätte es anders sein können?g