Bürokratie und Janusköpfigkeit: deutsche Archäologen kritisieren die türkische Kulturpolitik. Sie fühlen sich mehr und mehr unerwünscht in der Türkei.

Deutsche Berlin - Soldaten mit Flugabwehrraketen sind am Bosporus gern gesehen. Deutsche Archäologen in der Türkei dagegen haben mehr und mehr das Gefühl, unerwünscht zu sein. Jetzt hat einer der angesehensten deutschen Altertumsforscher den angestauten Frust öffentlich gemacht: Hermann Parzinger war Präsident des Deutschen Archäologischen Instituts, ehe er 2008 die Leitung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin übernahm. Parzinger wirft der türkischen Kulturpolitik vor, sie mache eine altertumswissenschaftliche Zusammenarbeit zusehends unmöglich.

 

Ihre Haltung sei nationalistisch, chauvinistisch und heuchlerisch. Die türkische Regierung, so Parzinger, inszeniere sich gerne als Hüterin des antiken Kulturerbes, opfere aber wichtige Grabungsstätten fragwürdigen Staudammprojekten. Der türkische Kulturminister Ertugrul Günay rühme sich, Tausende von Kulturzeugnissen aus dem Ausland in die Türkei zurückgeholt zu haben, doch gleichzeitig erlaube das novellierte Kulturgütergesetz der Türkei den Museen, aktuell nicht benötigte Stücke aus den Depots zu verscherbeln.

Auf ein „Spiegel“-Interview Anfang Dezember ließ Parzinger jetzt eine harsche Attacke auf die türkische Kulturpolitik in der FAZ folgen: eine donnernde Breitseite in Richtung Türkei, wo die Berichterstattung über das Land in deutschen Medien mit Argusaugen beobachtet wird. Das Vorgehen überrascht, weil Parzinger eigentlich ein Mann des respektvollen Kulturdialogs und der geduldigen Kulturdiplomatie ist. Was steckt hinter der brüsken Einmischung in die kulturpolitischen Angelegenheiten der Türkei?

Wut auf türkische Behörden

Offiziell gibt es keinen Zusammenhang zwischen Rückgabeforderungen, die das Land auch in Richtung der Berliner Museen erhebt, und der Erteilung von Grabungslizenzen an deutsche Archäologen in der Türkei. Doch das Verhalten türkischer Kulturfunktionäre hinterlässt bei deutschen Archäologen den Eindruck, sie würden quasi als Geisel genommen, um die Herausgabe von legal erworbenem Kulturgut zu erzwingen.

Bei der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist die Empörung darüber besonders groß, weil sie der Türkei bereits entgegengekommen ist: 2011 übergab sie die hethitischen „Sphinx von Bogazköy“ an die Türkei, die 1917 zur Restaurierung nach Berlin gebracht war. Nach der Aktenlage wäre die Rückgabe nicht zwingend erforderlich gewesen. Doch die Berliner nutzen die Chance, ein deutsch-türkisches Kooperationsabkommen zu schließen, und hofften auf Leihgaben aus der Türkei für ihre kürzlich zu Ende gegangene „Pergamon“-Ausstellung mit 1,5 Millionen Besuchern auf der Museumsinsel.

Weil die Türkei dieses Projekt boykottierte, fühlen sich die Berliner nun übel ausgetrickst. Ernst Pernicka von der Tübinger Universität, bisher Grabungsleiter in Troja, äußert viel Verständnis für Parzingers Wut auf die türkischen Behörden. Seit 1988 wurde unter deutscher Leitung nach der Stadt Troja gegraben, 2013 geht die Lizenz auf Betreiben des Kulturministeriums in Ankara an den türkischen Archäologen Rüstem Aslan von der Universität Canakkale. Doch das sei „fast eine Ideallösung“, wiegelt Pernicka ab, der sich ohnehin zur Ruhe setzen wollte – und nach dem Rückzug des Großsponsors Daimler und der Deutschen Forschungsgemeinschaft auch kein Geld für groß angelegte Grabungen mehr hat. Aslan ist in Tübingen ausgebildet worden und war Pernickas Stellvertreter: An der internationalen Zusammensetzung des Forscherteams ändert sich nichts, nur ist jetzt ein Türke für den wahnwitzigen Papierkrieg mit den Kulturbürokraten in Ankara verantwortlich.

Größere Sorgen macht Pernicka, dass das auch für den Tourismus zuständige Kulturministerium mehr an vorzeigbaren Ausgrabungsstätten als an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen interessiert scheint: „Mein Eindruck ist, dass die archäologischen Stätten nur noch als Geldbringer gesehen werden.“