Bis der erste reguläre ICE nach London fährt, werden wahrscheinlich noch Jahre vergehen. Gleichzeitig gibt es Spekulationen über einen Einstieg der Deutschen Bahn beim Zugbetreiber Eurostar.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Die Ankündigung der britischen Regierung, ihre 40-prozentige Beteiligung am Verkehrsunternehmen Eurostar in private Hände geben zu wollen, hat in der Zentrale der Deutschen Bahn einige Aktivitäten ausgelöst. In der Branche wird seither über einen Einstieg der DB bei dem Konkurrenten spekuliert. Doch ein DB-Sprecher zeigt sich auf Anfrage gelassen: „Wir werden in Ruhe analysieren, was dieser Verkauf für uns und den Markt bedeutet.“ Konkrete Pläne für eine Übernahme gebe es bisher nicht. Vielmehr will die Bahn an ihren Plänen festhalten, mit ICE-Zügen durch den Kanaltunnel bis London zu fahren. „Leider werden wir wohl erst 2016 in der Lage sein, zu entscheiden, wann es losgehen kann“, räumt der Sprecher ein. Bisher gebe es noch immer keinen Liefertermin für die bestellten 16 neuen ICE-Züge, die seit Jahren überfällig sind. Denn der Hersteller Siemens hat wegen Softwareproblemen bis dato keine Zulassung für die Flitzer vom Eisenbahnbundesamt erhalten. Im Oktober 2010 klang das noch anders. Damals hatten Bahnchef Rüdiger Grube und Verkehrsminister Peter Ramsauer in London noch stolz angekündigt, dass „spätestens Ende 2013“ drei Mal täglich neue ICE-Direktverbindungen von Frankfurt, Köln, Brüssel und Amsterdam nach London starten sollten. Die erste Testfahrt im Kanaltunnel hatte ein ICE damals gerade absolviert. Mangels Zulassung fürs britische Netz musste der deutsche Vorzeigezug dann aber mit einer E-Lok bis zum Londoner Bahnhof St. Pancras gezogen werden, wo die Präsentation stattfand.

 

Damals hofften einige DB-Manager sogar, dass schon zur Olympiade 2012 erste Züge in nur fünf Stunden von Frankfurt am Main nach London fahren könnten. Diese Euphorie ist längst verflogen. Der Ausbau des internationalen Verkehrs stockt, weil die verfügbare Flotte wegen Technikproblemen und Lieferverzögerungen nicht einmal mehr fürs deutsche Netz ausreicht. Im Verkehr von und nach Frankreich muss sogar der Kooperationspartner SNCF mit Zügen aushelfen.

Die Franzosen geben den Ton an

Das sensible Verhältnis zu Frankreichs Staatsbahn dürfte auch ein Hauptgrund sein, warum sich die DB nun mit Interessenbekundungen in Sachen Eurostar zurückhält. Das Londoner Unternehmen, das seit fast zwanzig Jahren Züge durch den Kanaltunnel zwischen London, Paris und Brüssel fahren lässt, gehört nämlich zu 55 Prozent der SNCF. Die Franzosen geben den Ton an, auch die Eurostar-Züge stammen bisher aus Frankreich vom TGV-Hersteller Alstom. Umso verärgerter reagierten die SNCF und die Regierung in Paris, als der damalige DB-Chef Hartmut Mehdorn schon 2008 ungefragt einen Einstieg bei Eurostar sondierte und Interesse am Kauf der Besitzgesellschaft Euro UK Ltd. bekundete, die für den britischen Staat 40 Prozent der Anteile hält. Voreilig, anmaßend und arrogant sei dieser Vorstoß, schimpfte SNCF-Chef Guilleaume Pépy damals öffentlich und alles blieb, wie es war.

Nun aber will die konservativ-liberale Regierung in London eine neue Privatisierungsrunde starten und für den Anteil an Eurostar möglichst viel Geld erlösen, das in die vielerorts marode Infrastruktur fließen soll. Bis 2020 soll der Verkauf weiterer Staatsbeteiligungen bis zu 20 Milliarden Pfund bringen. Für Eurostar könnte es einige Bewerber geben, denn das Bahnunternehmen arbeitet inzwischen erfolgreich und fuhr voriges Jahr mit fast einer Milliarde Euro Umsatz und knapp zehn Millionen Passagieren ein Rekordergebnis ein. Allerdings könnte auch das Wachstum von Eurostar gebremst werden, weil das Unternehmen ebenfalls auf zehn neue Züge von Siemens wartet und damit von 2017 an auch von London nach Frankfurt und Köln fahren möchte. Wie die ICE-Flitzer der Bahn brauchen die Züge aber Zulassungen für den Kanaltunnel und für jedes Land, in dem sie fahren. Diese Prüfungen aber dauern und werden, wie es in der Branche heißt, von staatlichen Behörden auch gerne dazu missbraucht, ungeliebte Konkurrenten der heimischen Bahn auszubremsen.

Lukratives Monopol

Im Kanaltunnel hatten der SNCF-Ableger Eurostar und der Zuglieferant Alstom bisher ein lukratives Monopol, das durch den Auftrag an Siemens erstmals aufgebrochen wurde und durch den DB-Vorstoß weiter bröckeln könnte. Das versuchten die Franzosen bisher mit aller Macht zu verhindern. So sind die Sicherheitsvorschriften des Tunnels für Alstom-Züge maßgeschneidert. Der ICE kann erst auf Zulassung hoffen, seit sich die EU einschaltete.

Die SNCF dürfte zu den ersten Bietern um die restlichen Eurostar-Anteile zählen, vermuten Branchenkenner. Mit Sicherheit werden die Franzosen nicht tatenlos zuschauen, wie sich die DB, ein anderer Mitbewerber oder ein Fonds die Anteile sichern. Im Frankreich-Verkehr arbeiten DB und SNCF indes seit Jahren friedlich zusammen. Für Beobachter ist es daher denkbar, dass die beiden großen Bahnen künftig auch beim Verkehr von und nach England lieber auf Kooperation statt Konfrontation setzen, falls die Kartellwächter zustimmen.