Die oberste Finanzprüfbehörde des Bundes stellt der Regierung und dem Staatskonzern erneut ein miserables Zeugnis aus und schlägt Alarm. Die Forderung: kein Geld mehr in ein Fass ohne Boden – und die strikte Beschränkung auf einen funktionierenden Schienenverkehr.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Die Deutsche Bahn AG steckt in der Dauerkrise und wird zu „einem Sanierungsfall, der das gesamte System Eisenbahn gefährdet“. Diese alarmierende Bilanz zieht der Bundesrechnungshof in einem Sonderbericht, in dem den wechselnden Bundesregierungen und dem Staatskonzern ein miserables Zeugnis ausgestellt wird. Die Bahnpolitik: verfehlt und inkonsequent, die Geschäfte: verlustreich, die Strukturen: dysfunktional, die Infrastruktur: vernachlässigt.

 

„Damit das System Eisenbahn seine verkehrs- und klimapolitische Rolle erfüllen kann, braucht es grundsätzliche Reformen“, fordert Kay Scheller, Präsident der obersten Prüfbehörde. Ohne entschiedenes Umsteuern ende „das System Eisenbahn auf dem Abstellgleis“. Die Verschuldung der Bahn betrage mehr als 30 Milliarden Euro, so die Experten, der Konzern sei ein Fass ohne Boden. Statt da weiter Steuergeld hineinzustecken, müsse endlich ein radikaler Umbau des Staatskonzerns mit seinen weltweit mehr als 330 000 Mitarbeitern angepackt werden.

DB-Konzern soll alle bahnfremdem Geschäfte aufgeben

Dabei sollte es keine Tabus mehr geben, das ist die klare Botschaft des Sonderberichts an den Deutschen Bundestag, an die Ampelregierung sowie an die drei verantwortlichen Ressorts von Verkehrsminister Volker Wissing, Finanzminister Christian Lindner (beide FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Der Rechnungshof verlangt, dass sich der DB-Konzern so schnell wie möglich von allen Geschäften im Ausland und von Sparten trennt, die mit der Bahn wenig oder nichts zu tun haben und teils massive Verluste verursacht haben.

Noch voriges Jahr hat Konzernchef Richard Lutz aber neue Großaufträge in Kanada und Ägypten abgeschlossen. Zudem kommt der Verkauf der britischen Bahn- und Bustochter Arriva mit fast 50 000 Beschäftigten nicht voran. Die Trennung vom Lkw-Logistiker DB Schenker mit 76 000 Mitarbeitern weltweit lehnt die DB-Spitze bis jetzt ab.

Laut Grundgesetz hat der Bund den Auftrag, mit einem funktionierenden Schienenverkehr die Mobilität und das Gemeinwohl zu sichern. Alle Aktivitäten und Strukturen der DB AG müssten auf diesen Gewährleistungsauftrag aus der Verfassung ausgerichtet werden, der seit vielen Jahren massiv vernachlässigt werde, kritisiert Präsident Scheller. Das zeigten nicht nur die Rekordverspätungen der Züge. Es gebe „gravierende strukturelle, finanzielle und betriebliche Probleme“, und der Bund sei weit entfernt davon, die Probleme in den Griff zu bekommen: „Das spüren wir alle im Alltag.“

Fast 17 Milliarden Euro vom Staat für die Bahn – pro Jahr

Der Rechnungshof kritisiert die Fehlentwicklungen seit der Bahnreform 1994 schon seit vielen Jahren. Zuletzt forderte er 2019 in einem Sonderbericht an den Bundestag rasche Reformen. Entsprechende Entscheidungen der Politik folgten aber nicht. Es seien „vier verlorene Jahre vergangen“, sagt Scheller. Der Schienenverkehr sei „noch unzuverlässiger geworden, die wirtschaftliche Lage der DB AG hat sich weiter verschlechtert“. Allein in den beiden Coronajahren fuhr der Konzern mehr als sieben Milliarden Euro Verlust ein und bekam weitere milliardenschwere Finanzhilfen, darunter eine Zusage für elf Milliarden Euro neues Eigenkapital.

Integrierter DB-Konzern hat „sich nicht bewährt“

Der Bund müsse als Alleineigentümer „die Bahn neu aufgleisen“, fordert Scheller. Dazu solle die Ampelregierung die Kernfrage klären, was zum DB-Konzern gehören muss, um den Gewährleistungsauftrag des Grundgesetzes zu erfüllen. Management- und Finanzressourcen dürften „nur dort zum Einsatz kommen, wo sie tatsächlich Probleme im Schienennetz und -verkehr lösen“. Die Struktur der DB AG sei so auszurichten, „dass das System Eisenbahn als Ganzes profitiert“.

Mit der Bahnreform 1994 wurde die Bundesbahn in eine gewinnorientierte Aktiengesellschaft umgewandelt, bei der eine Holding die Verkehrssparten und die staatliche, hoch bezuschusste Infrastruktur steuert und alle Einnahmen letztlich in einem Topf landen. Diese bisherige Organisation als integrierter Konzern habe sich „nicht bewährt“, wie die massiven Betriebs-, Struktur- und Verschuldungsprobleme zeigten, bilanziert der Sonderbericht.

Auch sei der Staat nicht verpflichtet, selbst Bahnverkehr zu betreiben und ständig hoch zu bezuschussen. Allein die DB Cargo habe in den letzten zehn Jahren drei Milliarden Euro Verlust gemacht und die Hälfte der Marktanteile an Konkurrenten verloren. Der Bund könnte sich auch komplett von den Verkehrssparten trennen, deuten die Experten auf Nachfragen an, was zumindest eine teilweise Privatisierung von DB Fernverkehr, DB Regio und DB Cargo bedeuten würde.

Der Rechnungshof weist darauf hin, dass auch personelle Konsequenzen nicht ausgeschlossen werden sollten. Für inakzeptabel halten es die Experten, dass selbst in den verlustreichen Coronajahren noch 400 000 Euro Boni an den Vorstand der DB Regio gezahlt worden seien. Der Aufsichtsrat, in dem die Politik vertreten ist, habe das genehmigt. Das zeige auch, welcher Kultur im Konzern herrsche.