Interne Dokumente der Deutschen Bahn zeigen, wie trüb die Lage wirklich ist – und wie sie weiter trickreich schöngerechnet wird.
Richard Lutz ist schwierige Lagen mittlerweile gewohnt. Ende März legt der seit acht Jahren amtierende Vorstandschef der Deutschen Bahn AG die Geschäftsbilanz vor, die nach Informationen unserer Redaktion erneut tiefrote Zahlen ausweisen wird. Lutz wird wohl wieder versprechen, dass bald vieles besser werden soll im unzuverlässigen Schienenverkehr und beim größten deutschen Staatskonzern mit seinen 300 000 Mitarbeitern. Doch interne Dokumente zeigen, wie trüb die Lage wirklich ist – und wie sie weiter trickreich schöngerechnet wird.
Die selbst gesetzten Ziele hat der Konzern jedenfalls wieder weit verfehlt, wie die vertrauliche Planung der Bahn-Spitze zeigt. Demnach stehen unterm Strich weiter hohe Verluste: Die Charts für den Aufsichtsrat zeigten kurz vor dem Jahreswechsel ein voraussichtliches Minus von 523 Millionen Euro nach Steuern für 2024. Doch in diesem Jahr soll das Sanierungsprogramm S3 greifen und das Ergebnis erstmals wieder positiv ausfallen: 465 Millionen Euro Jahresüberschuss sind eingeplant, sogar fast eine Milliarde Euro für 2026.
Ob das so kommt, ist fraglich – zumal offen ist, ob die neue Regierung an den bisherigen Finanzierungszusagen festhält. Schon zu oft erwiesen sich die DB-Pläne als bloße Wunschträume und Sanierungsprogramme als wenig wirksam. Allein 2023 stand statt erhoffter Gewinne unterm Strich ein Minus von 2351 Millionen Euro. Seit dem Coronajahr 2020 weist der Konzern durchgehend Verluste auf, die sich nun auf fast 10 Milliarden Euro summieren. Die Folge: Die Deutsche Bahn hängt immer mehr am Tropf des Staates, ist mit 34 Milliarden Euro hoch verschuldet und kann nötige Investitionen auf Jahre hinaus nicht selbst finanzieren.
Unrentables Schienengeschäft
Denn im Kerngeschäft mit der Schiene wird seit langer Zeit kaum ausreichend Geld verdient, um den weitläufigen Konzern zu tragen. Die Gewinne der Bahn kamen bisher vor allem von der Lkw-Spedition Schenker, deren Verkauf dieses Jahr abgeschlossen wird, und dem Betrieb der bundeseigenen, hoch subventionierten Infrastruktur. Der Schienenverbund (DB Fernverkehr, DB Regio, DB Cargo, DB Infra-Go) machte voriges Jahr weitere 273 Millionen Euro operativen Verlust vor Zinsen und Steuern (Ebit), wie die vertraulichen Unterlagen zeigen.
In diesem Jahr werden zwar mit 200 Millionen plus erstmals wieder schwarze Zahlen beim Betriebsergebnis angestrebt, 2027 soll sich das Ebit gar auf zwei Milliarden Euro verzehnfachen. Dafür soll S3 sorgen, das auch den Abbau von 30 000 Stellen vorsieht. Doch wie belastbar sind diese Zahlen der Bahn-Spitze? Im 20-köpfigen Aufsichtsrat reicht für berechtigte Skepsis schon ein genauer Blick auf die jüngsten drastischen Plankorrekturen nach unten.
Denn die Fünfjahresprognose von Lutz versprach Ende 2023 noch 300 Millionen Euro Vorsteuergewinn für 2024 und sogar satte 1,3 Milliarden Euro Ebit für dieses Jahr. Diese zusammen 1,6 Milliarden Euro erhofften Erträge sind indes ein Jahr später in der aktuellen Prognose auf bestenfalls 200 Millionen Euro zusammengeschrumpft.
Haufenweise drastische Fehleinschätzungen
Die vertraulichen Unterlagen offenbaren haufenweise solche drastischen Fehleinschätzungen. So hat die Bahn-Spitze das erwartete Ebit für 2026 und 2027 zur letzten Aufsichtsratssitzung um jeweils 400 Millionen Euro nach unten korrigiert. In der Summe geht die aktuelle Planung für die Jahre 2024 bis 2027 nun von insgesamt 2,5 Milliarden Euro weniger operativem Gewinn aus als noch ein Jahr zuvor und von insgesamt 5,4 Milliarden Euro weniger Umsatz.
Die Papiere zeigen auch: Bereinigt um die Spedition Schenker mit ihren 75 000 Beschäftigten und 20 Milliarden Euro Umsatz wird der Bahn-Konzern deutlich schrumpfen. Fürs abgelaufene Jahr werden 26,5 Milliarden Euro Umsatz ausgewiesen, für 2025 sind 28 Milliarden veranschlagt. Zum Vergleich: 2022 standen in der Konzernbilanz noch mehr als 56 Milliarden Euro Erlöse, also mehr als das Doppelte. Damals gehörten noch zahlreiche Auslandsgeschäfte wie Arriva dazu, von denen sich die Deutsche Bahn trennen musste. Das setzte teils auch die gescheiterte Ampelkoalition durch.
Die künftige Bundesregierung übernimmt mit dem angeschlagenen Konzern und der lange vernachlässigten Bahn-Infrastruktur ein schweres Erbe, was die designierten Koalitionspartner Union und SPD aber wissen. Schon unter Kanzlerin Merkel (CDU) war die Bahn ein Problemfall, dennoch blieben nötige Reformen aus. Die Folge: Nun sind die Schwierigkeiten noch größer und Lösungen noch teurer geworden.
Die Ampelkoalition wollte mit üppigen Finanzspritzen die Wende herbeiführen. Doch mit ihrem Scheitern sind der Haushalt 2025 und die Finanzplanung bis 2027 wieder offen – und damit auch die milliardenschweren Hilfen. Allein das Eigenkapital der Bahn wollte der Bund bis 2027 um 28 Milliarden Euro auf dann fast 45 Milliarden Euro aufstocken, um dem Konzern wieder mehr finanziellen Spielraum zu ermöglichen. Mehr als 16 Milliarden Euro sollten in diesem Jahr fließen, knapp die Hälfte davon aus dem Notverkauf der DB-Spedition Schenker.
Union würde gerne eine Rosskur verordnen
Ob der nächste Verkehrsminister daran festhält oder die Weichen neu stellt, ist offen. Die Union würde dem kranken Bahn-Riesen gerne eine Rosskur verordnen, damit die Bahn nicht vollends zum Fass ohne Boden für die Steuerzahler wird. Doch schon bisher haben die SPD und die mit ihr eng verbandelte Bahngewerkschaft EVG die von Experten angemahnten Strukturreformen verhindert. Das gilt besonders für die striktere Trennung des bundeseigenen Schienennetzes und seiner staatlichen Finanzierung von der Holding und den zentralen Kassen der klammen Aktiengesellschaft.